Freiluftkinos haben einen ganz besonderen Charme, der gerade
in größeren Städten auch absolut lukrativ zu sein scheint und viele Menschen
anlockt. Die Möglichkeit unter freiem Himmel Filme zu betrachten, bringt das
Kino zurück zu einer Vorstellung von Romantik, einem Date-Ort. Hier zählt oft
weniger der Film selbst, als die ganze Atmosphäre, die um ihn herum entsteht.
Das Grillenzirpen in den ruhigeren Passagen, der leichte Wind, der
Sternenhimmel, der drohende Regen, ausgeteilte Decken und der Rauch von Zigaretten
vor dem Bild. Eine „Cinema Paradiso“ Nostalgie vermag zu entstehen, ein
Kinoerlebnis. Leider liegt die Betonung vielerorts allerdings auf dem Erlebnis
statt dem Kino. So positioniert sich das Freiluftkino am Karsplatz in Wien
beispielsweise direkt neben der Karlskirche, sodass man neben dem Blick auf die
Leinwand immer auch einen Blick auf die Kirche werfen kann. Wer braucht denn
das? Menschen in Open-Air Projektionen sind oft mehr damit beschäftigt ihren
Wein zu öffnen, als die Bilder zu betrachten. Umgebungsgeräusche demontieren
sorgfältigstes Sounddesign, Autolichter beleuchten die Leinwand und werfen
einen roten Schimmer auf Cocteaus „La Belle et la Bête“; die Zuseher, die gerne
reden im Kino reden noch viel ungenierter draußen als drinnen. Und KLICK jemand
schießt ein Foto von der Leinwand. (samt Blitz und Ton)
Ob ein Freiluftkino ein richtiger Projektionsort ist oder ob
der Film dann hinter dem Erlebnis zurückbleibt, erscheint vielleicht auf den
ersten Blick gar nicht diskussionswürdig. Allerdings finde ich ihn gerade
deshalb relevant, da das Erlebnis eine rare Möglichkeit des Zugangs zu Filmklassikern
für ein breites Publikum bildet. Damit einher geht doch die Frage: Wollen
Menschen ältere Filme im Kino nur noch konsumieren, wenn diese in einen „besonderen“
Rahmen gepackt sind? Es erscheint auf der anderen Seite natürlich sinnvoller
Filme im Freiluftkino zu sehen, die man schon kennt. Der Ort impliziert
praktisch schon, dass man nicht den gesamten Film aufsaugen kann, Ablenkung
gehört dazu, selbst in weitaus effektiver auf die Leinwand ausgerichteten
Spielstätten wie am Karslplatz. Eigentlich sollte man Filme in einer
geschützten Kapsel ansehen, in der man keine menschlichen Bedürfnisse verspürt,
keine Umgebung wahrnimmt und nur mit dem Film ist. Viele würden dann aber nicht
mehr vom Kino sprechen; ein sozialer Ort sei das, an dem gemeinsam ein Film
gesehen wird. Was mir an dieser Vorstellung nicht gefällt ist, dass die
Interaktion im Kino doch hauptsächlich zwischen dem Geschehen auf der Leinwand
und mir stattfindet und nicht zwischen mir und anderen Zusehern. Kinogefühl
bekomme ich nicht, wenn jemand neben mir Popcorn ist, sondern wenn ich in die
Augen der Protagonisten blicke und mich bei ihnen fühle.Wenn ich weiß, dass es hier nur mich und den Film gibt und ich im Dunkel des Saals und in der Tiefe meines Sessels verschwinde. Im Freiluftkino fällt
mir genau das manchmal schwer. Es ist ein abgelenktes Filmeschauen, das den
Blick zur Seite regelrecht fördert. Selbst wenn man wie Alex DeLarge an einen
Stuhl gefesselt wird und mit einem Apparat die Augen offengehalten werden,
würde man das Flugzeug hören, das den Film zerstört.
Außerdem gibt es das Phänomen der geeigneteren und
ungeeigneteren Filme für Freiluftkinos. Prädestiniert im Rahmen einer Open-Air
Vorführung sollten eigentlich Stummfilme sein, am besten ohne musikalische
Begleitung oder mit Live-Begleitung, da dann die Aufmerksamkeit auf das
Geschehen gewährleistet werden kann. Außerdem natürlich Filme, die praktisch
jeder gesehen hat, also die absoluten Klassiker, die man sich dann zum
wiederholten Male, aber in einer anderen Umgebung ansieht. Bei allen anderen
Filmgattungen scheint es mir schwer zu sein, sie dem Werk gerecht im Freien zu projizieren.
Natürlich schließe ich in meinen Überlegungen die absoluten positiven Aspekte
aus wie zum Beispiel das kommunale Kinofest, den traumwandlerischen Aspekt
einer Freiluftvorführung, die Kraft des Kinos jeden Ort zu durchdringen usw.
Inzwischen scheinen mir Freiluftkinos im Sommer zu den Überlebensstrategien der
Kinobetreiber zu gehören. Das Ereignis zu verkaufen, ist wohl weitaus effektiver
als die Filme zu verkaufen. Bestes Beispiel hierfür sind die unsäglichen
Sneak-Previews, die dem Zuseher die Augen vor dem Programm verbinden und ihre
Attraktivität nicht aus den Filmen, sondern den Sekunden bevor es beginnt,
schöpfen. Schon erstaunlich, dass Kino hier etwas ganz anderes ist als Film.
Ich verstehe durchaus die Ideen dahinter, aber finde es auch bedenklich, wenn
Kinos, auch wenn aus ökonomischen Druck eigentlich gegen das Medium arbeiten, das sie verkaufen. Oder anders
gefragt: Wenn heute Abend „The Godfather“ in zwei Kinos gespielt werden würde:
Einmal in einem perfekt auf die Leinwand ausgerichteten, top-ausgestatteten,
dunkeln Kinosaal in einer originalen 35mm Technicolor Kopie; und einmal unter
freiem Himmel, in einer digitalen Kopie, wo gleichzeitig Pasta, Pizza und
Rotwein angeboten wird und alle in Mafioso-Kleidung erscheinen müssten, wo
würdest Du hingehen?
ICh stimme Dir in sehr vielen Punkten zu. Open-Air-Kino ist immer ein Event, bei dem der Event-Charakter im Vordergrund steht und der Film mehr oder weniger Mittel zum Zweck ist. Allerdings kann so ein Event auch Spaß machen, wenn Umgebung und Film sich ergänzen. Ein Beispiel, welches mir sehr viel Freude bereitet hat: Klaus Lemkes "Rocker" im Millerntorstadion auf St. Pauli. Die Tribüne gefüllt mit Typen, die dort gut als Komparsen hätten mitspielen können, vorne vor verkaufte Hans-Jürgen Modschiedler seine eigene Biermarke und das begeisterte Publikum gröhlte die berühmtesten Dialoge herzhaft mit. Dadurch kam der Film dann noch lebendiger und authentischer rüber, als es daheim im stillen Kämmerlein der Fall ist. Hier haben sich Film und Ort gegenseitig befruchtet. Ähnliches, wenn auch nicht Open-Air: "Der müde Tod" in einer Kirche von der Orgel begeleitet.
AntwortenLöschenJa, ich bezweifle nicht, dass das Event Spaß machen kann. Klar, Klaus Lemke am Millerntor kann schon was. Trotzdem sage ich, dass das vielleicht die aufregendste, fruchtbarste und unterhaltsamste Art ist den Film zu zeigen, aber sicher nicht die dem Medium und seiner Wahrnehmung gerechteste.
LöschenWenn ich mir einen an den Haaren herbeigezogenen Vergleich erlauben kann: Es wäre sicherlich auch aufregend einen Van Gogh (und sei es in einer Kopie) am Millerntor auszustellen. Ob es dem Künstler gerecht wird, keine Ahnung. Aber Lemke mit Van Gogh zu vergleichen hat auch was. Ich verrenne mich. Aber hoffe trotzdem, dass mein Punkt klarer ist.
Da van Gogh seine letzten Lebensjahre in einer Irrenanstalt verbracht hat, würde das wohl in der Tat ganz gut passen ;) Spaß beiseite, ich verstehe ja was du meinst und stimme Dir da auch zu. Mit Filmrezeption hatben "Events" generell immer sehr wenig zu tun.
AntwortenLöschenIch wollte nur ausdrücken, dass es bei einer geschickten Kombination von Film und Umgebung durchaus zu Synergieeffekten kommen kann, die dann vielleicht losgelöst vom Film und der Location eine ganz neue Energie erschaffen. Aber da muss schon alles passen. Einfach wahllos Film A und Ort B zusammenklatschen reicht da nicht.