Der Dampf der verdunsteten Luft, der feuchte Boden und die
meist roten Neonschilder erinnern an Wong Kar-wai. Denis setzt Zeitlupen ein
und sogar eine Begegnung der beiden Liebenden auf der Treppe. Vielleicht ein „In
the mood for love“, der die Liebe auch zeigt? Der Stau bringt Fellinis „8 ½“ in
Erinnerung, doch statt einem Nervenzusammenbruch, erleidet die Protagonistin
bei Denis nur Müdigkeit. Den gleichen Ausbruchgedanken wie Guido scheint sie
dennoch zu haben. Paris ist ein einziger Stau an diesem Abend. Immer wieder
tauchen (über)sinnliche Elemente auf, wirkt das ganze wie ein Traum. Etwas Totes
bewegt sich für eine Sekunde, Menschen verschwinden und sind einfach wieder da.
Entspringt das einer Fantasie? Rot ist
die dominierende Farbe in „Vendredi Soir“. Mit fast beängstigender Konsequenz durchdringen
rote Elemente die Leinwand. Denis erzählt von Schönheit, Leidenschaft, Erotik,
Gefahr, einem bisher verdeckten pulsierenden Inneren. Wie so häufig in ihrem Oeuvre
lässt Denis große Löcher in der Handlung entstehen. Sie schneidet vor Antworten
in das nächste Bild, sie lässt ihre und die Wahrnehmung ihrer Protagonisten
plötzlich abdriften, zeigt kleine Details in den Ecken der Zimmer. Für Denis
bedeutet das Auflösen einer Szene (wie für viele große Regisseure) auch immer
den Blick auf etwas zu richten, was im ersten Moment nicht relevant erscheint.
Es ist eine Studie der Wahrnehmung und damit greift sie ein Gefühl auf statt
ihres zugegebenermaßen etwas platten Inhalts. Immer wieder interessiert sie
sich auch für die anderen Menschen, erlaubt dem Zuseher einen Eindruck der
gesamten Umgebung zu erhalten. Mehr oder weniger genervte Autofahrer und
Passanten, ein merkwürdiger Rezeptionist im Hotel. Sie zeigt diese Menschen
nicht im Sinne einer deskriptiven Rechtfertigung der diegetischen Welt oder im
Stil eines „Diese Geschichte hätte jedem passieren können“, sondern vielmehr als
subjektiven Point-of-View der Figuren: Das ist, was die Hauptfigur sieht. Und
es hat genauso viel Bedeutung wie das, was wir von ihr sehen.
Gesprochen wird kaum ein Wort. Wozu auch?
Trotz der fließenden Strukturen, die von melodramatischer Musik noch unterstützt
werden, fühlt man sich jederzeit fest verankert in der Zeit. Zu klar ist die
Freitagabend-Dramaturgie. Denis verleiht den kleinen Entscheidungen Wichtigkeit
und den großen Beiläufigkeit. Es geht um eine Driftbewegung, sowohl der
Protagonistin als auch der Filmemacherin. Die Form des Films entspricht der
Gemütslage der Hauptfigur. Und deshalb gelingt es Denis auch so gut, Gefühle
festzuhalten, sie einzufangen und so völlig unprätentiös das Unsichtbare
sichtbar zu machen. Es ist nämlich nicht
nur eine Frage der Montage, einer beliebigen Aneinanderreihung kleiner Momente,
wie dem nervösen Tippen von Fingerspitzen, dem austretenden Rauch aus einer Lüftung oder
Füße, die aneinander reiben, sondern eben auch eine bewusste Entscheidung: Wann
sehen wir was. Rhythmus spielt eine gleichwertige Rolle wie Inhalt, die beiden
bedingen sich sozusagen. Wie in „Les Salauds“ oder „Beau Travail“ entfaltet
Denis eine Sogwirkung, die die Unterlegenheit des Verstandes gegenüber der menschlichen
Natur und der Gesellschaft offenbart.
Paris ist ein einziger Stau an diesem Abend. Fast wie Dziga
Vertov in „Der Mann mit der Kamera“ wird zunächst die Stadt am Freitagabend
gezeigt. Es ist eine gewöhnliche Welt. Sie lädt ein. Nicht ganz ausgewogen
wirkt „Vendredi Soir“ nur dann, wenn man merkt, dass er geschrieben wurde: Als
sie plötzlich ihr eigenes Auto nicht mehr findet oder am Ende, als sie lächelt.
Nur dann ist man auch schon lange von ganz anderen Gefühlen gefangen genommen
und steht in einem ganz eigenen Stau aus Händen, unklaren Lichtern und Dingen,
die sich im Wind bewegen.
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