Mittwoch, 17. Juli 2013

Sud sanaeha (Blissfully Yours) von Apichatpong Weerasethakul



Der englische Titel des Films, „Blissfully Yours“ wirkt im Nachhinein wie die Einladung eines Filmemachers, der sich mit völliger Offenheit, Ehrlichkeit und Schönheit seinen Bildern hingibt und auf diese Weise dem Zuseher ein Geschenk macht. Wie so oft im Kino von Apichatpong Weerasethakul schwebt ein wahrhaftiger Geist durch diesen Film, der es vermag Stimmungen aufzusaugen, wieder auszuspucken, sie im Kreis zu drehen. Dieser Geist scheint niemand anderes zu sein, als der Filmemacher selbst. Apichatpong Weerasethakul erzeugt eine völlige Freiheit in seiner Gestaltung, lässt dem Zuseher immer die Möglichkeiten seinen Blick schweifen zu lassen, mit seinen Gedanken abzudriften und wieder mit voller Wucht zurück ins Geschehen zu springen. Für ihn gibt es keine formellen Fesseln: Innere Gedanken, integrierte Zeichnungen, die das Bild übermalen, Joy Ride-Einstellungen aus dem Auto, lange, ruhende Einstellungen auf den Gesichtern, große Totalen vom Mensch in der Natur, Tiere, Bedrohung, Freiheit, Einsamkeit, Isolation. Alles ist da. Poesie und Nüchternheit treffen aufeinander. Die Natur und ihr Leben und ihr Geistsein sind spürbar. Die Tonebene erzählt von einem Leben jenseits der Figuren. Sie treibt die Gefühlswelten in ungeahnte Dimensionen. Manchmal schlagen die friedlichen Grillengeräusche um in ein bedrohliches Surren. Bis ein entfernter Schuss womöglich alles verändert. 



Ein langer Blick geht zu den Wolken. Eine helle und eine dunkle Wolke streifen aneinander vorbei, die Sonne blinzelt durch ihre Grenze. In „Sud sanaeha“ von Apichatpong Weerasethakul verliert die männliche Hauptfigur seine Haut. Bedrohung als zwei Frauen im Wasser baden. Überall klettern rote Ameisen über das Essen. Jemand reibt die kranke Haut des jungen Mannes ein. Er spricht eine andere Sprache. Eine Helferin bei der lokalen Ärztin entfernt die Hautreste auf der Liege. Der Abspann kommt mitten im Film zu Samba-Rhythmen. Als der junge Mann im Wald auf die Toilette geht, beginnt er damit Beeren aus den Bäumen zu essen. Seine Freundin möchte wissen, ob sie giftig sind. Ein Mann und eine Frau schlafen im Wald miteinander. Die Frau lächelt immer nur dann, wenn sie der Mann zu sich zieht. Sobald sie ein wenig Abstand hat, verhärten sich ihre Gesichtszüge. Später vollzieht sich ein ähnliches Spiel zwischen Lachen und Ernsthaftigkeit, als sie mit dem Kopf ins Wasser eintauchen soll. Es geht immer um sehen und nicht sehen. Die Frau fährt mit dem Auto, scheint ihren Verehrer, der mit einem Moped um das Auto kreist nicht zu bemerken. Sie biegt ab, als er nicht reagieren kann. Später schläft sie mit ihm. Sie haben sich etwas zu Essen mitgebracht. 



Wie auf einer Schaukel bewegt sich der Film zwischen Anziehung und Ekel, Liebe und Hass, Freude und Trauer. Es gibt nie ein isoliertes Gefühl, sondern immer mehrere Zugleich. Dadurch vermag ein Gefühl von Einsamkeit zu entstehen. Die Länge der Einstellungen lässt zu, dass der Zuseher die Wechsel dieses emotionalen Spiels in der Zeit miterleben kann. In einer langen Sequenz beobachtet man am Ende die Gesichter der Frauen. Eine alleine, die andere neben dem jungen Mann. Beide sind nicht gefestigt, spielen nicht eine Emotion, die sie in diesem Moment haben, sondern schwanken ständig. Wahrhaftigkeit und Zweifel zugleich in den Gesichtern zu lesen- in derartiger Perfektion-  ist  beispielsweise Nuri Bilge Ceylan in „Climates“ oder Bruno Dumont in „La Vie de Jésus“ gelungen. Doch wo Dumont sich einer Leere annähert und Ceylan einer Vereinsamung, da interessiert sich Weerasethakul für die Unterschiede zwischen Innen und Außen, zwischen Mensch und Natur. Als die Bedrohung größere nicht sein könnte, beginnt die Frau die Essenreste in den Fluss zu werfen, samt Verpackungen. War diese ganze latente Bedrohung, die man gespürt hat eine Bedrohung der Natur? Nicht durch die Natur, sondern der Natur wohlgemerkt. Aber auch räumlich vollzieht sich die Trennung der Dinge, deren wiederholte Verbindung und Trennung genauso im Wechselspiel erfolgen. Im Auto berühren sich die Hände. In der nächsten Einstellung liegen sie nebeneinander. Als es im Wald zum ersten Kuss kommt, aber aufgrund von Schmerzen der Haut unterbrochen werden muss, trennen sich für einen Moment die Wege der Protagonisten. Dann reicht eine Hand durch das Bild und sie werden wieder verbunden. Gegen Ende zeigt eine Totale die Situation am Fluss. Am linken Bildrand das jüngere Paar und am rechten Bildrand die etwas ältere Frau alleine. Dazwischen steht ein Baum. 




Sex wird genau in diesem Wechselspiel aus Anziehung und Ekel dargestellt. Mal scheint es eine Art romantische Antizipation zu geben, dann werden schonungslos Geschlechtsteile und körperlich unzufrieden stellender Verkehr gezeigt. Einmal wird gefragt, ob man an Geister glaube. Ohne es in Worte kleiden zu können, muss bemerkt werden, dass eine solche unsichtbare Kraft im Film zu wirken scheint. Etwas gegen das man nicht ankämpfen kann. Es scheint von der Natur auszugehen und schwebt über dem Film. Aus dieser Bedrohung schafft Weerasethakul dennoch Momente von Komik, als beispielsweise das Moped nicht anspringen will, Momente von Sozialkritik und Momente der Irritation, als der Liebhaber der älteren Frau dem Liebhaber der jüngeren Frau zärtlich über den Oberschenkel fährt und anschließend in einer Pop-Ästhetik wie im japanischen Fernsehen eine Creme für die Haut zubereitet wird. Wer die Glückseligkeit des Titels sucht, muss sie in den kurzen Blicken zwischen dem Grauen finden. Oder ist das Grauen in den kurzen Momenten zwischen der Glückseligkeit?


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