Der englische Titel des Films, „Blissfully Yours“ wirkt im
Nachhinein wie die Einladung eines Filmemachers, der sich mit völliger
Offenheit, Ehrlichkeit und Schönheit seinen Bildern hingibt und auf diese Weise
dem Zuseher ein Geschenk macht. Wie so oft im Kino von Apichatpong Weerasethakul
schwebt ein wahrhaftiger Geist durch diesen Film, der es vermag Stimmungen aufzusaugen,
wieder auszuspucken, sie im Kreis zu drehen. Dieser Geist scheint niemand
anderes zu sein, als der Filmemacher selbst. Apichatpong Weerasethakul erzeugt
eine völlige Freiheit in seiner Gestaltung, lässt dem Zuseher immer die
Möglichkeiten seinen Blick schweifen zu lassen, mit seinen Gedanken abzudriften
und wieder mit voller Wucht zurück ins Geschehen zu springen. Für ihn gibt es keine
formellen Fesseln: Innere Gedanken, integrierte Zeichnungen, die das Bild
übermalen, Joy Ride-Einstellungen aus dem Auto, lange, ruhende Einstellungen
auf den Gesichtern, große Totalen vom Mensch in der Natur, Tiere, Bedrohung,
Freiheit, Einsamkeit, Isolation. Alles ist da. Poesie und Nüchternheit treffen
aufeinander. Die Natur und ihr Leben und ihr Geistsein sind spürbar. Die
Tonebene erzählt von einem Leben jenseits der Figuren. Sie treibt die
Gefühlswelten in ungeahnte Dimensionen. Manchmal schlagen die friedlichen
Grillengeräusche um in ein bedrohliches Surren. Bis ein entfernter Schuss
womöglich alles verändert.
Ein langer Blick geht zu den Wolken. Eine helle und eine
dunkle Wolke streifen aneinander vorbei, die Sonne blinzelt durch ihre Grenze. In
„Sud sanaeha“ von Apichatpong Weerasethakul verliert die männliche Hauptfigur
seine Haut. Bedrohung als zwei Frauen im Wasser baden. Überall klettern rote
Ameisen über das Essen. Jemand reibt die kranke Haut des jungen Mannes ein. Er
spricht eine andere Sprache. Eine Helferin bei der lokalen Ärztin entfernt die
Hautreste auf der Liege. Der Abspann kommt mitten im Film zu Samba-Rhythmen.
Als der junge Mann im Wald auf die Toilette geht, beginnt er damit Beeren aus
den Bäumen zu essen. Seine Freundin möchte wissen, ob sie giftig sind. Ein Mann
und eine Frau schlafen im Wald miteinander. Die Frau lächelt immer nur dann,
wenn sie der Mann zu sich zieht. Sobald sie ein wenig Abstand hat, verhärten
sich ihre Gesichtszüge. Später vollzieht sich ein ähnliches Spiel zwischen
Lachen und Ernsthaftigkeit, als sie mit dem Kopf ins Wasser eintauchen soll. Es
geht immer um sehen und nicht sehen. Die Frau fährt mit dem Auto, scheint ihren
Verehrer, der mit einem Moped um das Auto kreist nicht zu bemerken. Sie biegt
ab, als er nicht reagieren kann. Später schläft sie mit ihm. Sie haben sich
etwas zu Essen mitgebracht.
Wie auf einer Schaukel bewegt sich der Film zwischen
Anziehung und Ekel, Liebe und Hass, Freude und Trauer. Es gibt nie ein
isoliertes Gefühl, sondern immer mehrere Zugleich. Dadurch vermag ein Gefühl
von Einsamkeit zu entstehen. Die Länge der Einstellungen lässt zu, dass der
Zuseher die Wechsel dieses emotionalen Spiels in der Zeit miterleben kann. In
einer langen Sequenz beobachtet man am Ende die Gesichter der Frauen. Eine
alleine, die andere neben dem jungen Mann. Beide sind nicht gefestigt, spielen
nicht eine Emotion, die sie in diesem Moment haben, sondern schwanken ständig.
Wahrhaftigkeit und Zweifel zugleich in den Gesichtern zu lesen- in derartiger
Perfektion- ist beispielsweise Nuri Bilge Ceylan in „Climates“
oder Bruno Dumont in „La Vie de Jésus“ gelungen. Doch wo Dumont sich einer
Leere annähert und Ceylan einer Vereinsamung, da interessiert sich Weerasethakul
für die Unterschiede zwischen Innen und Außen, zwischen Mensch und Natur. Als
die Bedrohung größere nicht sein könnte, beginnt die Frau die Essenreste in den
Fluss zu werfen, samt Verpackungen. War diese ganze latente Bedrohung, die man
gespürt hat eine Bedrohung der Natur? Nicht durch die Natur, sondern der Natur
wohlgemerkt. Aber auch räumlich vollzieht sich die Trennung der Dinge, deren wiederholte
Verbindung und Trennung genauso im Wechselspiel erfolgen. Im Auto berühren sich
die Hände. In der nächsten Einstellung liegen sie nebeneinander. Als es im Wald
zum ersten Kuss kommt, aber aufgrund von Schmerzen der Haut unterbrochen werden
muss, trennen sich für einen Moment die Wege der Protagonisten. Dann reicht
eine Hand durch das Bild und sie werden wieder verbunden. Gegen Ende zeigt eine
Totale die Situation am Fluss. Am linken Bildrand das jüngere Paar und am
rechten Bildrand die etwas ältere Frau alleine. Dazwischen steht ein Baum.
Sex wird genau in diesem Wechselspiel aus Anziehung und Ekel
dargestellt. Mal scheint es eine Art romantische Antizipation zu geben, dann
werden schonungslos Geschlechtsteile und körperlich unzufrieden stellender
Verkehr gezeigt. Einmal wird gefragt, ob man an Geister glaube. Ohne es in
Worte kleiden zu können, muss bemerkt werden, dass eine solche unsichtbare
Kraft im Film zu wirken scheint. Etwas gegen das man nicht ankämpfen kann. Es
scheint von der Natur auszugehen und schwebt über dem Film. Aus dieser
Bedrohung schafft Weerasethakul dennoch Momente von Komik, als beispielsweise
das Moped nicht anspringen will, Momente von Sozialkritik und Momente der
Irritation, als der Liebhaber der älteren Frau dem Liebhaber der jüngeren Frau
zärtlich über den Oberschenkel fährt und anschließend in einer Pop-Ästhetik wie
im japanischen Fernsehen eine Creme für die Haut zubereitet wird. Wer die Glückseligkeit
des Titels sucht, muss sie in den kurzen Blicken zwischen dem Grauen finden.
Oder ist das Grauen in den kurzen Momenten zwischen der Glückseligkeit?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen