Samstag, 9. März 2013

Haneke und das Ende des Kinos


Dieser Blog heißt ja „Jugend Ohne Film“ und da wird man dann natürlich ganz besonders aufmerksam, wenn der frischgebackene Oscar-Gewinner Michael Haneke anlässlich der Robert Bresson-Retrospektive im Filmmuseum Wien äußert, dass für die meisten seiner Studenten (Jugend) an der Filmakademie die Filmgeschichte mit Quentin Tarantino beginnen würde. Auch der Direktor des Filmmuseums, Alexander Horwath äußerte kritisch, dass für viele das Kino heutzutage einem Gefängnis gleichkomme und manche es bevorzugen würden Filme jederzeit und überall sehen zu können statt in einer konzentrierten Form. Die beiden stimmten ein in einen Abgesang auf ein vergessenes Kino von Meistern wie Bresson, Antonioni, Tarkovskiy, Hitchcock oder Pasolini. Solche Freiheiten, so Haneke, könne man sich heute gar nicht mehr nehmen, weil man das Produkt dann schlicht und ergreifend nicht verkaufen würde. Heute gäbe es weder Regisseure vom Kaliber eines Bresson, noch gäbe es noch so etwas wie einen ästhetischen Skandal. Wenn ein Film einen Skandal auslösen würde, dann aufgrund seiner Thematik. Als Beispiel nannte Haneke Lars von Trier.

Michael Haneke

Alexander Horwath


So viel Respekt diese beiden großen Männer der Filmwelt verdienen, so vehement muss man ihnen bei einigen ihrer Ausführungen wiedersprechen.
 
1.Jugend ohne Film

Mouchette
Haneke machte klar, dass es auch nicht weiter schlimm sei, wenn seine Studenten kein größeres filmgeschichtliches Wissen hätten. Er klang dabei, als habe er keine Wahl. So meinte er, dass es pro Jahrgang immer 2-3 Studenten gäbe, die alles kennen. Den Rest interessiere es einfach nicht, wenige würden sich noch begeistern lassen für ein anderes Kino. Hängt aber nicht das Ausbleiben einer ästhetischen Revolution genuin mit der fehlenden cineastischen Bildung der Filmstudenten zusammen? Wer „Breaking Bad“ schaut, wird am Ende technisch ordentliches Kino machen können und noch viel bessere und erfolgreichere Serien. Wer Tarantino bis zum Abwinken feiert, wird Filme machen die Zitate zitieren und es ist nur logisch, dass daraus keine neue oder provozierende Ästhetik erwächst. Was ich sage ist nicht, dass man bei der Auswahl an praktischen Filmschulen ein zu großes Augenmerk auf eine filmische Bildung legen sollte. Was ich sage ist, dass es eigentlich durchaus die Aufgabe einer jeden Filmschule sein sollte den Studenten diese Bildung mitzugeben. Wenn Film als Kunst weitergehen will, auch in unseren westeuropäischen Gefilden, bedarf es einiger cineastischer Grundkenntnisse. Viele Nachwuchsfilmer wissen nicht, was es schon gegeben hat und was möglich ist. Wie, außer durch einen völlig bescheuerten und früher oder später auffliegenden Zufall sollen sie noch etwas Neues kreieren? Die Antwort suchen viele Filmschulen in der Persönlichkeit der Studenten. Die Suche also nach Wunderkindern, die sich besser von einigen wenigen Meilensteinen beeinflussen lassen, als von möglichst vielen. Die mit 20 Jahren ein möglichst ereignisreiches Leben gehabt haben müssen. Eine Liebe zum Kino wird weder gefördert noch gefordert. Warum sollte das Kino also überleben? Schließlich sind Filmstudenten die Zukunft des Films. Wenn sie lieber „How I met your mother“ schauen, als „L’eclisse“ dann werden sie auch eher „How I met your mother“ drehen. (Nochmal: Das muss wirklich nicht falsch oder schlecht sein; es geht nur mit dem Verlust dessen einher, was man Kino nennt; traurig vor allem deshalb, weil viele dann ihr „How I met your mother“ Kino nennen.) Und da Michael Haneke am längeren Hebel sitzt und einer der verantwortlichen Ausbilder des deutschsprachigen Nachwuchsfilms ist, fragt man sich: Warum bildet man Leute aus, die mit ziemlicher Sicherheit das zerstören werden, was man selbst liebt, über was man sich selbst definiert und was man selbst als Kino bezeichnet? Es kann doch nicht sein, dass die Leute, die es verstanden haben den Festival-Markt mit cineastischer Kompromisslosigkeit zu regieren, beginnen Talente zu fördern, die genau das nicht tun. Und es soll mir keiner mit dem: Aber es gibt doch mehr als Kunstkino oder anspruchsvolles Kino-Argument kommen. Serien, Fernsehspiele, Megablockbuster. Das ist ein völlig anderes Gebiet. Dafür sollte es auch eine andere beziehungsweise gar keine Hochschulausbildung im Bereich Regie geben. Oft werden Autoren ausgebildet, deren Autorenschaft sich auf ihr Auftreten beschränkt. Muss man die Filmgeschichte beziehungsweise die Filmlandschaft kennen, um wertvolle Filme zu drehen? Ich denke zumindest, dass angehende Regisseure, die mit Bresson oder Antonioni nichts anfangen können auch nicht ihr Erbe antreten können. Wenn es eine Jugend ohne Film gibt, dann hat Haneke mit daran schuld.

2.Keine Regisseure mehr

Leos Carax


Außer Abbas Kiarostami wurden dann auch nur bereits verstorbene Filmemacher genannt. Mit der sicherlich etwas flapsig dahingesagten Bemerkung, dass es Regisseure wie eben Bresson heute nicht mehr gäbe, tritt Haneke sogleich ins nächste Fettnäpfchen. Er bezieht das auf Regisseure, die Film ästhetisch weiterbringen. Also wenn ich das richtig verstanden habe, dann kann man Film nicht mehr weiterbringen. Film ist am Ende aller Entwicklungen angekommen. Spätestens mit Cassavetes wurde alles gemacht, was es zu machen gibt. Heute würden andere Dinge wie Produktionsbedingungen etc zählen. Der Eindruck, den man gewinnen muss, ist der eines sarkastischen Mannes, der immer noch nicht begreifen kann wie er bei einer Preisverleihung gefeiert werden konnte, die große europäische Regisseure wie Bergman oder Godard aus Protest abgelehnt haben. Bruno Dumont, Nuri Bilge Ceylan, Cristian Mungiu, Christoph Hochhäusler, Michael Haneke, Apichatpong Weerasethakul, Arnaud Desplechin, Cristi Puiu, Jean-Pierre und Luc Dardenne, Claire Denis, Miguel Gomes, Gaspar Noé, Christian Petzold, Angela Schanelec, Alexandr Sokurov, Michel Gondry, Lars von Trier, Olivier Assayas, Wong Kar-wai, Wes Anderson, Paul Thomas Anderson, Jafar Panahi, Gus van Sant, Béla Tarr, Ulrich Seidl, Abbas Kiarostami, Leos Carax…diese Liste ließe sich unendlich weiterführen. Eine Liste von Filmemacher, die das Medium durchaus weiterbringen, die mit der Ästhetik spielen und sie herausfordern. Natürlich gehen ihnen als Bedingung andere große Meister voraus. Aber auch denen gingen ja wieder Meister voraus. Fairerweise muss man sagen, dass Haneke wohl auch genau das gemeint hat. Horwath lenkt das Gespräch dann auch gleich auf die fehlende Filmkultur, die fehlende Bereitschaft über solche Dinge zu sprechen. Warum aber, Michael Haneke, beschreien sie die Unmöglichkeit eines Kinos, an dem sie selbst interessiert sind? Warum sind beide Vorstellungen an diesem Abend („Mouchette“ und „Lancelot du Lac“ völlig ausverkauft; warum sind auch viele junge Zuseher im Kino?) Dennoch muss man sich wohl wirklich die Frage stellen, ob Film jenseits der technischen Möglichkeiten und Verbreitungsweisen noch entwickelbar ist. Die Antwort können nur neue Generationen von Filmemachern geben. Miguel Gomes hat auf der Viennale gesagt: „Wir haben verlernt zu träumen, den Bildern zu glauben.“ Das Theater hat jahrhundertelang immer wieder neue Entwicklungen durchlaufen, auch die Schriftkunst hat ständig neue Formen, neue Arten des Erzählens hervorgebracht. Es kann eigentlich kaum sein, dass Film nach nicht einmal 120 Jahren Geschichte keine neue Sprache, keine neue Form, keinen neuen Stil mehr haben kann. Die Frage muss eher sein: Inwiefern wird eine Neuentdeckung des künstlerischen Potenzials jenseits des Mikrokosmos fern von Hollywood überhaupt noch registriert?


Apichatpong Weerasethakul


3.Der „Liebe“ Herr Haneke

Bennys Video

Zum Abschluss stellte Horwath dann eine bedeutende Frage an Michael Haneke. Bezogen auf die fehlenden Skandale und Kontroversen, die Filme heute noch auslösen können, fragte er ihn sehr subtil nach der doch eher freundlichen Publikumsreaktion bei seinen letzten Filmen. Bei allem angebrachten und gebührenden Respekt, den ein Meister des Kinos wie Haneke verdient, muss man sich genau das fragen: Wo ist er hin dieser verstörende Filmemacher, der sein Publikum oberflächlich betrachtet zu ignorieren scheint, der kompromisslose Werke liefert, die bis ins Detail präzisiert sind? „Amour“ und „Das weiße Band“ wirken wie zwei humanistische Spätwerke eines Regisseurs, der seine unheimlichen Kanten und Ecken, die sich eben-und das ist der springende Punkt-in einem Angriff auf die Ästhetik äußerten statt in inhaltlichen Tabuzonen, abgerundet hat. Haneke scheint an einem Punkt angekommen zu sein, an dem er endlich ernten kann, wofür er so lange gekämpft hat. Und paradoxerweise wirkt er nun selbst wie jemand gegen den man kämpfen muss. Nicht weil seine Filme schlecht wären oder weil sie seinem Ideal der völligen Publikumsfreiheit nicht entsprechen würden, sondern weil er nun zu wissen scheint, was er tun muss, um Erfolg zu haben. Filmemacher auf der Suche haben mehr Kraft in ihren Werken. John Cassavetes war zum Beispiel immer auf der Suche. Es ist eine abschreckende Perfektion bei Haneke, die einst eine geniale Perfektion war. Abschreckend, weil er sie so genau bedienen kann, dass die eingeimpfte menschliche Note fast computergeneriert wirkt. „Amour“ wirkt stellenweise derart durchkomponiert und dennoch identifikationsstiftend, dass man sich fragt, ob es schon jemals einen kalkulierter wirkenden Film gegeben hat. Er antwortete nicht wirklich auf die Frage. Er sei lediglich überrascht gewesen, dass er für „Funny Games“ braven Applaus bekommen habe. Die letzten beiden Filme gliedern sich retrospektiv sicherlich hervorragend in das große Oeuvre von Haneke ein und das hier soll auch keine Kritik an einem Mann sein, der nicht zu kritisieren ist. Allerdings stellen sich ein paar Fragen und die habe ich hiermit gestellt.
Amour


Dennoch war der Blick auf Bresson mit Haneke und Horwath ein großes Erlebnis. Hier über Robert Bresson selbst zu schreiben, bedarf dagegen weit mehr als einiger Zeilen.

3 Kommentare:

  1. Sehr interessante Gedanken, danke für den Bericht von diesem Abend.

    Volle Zustimmung vor allem bei Punkt 2!


    Werde, wie es die Zeit zulässt, auch das eine oder andere von Bresson schauen; kenne da ganz wenig bisher.

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  2. Sehr schöner Text. Hat mir sehr gut gefallen. Deine Argumente sind sehr ausgewogen und gut nachvollziehbar. Generell wollte ich bei der Gelegenheit mal mein Glückwunsch zu diesem sehr gelungen Blog aussprechen. Ich behalte den im Auge ;)

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  3. Vielen Dank euch Paul und Marco. Ich versuche mich weiter zu verbessern.


    Bresson ist auf jeden Fall eine tolle Sache und ich bin sehr froh, dass man hier in Wien immer wieder die Chance bekommt sich diese Filme im Kino anzusehen.

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