Zum Abschluss der Diagonale 2014 haben sich Rainer und ich nochmal über allerhand
Dinge unterhalten, die sich unserem Kopf abgespielt haben. Unser Gespräch zeigt
auch wie nahe man noch an den Eindrücken ist, einen Tag nach dem Ende des
Festivals. Dennoch haben wir uns auch um einen allgemeineren Rückblick bemüht.
Im Laufe der nächsten Tage werden wir noch einige Besprechungen und Eindrücke posten.
Patrick: Welches Bild hast du in deinem Kopf, wenn ich Diagonale 2014
sage?
Rainer: Das
rote Festivalplakat. Mehr noch aber zwei Ohrwürmer, die ich aus Graz
mitgebracht habe. Die "Habanera" aus Carmen, die in "MeTube:
August sings Carmen 'Habanera'" vorkommt und "Die
Telefonbuchpolka" von Georg Kreisler aus dem gleichnamigen Kurzfilm von
Benjamin Swiczinsky (der Film ist eine Bebilderung des Liedes).
Patrick:
Wenn ich die Augen schließe und ganz fest an das Festival denke, dann habe
ich-und deshalb habe ich dir auch diese Frage gestellt-tatsächlich sowas wie
einen diagonalen Blick nach hinten. Das mag jetzt erst mal bescheuert klingen,
aber die enorme Vielfalt des Gesehenen in dieser enormen Gedrängtheit lässt
mich nicht mehr gerade nach hinten schauen. Ich sehe overlapping images
sozusagen, aber außerhalb meines natürlichen Blickfelds. Es fühlt sich
anstrengend an, aber man blickt trotzdem. Ich muss dabei an meine Oma denken,
die schon immer im Nacken etwas Probleme hat und wenn ich im Auto hinter ihr
saß als Kind und etwas gezeigt habe, dann hat sie sich immer so gut es ging
umgedreht, um mich wenigstens zu erahnen. So geht es mir heute mit der
Diagonale.
Rainer: Ich
glaub, dass hab ich gerade nicht ganz verstanden... Ich bin mir aber ziemlich
sicher, dass deine overlapping images ganz andere sind als meine. Unsere Programme
haben sich ja kaum überschnitten. Was für dich Agnès Godard war, ist für
abstrakte Avantgarde - jetzt müssen wir nur noch ausknobeln was
"innovativer" war.
Patrick: Was
ich damit sagen will, ist dass ich überfordert wurde. Was gut ist. Und deshalb
kann ich kaum einen klaren Blick werfen, sondern eben eher einen diagonalen.
Ich denke, dass das Wort „innovativ“ im Kino nichts verloren hat. Aber so heißt
nun mal diese Förderanstalt für Avantgarde Kino in Österreich. Die
Unterscheidung halte ich für ziemlich daneben.
Rainer: Apropos
Förderanstalt: Haben wir uns eigentlich schon über dieses Protestvideo
bezüglich der Petition gegen die Abschaffung der Filmförderung unterhalten? Ist
ja eigentlich eine ganz nette Idee, nach dem zehnten Mal wird es aber etwas
ermüdend (peinlich war es bereits beim ersten Mal). Die Filmcommunity damit so
zu bombardieren erscheint mir ebenfalls nicht allzu überzeugend. Das sollten
doch viel eher andere sehen.
Patrick: Das ist lustig. Ich habe es nur einmal gesehen. Finde ehrlichgesagt auch nicht, dass man es oft genug zeigen kann. Geht ja darum die Petition zu unterschreiben und daher ist jeder Filmschaffende und Filmfreund der richtige Ansprechpartner. Irgendwie erscheint es mir sehr komisch, dass alles, was du zu dieser geplanten Kürzung der Fördergelder im Film/Fernsehabkommen des ORF zu sagen hast eher gegen die Filmschaffenden gerichtet ist. Es ist eigentlich gar nicht laut genug kommuniziert worden. Man sollte für diese Dinge kämpfen. Es ist überlebenswichtig. Aber du scheinst mir sehr dazu zu neigen, deinen eigenen Komfort über solche Dinge zu stellen.
Rainer: Die Petition finde ich gut. Habe ich auch schon unterschrieben.
Andererseits finde ich das Video und auch die Kritikpunkte unglücklich gewählt.
1.500 Jobs sind volkswirtschaftlich gesehen nicht wirklich eine Größe. Die
Erfolgsgeschichte des österreichischen Films kann man auch in Frage stellen.
Und das Video finde ich, wie gesagt, etwas peinlich. Ich habe es im Übrigen
mindestens sieben Mal gesehen - das geht einem dann doch auf die Nerven.
Patrick: Jemand, der sich wie du mit Film auseinandersetzt, sollte in der
Lage sein zu erkennen, warum da ein Arbeitsplatzargument genauso dazugehört wie
alle anderen vorgetragenen und von Barbara Pichler bei der Eröffnung ergänzten
Punkte. Daran ist weder etwas peinlich noch nervend. Finde es eher peinlich
diese Frage zu stellen. Aber laut deiner eigenen verallgemeinernden Aussage,
dass der österreichische Spielfilm sowieso keine Qualität hat, müsstest du doch
kein Problem damit haben, wenn es dafür weniger Geld gibt (auch wenn dann Dokus
auch betroffen sind.) Das mit dem Arbeitsplatzargument kannst du auch mal den
zahlreichen Filmschaffenden erklären, die kein Geld für ihre Jobs bekommen, die
sich Winter für Winter über Wasser halten müssen und ständig gezwungen werden
an Projekten zu arbeiten, die sie nicht interessieren können. Es gibt Menschen,
die verdienen tatsächlich damit ihr Geld, Rainer. Und es ist nicht peinlich
dafür einzustehen, egal wie viele es sind. Gerade, weil der ORF auch an anderer
Stelle von diesem Personal profitiert.
Rainer: Du
drehst mir die Worte im Mund um. Erstens, hab ich bereits klargestellt, dass
das Spielfilmargument scherzhaft gemeint war. Zweitens, ist mir durchaus
bewusst, dass es hier um 1.500 Einzelschicksale geht, die Zahlenspielereien, es
wird aber als wirtschaftliches Argument ins Feld geführt was ziemlich verblödet
ist. Wenn man sich ansieht welche Summen in die Hypo gepumpt werden, können
einen die 25 Millionen (die vermutlich auch getuned sind und auf der Annahme
beruhen, dass keiner der 1.500 einen neuen Job ergreift) ziemlich kalt lassen.
Auch den österreichischen Film als Exportschlager, gleich hinter dem
Neujahrskonzert, darzustellen ist ganz einfach unrichtig. Da kann der Haneke
Oscars und Palmen gewinnen so viel er will (und dann müsste man noch überlegen
wie "österreichisch" seine Filme überhaupt sind), Österreich wird in
der Welt in erster Linie als Land der Musik wahrgenommen - Salzburger
Festspiele, Philharmoniker, Mozart, Staatsoper. Dass dem so ist, DAS ist das
Versäumnis der österreichischen Kulturpolitik, nicht andersherum, dass diese
"Erfolgsposition" nun verloren geht. Diese Selbstbeweihräucherung ist
typisch für Österreich und da ist es einfach die Initiative als eine weitere
"Suder-Aktion" von vielen hinzustellen, da sie inhaltlich so dermaßen
aus der Luft gegriffen scheint. Noch dazu finde ich es irritierend, dass
kreative Filmschaffende es nicht fertigbringen einen etwas besseren Spot für
ihre Petition zu machen. Dieses Video lebt ja eigentlich nur von den paar
bekannten Gesichtern, die dann vielleicht noch irgendetwas Witziges von sich
geben (Ernie Mangold, Erwin Steinhauer).
Patrick: Du hängst dich halt an einem Argument auf und übersiehst dabei das große Ganze. Ich bin mir bewusst, dass du das wahrnimmst, aber wenn du eine öffentliche Plattform nur dafür verwendest dagegen zu schreiben, dann finde ich das ziemlich daneben. Die Qualität des Spots könnte seiner Dringlichkeit geschuldet sein und ist mir mit Verlaub völlig egal. Das ist ja kein Film, sondern ein Spendenaufruf. Dieses Video ist nicht an die Geldgeber gerichtet, sondern an die Unterzeichner. Da sind Einzelschicksale nicht verkehrt. Und am Ende des Tages geht es um Film und darum, dass es möglich ist diesen weiter als Kunst oder Industrie zu machen, zu leben und zu sehen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass sich ein Politiker oder ORF-Mensch diesen Aufruf ansieht und dann sagt, dass er jetzt alles ändert. Das scheint mir sehr naiv. Der öffentliche Druck, die Offensive der österreichischen Filmwelt kann da was verändern und in diesem Hinblick finde ich, dass das Video ein guter Schritt ist. Wenn Film deiner Ansicht nach aufgrund der Versäumnisse irgendeiner Politik keine große Relevanz hat (ein komisches Argument, da Filme aus Ländern Relevanz haben, die überhaupt keine kulturpolitische Unterstützung genießen), dann sag mir doch mal konstruktiv wie du einen solchen Spot gestaltet hättest?
Rainer: Also
ich hätte so einen Spot wahrscheinlich genauso gestaltet - aber ich bin auch
total unkreativ und habe keinerlei filmische Ausbildung. Dieser Spot kann dann
etwas verändern wenn er von Menschen gesehen wird - das geschieht dann, wenn er
im ORF läuft, was wahrscheinlich nicht passieren wird. Es war vielleicht zu
harsch von mir die Diagonale als die falsche Plattform für die Präsentation
hinzustellen - es ist sozusagen das Kernpublikum für den Spot, aber woraus soll
denn tatsächlicher Druck erwachsen? Film wird in Österreich nicht in gleichem
Maße als Kunst angesehen wie in anderen Ländern mit stärkerer cinephiler
Tradition, deshalb wird der Initiative auch die Unterstützung aus der breiten
Menge der Bevölkerung fehlen - noch dazu weil es heimische Filme hierzulande
unheimlich schwer haben überhaupt wahrgenommen zu werden (egal ob Kunstfilm
oder Unterhaltungsfilm) - da zieht das Fernsehargument wahrscheinlich sogar
besser. Ich bin glaube ich ganz einfach zu pessimistisch um an einen Erfolg
dieses Vorhabens zu glauben, der so konventionell vorgeht. Da glaub ich noch
eher dass der Essl seine Sammlung loswird - um 86 Millionen.
Patrick: Das
mag alles stimmen, aber es scheint mir trotzdem ein nobles Unterfangen. Damit
sind wir wieder bei innovativ, weil kreativ für mich ein genauso bescheuerter
Begriff ist. Was fandest du denn kreativ auf der Diagonale?
Rainer: Die
Programmierung der Kurzfilmprogramme. Die verschiedenen dokumentarischen Techniken in Stefan
Ruzowitzkys "Das radikal Böse". Fritz Langs Einsatz von Ton in
"M" - auch nach mehr als 80 Jahren. "Les Salauds" von
Claire Denis. Die Ausstellung "Decoding Fear" von und über James
Benning im Kunsthaus. Vieles eigentlich.
Patrick: Decoding Fear fand ich wunderbar. Und auch "Landscape Suicide",
den wir uns ja am letzten Tag und praktisch schlaflos angesehen haben am
Vormittag und der mich dennoch (trotz Müdigkeit) durchgehend faszinierte. Hast du etwas völlig Neues entdecken können?
Rainer: Was ist schon völlig neu? Das Festivalfeeling vielleicht.
Patrick: Damit meinte ich eher etwas völlig Neues für dich selbst. Das
Festivalfeeling war ja auch für dich selbst etwas Neues. Wie kamst du damit,
also mit dem vielen Schauen eigentlich zurecht? Neu gibt es nie, aber es gibt eigenwillig,
mutig, mich verändernd. Und das erwarte ich schon von einem Festival, weil es
ja am Puls der Zeit sein sollte. Ich bin daher irritiert, dass mich vor allem
ältere Werke nachhaltig beeindruckt haben. Vielleicht sollte ich das aber auch
nicht sein, schließlich glaube ich nicht, dass es sowas wie Vergangenheit im
Kino gibt.
Rainer: Was kann man von der Diagonale erwarten? Das ist halt ein sehr
spezielles Festival, das sich dadurch auszeichnet, aber auch einschränkt, dass
es die österreichische Filmlandschaft betrachtet - der Überblick über diese
Filmlandschaft war auf jeden Fall gegeben - Claire Denis ist nun mal
großartiger als das meiste, was österreichische Regisseure zu bieten haben - die
Frau ist eine Regisseurin von Weltrang, klar, dass ihre Filme mehr zu
beeindrucken wissen. Ich habe mich deshalb absichtlich auf den österreichischen
Aspekt konzentriert und die Retrospektiven und Specials eher gemieden, dafür
umso mehr österreichische Produktionen angesehen. Insgesamt waren es 82 Filme -
das ist schon eine ganze Menge und ich war heilfroh endlich mal wieder
vernünftig zu schlafen von gestern auf heute. An und für sich aber mehr Spaß
als Tortur, auch wenn es einige Mal recht schwer war wach sich wach zu halten -
gerade bei Filmen, deren Qualitäten darin bestehen einen tranceartigen Flow zu
erzielen, wie "Those who go Those who stay" oder "Calle
López". Was ich mich frage ist aber, wie es für dich als
Nicht-Österreicher ist, solch ein Festival zu besuchen. Hast du ein
überproportionales Nahverhältnis zum österreichischen Film oder erwartest du
dir durch die konzentrierte Konfrontation mit der Filmkultur eines Landes neue
Perspektiven?
Patrick: Ich denke nicht an Nationalitäten, wenn ich ins Kino gehe. Das Programm
war in diesem Zusammenhang ja auch mit genug Weltreisenden bestückt. Eben jene
beiden Filme, von denen du gesprochen hast, also „Calle López“ und „Those who
go Those who stay“ haben für mich sicher keine Nationalität. Ich hoffe, dass
man Filme auch ohne diese Kulturbezüge direkt auf sich wirken lassen kann und
erst in einem zweiten Schritt dann darüber nachdenkt. Wenn ich das tue, bemerke
ich keine Fremdheitsbarrieren, da zum einen die österreichische Kinolandschaft
viele nicht immer gute Parallelen zur deutschen aufweist, es oft genug deutsche
Co-Produktionen und deutsche Mitwirkende gab und ich natürlich schon eine Zeit
hier lebe. Es geht mir nie darum ein Kinoland kennenzulernen oder einzuordnen,
sondern immer um einzelne Filme und das was sie auslösen, wie sie das auslösen.
Wer mich kennt, weiß, dass ich immer gerne und viel über Film diskutiere und
streite, aber auf Festivals bekomme ich dann auch oft eine Müdigkeit, weil ich
das Gefühl habe, dass Filme von diesen ganzen Meinungen und Diskussionen,
Einordnungen und Preisen überfahren werden. Zumindest das was mit und in mir
durch den Film passiert, kann auf einem Festival gar nicht mehr zur freien Entfaltung
kommen. Das Einschlafen im Kino ist mir übrigens ein großes Rätsel. Es wird als
selbstverständlich erachtet und auf Festivals ist es ein normaler Gang. Ich
finde das mindestens fragwürdig. Sich dann aber dennoch über die Filme zu
äußern ist ziemlich lächerlich. Am besten fand ich da meinen Sitznachbarn bei „Landscape
Suicide“, der mehrmals einnickte im Film und nach dem Abspann sofort sagte: „Das
war sehr spannend.“
Rainer: Bin nicht ich neben dir gesessen in "Landscape
Suicide"?
Patrick: Nein, du hast weiter links geschlafen.
Rainer: Ich konnte mich nämlich nicht mehr daran erinnern das gesagt zu
haben. "Landscape Suicide" habe ich im Übrigen, obwohl der schlechten
Umstände, NICHT verschlafen. Dazu war der Film zu vielschichtig, zu komplex, zu
faszinierend.
Patrick: Ich
wollte die dumme Frage stellen, welchen Film du am Besten fandest. Ich tue es
hiermit.
Rainer: "Les
Salauds" von Claire Denis knapp vor
"Oktober November" von Götz Spielmann. Mehr will ich darauf gar nicht
mehr eingehen - auch ich bin etwas ausgelaugt in punkto Filmdiskussion. Wie
beantwortest du diese dumme Frage?
Patrick: Gar nicht. "Landscape Suicide" von Jammes Benning, „L’intrus“ von
Claire Denis, „Home“ von Ursula Meier, Those who go Those who stay“ von Ruth
Beckermann, "Calle López" von Lisa Tillinger und Gerardo Barroso Alcalá, Les salauds von Claire
Denis (war ja schon auf meiner Bestenliste letztes Jahr), „La Vie rêvée des
anges“ von Erick Zonka, „Picture Perfect Pyramid“ von Johan Lurf, „Der
Verlorene“ von Peter Lorre.
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