Der vorletzte Tag war geprägt von-man mag es kaum glauben-Filmen auf der Diagonale 2014, von der Rainer und ich morgen noch einen größeren Abschlussdialog veröffneltichen werden.
Rainer: Das Festival geht
dem Ende zu, und bis jetzt hast du noch kaum einen Film verrissen in unseren
Gesprächen, obwohl ich es doch so gern mag wenn du dich aufregst. Also: Bühne
frei!
Patrick: Wir können uns über
einen Film aus dem Kurzfilmprogramm unterhalten. „REM“ von Manuel Johns. Eine
Art Meta-Horrorfilm, der im Stil eines Wanne-Be but never heard of Edgar Allen
Poe eine junge Frau von einem Albtraum in den nächsten torkeln lässt und dabei
stets mit filmischen, nie aber mit stimmungsvollen oder diegetischen Mitteln
versucht , Schocks zu erzeugen. Es ist ein Meta-Horrorfilm, der nicht mal weiß,
dass er das ist, sondern der ganz fest daran glaubt wirklich unheimlich zu
sein, weil er irgendwelchen Anfänger-Regeln zum Thema „Wie kreiert der gute
Regisseur einen Schock“ befolgt. Schlimm ist, dass so etwas staatlich gefördert
wird und hier eine Spielfläche bekommt. Genre zu machen ist natürlich spannend,
aber dann sollte es nicht ein stupides Abfilmen alter Klischees sein. Aber wenn
mir der Regisseur, wie scheinbar viele dort, nach dem Film erzählt, dass er
kaum Zeit in der Vorbereitung benötigte, dann muss man sich nicht wundern.
Manche anderer rühmt sich sein Drehbuch in einer durchzechten Nacht geschrieben
zu haben. Das ist lächerlich. Hast du eine Wut auf verschiedene Filme
entwickeln können.?
Rainer: Ich bin in dieser
Hinsicht nicht so passioniert. Einige Male war ich aber schon schockiert - aus
verschiedenen Gründen. Gestern war ich z.B. in "High Performance" von
Johanna Moder um mir meinen Liebling Manuel Rubey anzusehen. Der Film war
"nett", in den Filmolymp wird er es nicht schaffen, aber er war
unterhaltsam und somit zweckerfüllend. Danach kam das Publikumsgespräch und die
junge Filmemacherin kommt auf die Bühne. Da habe ich mir noch gedacht:
"Good job! Ambitioniertes Projekt für das Alter" - Dann hat sie
gesagt, dass "High Performance" ihre Abschlussarbeit an der
Filmakademie war, und für mich ist die Welt zusammengebrochen. Da studiere ich
jahrelang an einer Kunstakademie (und nichts anderes ist die Filmakademie) um
dann SO einen Film zu machen? Wie wenn man Malerei studiert und eine
Gerichtszeichnung als Abschlussarbeit abgibt. Sonst fand ich die aufdringlich
manipulative Art von "Kick Out Your Boss" und "Everyday
Rebellion" etwas unsympathisch, wobei letzterer wenigstens auf emotionaler
Ebene funktioniert und den Revoluzzer in mir herausgekehrt hat. Unreflektierte
Polemik braucht aber Komik und wenigstens ein Mindestmaß an Selbstironie (à la
Michael Moore) um zu reüssieren.
Patrick: Ich bin mir nicht
sicher, ob die Filmakademie wirklich zwangsläufig eine Kunstakademie ist. In Deutschland
gibt es ja nicht umsonst immer Diskussionen an den Filmschulen über deren Nähe
zu Markt. Ich glaube, dass das sehr
perspektivabhängig ist und ich glaube, dass Filmschulen jedem die Möglichkeiten
geben sollten, sich in die Richtung zu entwickeln, die dem einzelnen
Filmschaffenden selbst vorschwebt. Es wäre schön, wenn es dort wirklich ein
künstlerisches Verständnis gibt. Dazu fehlt mir aber der Einblick. „Sitzfleisch“
von Lisa Weber war ja sehr beliebt, den habe ich leider nicht gesehen. (Sie
studiert ja auch dort) Wie erging es dir auf der Abschlussparty?
Rainer: Ich hatte Mühe
hinzukommen, da die Grazer Öffis etwas exzentrisch sind (die Nightlines fahren
nur stadtauswärts - was soll das bitte?) und für meine Verhältnisse war ich
nicht allzu betrunken. Ein voller Erfolg könnte man sagen. Nur den ohnehin
spärlichen Schlaf hat mir diese Unternehmung noch verkürzt.
Patrick: Ich weiß, dass ein Festival
immer auch ein Branchentreffen ist, aber ich finde auch (ohne, dass man das
ändern könnte), dass diese Kontaktbörsen dort und dieses Marktgesülze den
Filmen im Weg stehen. Das ist eine sehr naive Ansicht und ich mag, dass ich sie
habe. Da beginnt man dann erst Filmemacher zu schätzen, die sich dem scheinbar
völlig entziehen. Gestern haben wir uns zusammen unseren einzigen Peter Lorre
Film hier angesehen: „Der Verlorene“…was war dein Eindruck?
Rainer: DEIN einziger Peter
Lorre Film. Ich war am Dienstag bereits in "M". "Der
Verlorene" kann da nicht ganz mithalten, ist aber filmisch auf einem sehr
hohen Stand. Lorre hat sich augenscheinlich einiges abgeschaut von seinen
Regisseuren in Amerika. Schade, dass es nur bei dieser einen Arbeit von ihm als
Regisseur blieb - diese psychologische Tiefe und bewusste Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit findet man im deutschen Kino der 50er ansonsten kaum.
Patrick: Ich fand ihn aus
ganz anderen Gründen bemerkenswert. Dieses beiläufige Spiel in den
dramatischten Situationen, das interessante und zum Teil sehr spannend
inszenierte Wechselspiel zwischen Rahmenhandlung und Flashback. Die Komik des
Grauens, wenn man so will und diese Souveränität, die wie du ganz richtig
sagst, auf große Einflüsse im Werk von Lorre hinweisen. Es war gut, dass gemacht
zu haben, auch wenn wir im Anschluss den vielleicht hektischsten Kinowechsel
der Woche hingelegt haben, als wir nur wenige Minuten hatten bis wir in „Les salauds“
waren. Ich hatte den ja bereits in Cannes gesehen und fand ihn gerade beim zweiten
Mal außergewöhnlich gut. Allgemein fällt mir auf, dass mein Interesse hier
nicht unbedingt an neuen Filmen festzumachen ist. Aber dann ist es ja so, dass
Film keine Vergangenheit kennt, sondern nur Gegenwart.
Rainer: Also den
hektischsten Kinowechsel habe ich am Vortag gemacht. Sechs Minuten zu Fuß vom
Rechbauer-Kino zum Schubertkino (wer nicht weiß wo das ist, bitte googlen) - da
habe ich ordentlich geschwitzt. Jetzt habe ich dir deinen schönen pathetischen
Abschlusssatz gestohlen.
Patrick: Und zwar für eine
Information, die dich selbst lobt. Aber das passt vielleicht zu manchem Beitrag
im Festival. Masturbation ist beliebter als Pathos oder ist Pathos auch
Masturbation?
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