Auch am vierten Tag leben Rainer und ich noch und finden irgendwo die Energie uns über das Gesehene nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu streiten. Das ist beruhigend.
Patrick: Also zunächst einmal ist mir nochmal etwas aufgestoßen bezüglich
unseres gestrigen Gesprächs: Wie kommst du eigentlich zu der Annahme, dass
Österreich nur in Avantgarde- und Dokumentarfilmen Qualität hat? Ich finde das
sehr falsch. Österreich hat wahnsinnig interessante Filmer meiner Meinung nach,
also auch im Spielfilmbereich.
Rainer: Das war grobe Verallgemeinerung. Natürlich gibt es auch tolle
Spielfilme in Österreich. Ich denke aber, man kann in den Spielfilmprogrammen
ganz schön auf die Nase fallen, wenn man sich mit falschen Erwartungen in einen
Film wie z.B. "Die Werkstürmer" oder "Bad Fucking" begibt.
Das ist der repräsentativen Vielfalt geschuldet, die das Festival aber durchaus
haben soll. Im Zweifelsfall habe ich in meiner Programmgestaltung aber Dokus
und Avantgardefilme vorgezogen, da in diesem Bereich meines Erachtens
Interessanteres geschieht. Hat auch nicht hundertprozentig funktioniert - so
viel kann ich dir verraten.
Patrick: Du leidest also an jenem Syndrom, das mir sowohl bei Kritikern
als auch allgemein im Filmbereich so weit verbreitet scheint. Man redet
leichter als man sieht? Ich finde das schade. Es ist natürlich immer die Frage,
inwiefern zwei junge Autoren dann überhaupt ihre Meinung kundtun sollten, aber
prinzipiell sollte gerade Polemik immer argumentiert sein. Diesen Überrest hast
du aber in jedem Filmland. Das ist normal. Das Vielfaltsargument ist
gewissermaßen unfuckable. Du hast „Bad Fucking“ doch gar nicht gesehen, oder?
Rainer: Er steht für eine gewisse Art von Film über die ich mir zu
urteilen erlaube, selbst wenn ich den nicht gesehen habe. "Movie 43"
habe ich auch nicht gesehen und bin mir aber sicher, dass er tatsächlich
richtiger Schrott ist.
Patrick: Lieber reden als sehen. Was hast du denn gesehen, über das du
reden möchtest?
Rainer: Wir müssen uns über "Calle López" unterhalten. Den hast
du sehr gemocht, wenn ich mich recht entsinne. Ich kann mich diesem Urteil
leider nicht bedingungslos anschließen. Meiner Meinung nach hätte der Film in
Kurzform besser funktioniert. Vierzig Minuten davon wären genau die richtige
Länge gewesen. Die doppelte Länge war dann doch etwas ermüdend. Ich hatte
danach aber auf jeden Fall Appetit auf Paella und Tacos.
Patrick: Der Film hat diese zyklische Form, die meiner Meinung nach
tatsächlich Länge braucht, da man ansonsten ja aufgrund der Poesie im Film gar
nicht bemerken würde, wie schmerzhaft das Leben dieser Menschen ist und wie zehrend.
Ich hatte das Gefühl, dass der Tag und das Leben immer mehr zur Qual und zum
Überleben wurden. Fand die Länge daher sehr richtig.
Rainer: Die Bilder waren auf jeden Fall sehr schön und auch das
Schwarzweiß, dem ich anfangs eher skeptisch gegenüberstand, hat sich gut
gemacht.
Patrick: Warum stehst du schwarz&weiß skeptisch gegenüber?
Rainer: Nur wenn ich vermute, dass es sich um einen inszenatorischen
Trick handelt, der die Coolness des Films pushen soll. Aber das war bei "Calle
López" nicht der Fall.
Patrick: Okay. Ich habe noch einen Zusatz zu unserer Suche nach dem
besten Kino zu machen. Die Saalregie im KIZ Royal, scheinbar der Sohn des Produktionschefs
ist ein wahres Highlight bei seinen Ansagen und seinen Bitten um das
Ausschalten der Handys. Eine Mischung aus Statue und Komiker, aus Tänzer und
Karikatur. Und er sagt dabei sehr richtige Sachen.
Rainer: Der ist glaube ich schon jedem hier aufgefallen. Dennoch sagt mir
das KIZ Royal nicht zu. Das wirkt zu sehr wie klassisches Matinee-Kino für alte
Damen, wenn du verstehst was ich meine.
Patrick: Ja absolut. Gestern habe ich dann auch das erste Programm im Bereich
Innovatives Kino gesehen. Konnte nicht so viel mit den Q&As anfangen wie
du, vielleicht war es bei dir etwas interessanter. Die Filme fand ich sehr
spannend und wie du sagtest aufregend programmiert. Nach so einem langen Tag
Optical Sound Rhythmus Orgien zu sehen, hat schon was.
Rainer: Ich habe mittlerweile alle Programme dieser Reihe durch, und das
Erste ist in meinen Augen nicht nur das am besten programmierte, sondern hat
auch die besten Einzelfilme. Gestern Nacht habe ich noch Programm 3 gesehen,
dass auch sehr gut war, auch wenn ich da leider schon etwas ausgelaugt war von
dem langen Tag. Im Programm 3 ging es mehr um die Grenzen zwischen Animation
und Live-Action und auch um den Film im Youtube-Zeitalter. Wer David OReilly
mag, sollte sich Helmut Munz' "Construction of ANSTALT 3000" zu
Gemüte führen.
Patrick: Schön jedenfalls wie diese Filme immer noch oder gerade heute
auf großes Unverständnis in weiten Teilen des Publikums stoßen. Sehr
verhaltener Applaus und viele Walk-Outs. Wieder mal außerordentlich beeindruckend
war die Agnès Godard-Retro, diesmal mit „Home“ von Ursula Meier. Ich frage mich
wie dieser Film bislang so an mir vorbeigehen konnte. Eine Art naturalistische
Parabel über Heimat, erzählt anhand eines wahnsinnig vielschichtigen Drehbuchs
über eine Familie, die direkt an einer Autobahn wohnt, welche zunächst nicht
geöffnet ist und dann öffnet.
Rainer: Hast du schon alle Filme der Retro durch?
Patrick: Ich habe jetzt alle gesehen außer „Wild Side“. „Beau Travail“
und „Les Salauds“ habe ich bereits außerhalb des Festivals gesehen, wobei ich
mir letzteren nochmal ansehen werde. Spannend an Festivals finde ich ja immer,
das Festival, das passiert ohne dass man es mitbekommt. Ich komme beispielsweise
nicht zu Manfred Neuwirth oder zu Kurzdokumentarfilmen.
Rainer: Man muss halt Entscheidungen treffen. Besonders einfach fällt mir
das heute. "Best of Austrian Animation", mein persönliches Highlight
des Festivals wartet.
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