Zu den
absoluten Highlights auf der diesjährigen Diagonale gehörte sicherlich die
Retrospektive für Agnès Godard. Die französische Ikone der Kameraarbeit ist vor
allem für ihre Arbeit mit Claire Denis bekannt. Seit Anfang der 1990er arbeitet
sie mit Denis, die sie bei Wim Wenders spannender Dokumentation „Chambre 666“
kennenlernte und von da an nicht mehr losließ. In Graz wurden drei ihrer
Arbeiten mit Denis („L’intrus“, „Beau travail“ und „Les salauds“) gezeigt sowie
drei weitere („La Vie rêvée des anges“, „Wild Side“ und „Home“). Die großen
Leinwände und die Projektionen auf 16mm, 35mm und DCP zeigten eine Kamerafrau
am Puls der Zeit, die in ihren Bildern Zeit pulsieren lässt. Sich eine Woche
gezielt auf ihre Arbeit einzulassen, kam einer Offenbarung gleich. Die Frage
nach der Autorenschaft ihrer Bilder stellte sich mir, da sie in jedem Film
erkennbar waren, obwohl sie sich auch immer dem Film unterordnete. Immer wieder
wurde ein Zitat von A. Godard selbst bemüht, indem sie sagt, dass Kameraarbeit
für sie wie tanzen wäre. Gewissermaßen trifft das auch zu, denn die ständige
Bewegung um Körper und Berührungen gleicht einer Choreographie des Lebens, kein
Wunder, dass Denis&Godard sich mit „Vers Mathilde“ dokumentarisch einer
Choreografin gewidmet haben. Aber gleichzeitig reduziert der Begriff des
Tanzens die handwerkliche Perfektion und die malerische Komponente das Schaffen
von Godard. Ihre Arbeit definiert sich über deutlich mehr:
1.Farben
2.Nah und
Weit
3.Atmen
4.Körper
5.Pars pro
toto
Farben
Die rosa
Konditorei mit ihren hellblauen Tropfen in sexuell-kindlicher Aufladung in „Nénette
et Boni“, die rot-blaue Kraft, die in „La Vie rêvée des anges“ durchs Bild
springt und aus ihm herauszukommen scheint, die gelb-blauen Landschaften in „Beau
travail“, die den weißen und lichtdurchfluteten Wüsten, in ihren Filmen ein Denkmal
setzt, das Schwarz, das gleich einer Farbe über die toten Bilder von „Les
salauds“ drückt und seinen Höhepunkt in einer Fahne findet, die auf dem
Abschleppwagen des verunglückten Autos weht und schließlich die orangenen
Nächte, die in ebenjenem bis dato letzten Film von Denis die regennassen
Straßen in warmer Feuchtigkeit zu Grunde gehen lassen und in „35 rhums“ die
Gesichter der Verlorenen mit Wärme befluten. Dieses Gespür für Farben entwickelt
sich durch eine präzise und intensive Zusammenarbeit mit Szenenbild, Kostüm,
Maske und natürlich Licht. Filme, bei denen A.Godard die Kamera führt, wirken
immer wie ein einheitliches Werk, egal, ob sie sich nur in einem einzigen Haus
aufhält oder um die ganze Welt reist. Ihre Farben zeigen das Innenleben der
Figuren und die Stimmung der Welt an, in der sie leben und überleben müssen.
Auffällig auch wie detailliert dieser Umgang mit Farbe ist, denn wenn man in
einem Film wie „La Vie rêvée des anges“ beispielsweise rot als wichtige Farbe
wahrnimmt, wird man ständig rot in den Bildern entdecken und sei es nur in
kleinen Figuren auf den Nachttischen im Hintergrund. Dadurch wirken die Bilder
trotz ihres losgelösten Framings absolut zusammengehörig und versetzen den
Zuseher in eine Stimmung, aus der er sich nicht mehr befreien kann.
Nah und Weit
In ihrem
Werkstattgespräch machte A.Godard darauf aufmerksam, dass sie nur äußerst
ungern Objektive während eines Films wechseln würde. Sie würden sich lieber festlegen
und dann mit ihrer Entfernung zu den Figuren und Objekten variieren. In der Tat
ist äußerst auffällig, dass sie sich, als wäre sie die Kamerafrau von Sergio Leone,
vor allem um weite und nahe Einstellungen bemüht. Nur selten wird man
Halbtotalen oder amerikanische Einstellungen in den Filmen von A.Godard sehen.
Wenn sie nah ist, dann ist sie wirklich nah, dann ist es fast unkontrolliert,
impulsiv, sensibel. Und wenn sie weit weg ist und die Landschaften, wie
beispielsweise in „Beau travail“, wie Oberflächen mit Farben und Formen
betrachtet, Reliefs zeichnet gewissermaßen, dann lässt sie damit häufig auch
nur Raum für die selbe Impulsivität des Schauspiels, die sie in den nahen
Einstellungen findet. Bei Godard ordnet sich die Einstellung immer der Freiheit
des Schauspiels unter. Im Workshop zeigt sie konsequenterweise die Schlussszene
aus „Beau travail“, in der Denis Lavant tanzt. Sie beschreibt, dass niemand am
Set wusste, was passieren würde und sie sich deshalb für eine weitere
Einstellung entschieden habe. Es fällt auf, dass sie in der Arbeit mit Claire
Denis eine unheimliche Freiheit genießt, die vor allem daraus resultiert, dass
sich die beiden bezüglich der groben Vorstellung von Bildern sehr ähnlich sind.
Nah kann bei A.Godard auch bis zur völligen Unkenntlichkeit gehen, sie dringt
manchmal in ihre Figuren ein und kommt dadurch zur Gefühlsessenz des durch
Bilder Möglichen. „Vendredi soir“ ist ein solches Beispiel. Ein Film, der sich
immer wieder in Unschärfe verliert. Man könnte sagen, dass Godards Bilder gar
nicht erst versuchen zu existieren, sie verflüchtigen sich in einem Rausch, sie
sind ständig auf der Flucht vor sich selbst und bleiben eben immer in den
Extremen des Augenblicks, die sich mit Nahen und Weiten am besten
manifestieren.
Atmen
A.Godard ist
eine große Freundin der Handkamera. Sie hat in den Publikumsgesprächen immer
wieder betont wie die Entscheidung für eine Kamera auch eine Entscheidung
bezüglich der Schwere der Kamera war, obwohl sie sich dann doch immer mehr
Schmerzen zugefügt hatte, als sie intendierte. Es herrscht immer Bewegung in
ihren Bildern, sie schwenkt die Körper ab in einem Rhythmus, der vermuten lässt,
dass sie den exakt selben Herzschlag wie die Figuren hat. Das Atmen kommt wohl
jenem gleich, was sie selbst als Tanzen beschrieben hat. Dabei sei natürlich
auch erwähnt, dass dieses Gefühl nur in Vermischung zu Schnitt und Musik
funktionieren kann. Auffällig aber, dass ihre Kamera sich immer wieder auf den
Prozess des Atmens selbst stürzt, die Lippen und den Mund ihrer Figuren
fokussiert und über ihn hinweg streift. In ihren Bildern ist zudem ein
ungeheurer Respekt vor Schauspielern und deren Körpern zu spüren, sie nähert
sich immer mit Anmut und auf der Suche nach einer äußeren Wahrheit, nie auf der
Suche nach Fehlern oder dem Unechten. Hunde, Pferde oder Katzen in den Filmen
zeigen diese animalische Kraft hinter den Bildern, die unberechenbar sind.
A.Godard hat eine ungeheure Fähigkeit in undurchschaubaren Situationen die
richtigen Entscheidungen zu treffen. Die häufigen Improvisationen und das
schnelle Folgen in unerwartete Regionen verlangen ein äußerst effektives
Lichtkonzept sowie das Atmen der Kamera mit der Szene. Ihr Interesse scheint
immer zuerst der Szene, der Psychologie, der Stimmung zu folgen, und im zweiten
Schritt erst der Technik, der Perfektion. Vielleicht ist das zu einfach gesagt,
denn ähnlich der großen Poeten scheint bei ihr Form und Inhalt aus einer
Bewegung heraus zu entstehen.
Körper
Love me
tender, wäre eine Beschreibung für die gleitenden Studien von Haut und
Kleidung, von der Berührung zweier Körper. In „L’intrus“ liegt der Protagonist
zu Beginn nackt am Waldrand. Irgendwann umarmt er einen seiner Hunde und man
spürt fast die Wärme (auch wenn man sich ein wenig unwohl fühlt). Und selbst in
den digitalen Bildern von „Les salauds“ vermag sie Plastizität zu finden, weil
sie weiß und schwarz gegeneinander setzt und die Tiefenschärfe der Red Epic auf
die Poren der Haut überträgt. Es gibt Szenen wie in „La Vie rêvée des anges“
oder auch am Ende von „Les salauds“ und eigentlich immerzu in „Vendredi soir“
da schläft sie selbst mit ihren Figuren, da wird die Kamera zum Partner, der
angeschaut wird, angehaucht wird und der die Blicke nicht erduldet, sondern
fordert und verlangt. Ihre Bilder drücken ein verlangen nach Körperlichkeit aus
jenseits aller Geschlechter. In „Beau travail“ zeichnet sie den männlichen
Körper, der in einer Anspannung sexuell wie aggressiv erregt ist, sie blickt
nie auf ihre Dinge, ohne sie zu fühlen. Nacktheit bekommt bei A.Godard immer
den Anstrich eines völlig naturalistischen Gemäldes. Dort verbinden sich
gewissermaßen ihre Sensibilitäten für Farbe, Bewegung, Material und Nähe. Das
bedeutet nicht, dass Körperlichkeit immer gut aussieht oder nett ist. Ganz im Gegenteil,
hier geht es um eine Lebendigkeit, die den Figuren und Filmen gerecht wird und
durchaus brutal und entblößend sein kann. Aber in Körpern liegt eben auch immer
Würde und diese vermag A.Godard einzufangen.
Pars pro toto
Mit Pars pro
toto ist gemeint, dass bei A.Godard immer ein Detail im Vordergrund steht, das
für etwas viel Größeres steht. Dabei findet sie effektive, rein filmische
Einstellungen, die man in dieser Art nur bei ihr findet. Ist ein Mann erregt,
kann es sein, dass sie sich auf Höhe seiner Hüfte bewegt, oft zeigt sie
Berührungen nur durch eine Nahaufnahme der Hände. Dabei fällt auf, dass die
nächste Einstellung selten eine Totale ist, sondern ein weiteres Detail, als
würden sich die Filme in diesen Details, die das Zwischenmenschliche
definieren, verlieren. Diese Fokussierung auf Details hängt natürlich sehr eng
mit der elliptischen Erzählweise von Denis und der Körperlichkeit ihrer Filme
zusammen. Dennoch finden sich immer wieder völlig ungewöhnliche Detailaufnahme
in der Art die Welt und Menschen zu betrachten bei A.Godard. Sie dekadriert den
menschlichen Körper ohne ihn zu zerstückeln. Eine Bewegung des Fingers kann
dann die ganze Welt der Figur ausdrücken. Fast scheint es als würden die
Körperteile mit der Kamera spielen, als würde sie die Kamera erst
komplettieren.
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