Meine
letzten beiden Beiträge beschäftigten sich zum einen mit Luchino Viscontis
gelungener Dostojewski Adaption „Le notti bianche“ und zum anderen mit der
naiven Verwendung von POV-Einstellung als Ersatz für die erste Person in der
Literatur. Wundervoll, dass Visconti eine Brücke schlägt mit seiner Camus
Verfilmung „Lo straniero“. Ein Film, bei dem einen aufgrund der bloßen Namen
das Wasser im Mund zusammenlaufen muss. Visconti wagt sich nach Dostojewski und
vor Thomas Mann an Albert Camus; seine Neigung sich den Göttern der
europäischen Literatur zu nähern, das Unverfilmbare in Bilder zu kleiden,
bleibt ein wichtiger Strang in seiner Karriere. Unterstützung hat er dabei
unter der allmächtigen Produktion des Dino de Laurentis von einem spektakulären
Cast. Mersault wird vom ewig denkenden Marcello Mastroianni verkörpert, dem
Visconti selbst in „Le notti bianche“ eine anti-felliniesque Leichtigkeit in
manchen Szenen entwenden konnte und seine Freundin Marie wird von Anna Karina,
Godards langjähriger Seelenmuse gespielt und wenn man nur diese Namen vor sich
hat und das Buch kennt, dann scheint sich der Film von selbst zu drehen.
Das hatte
wohl auch Visconti gedacht und einen zu großen Teilen völlig lustlosen
Abklatsch hingelegt, in dem er zwar ganz nahe am Plot der Vorlage bleibt, aber
nicht im Ansatz etwas von der Stimmung geschweige denn der existentialistischen
Gleichgültigkeit, aus dem eigentlich so geeigneten Gesicht von Mastroianni zu
holen vermag. Nach einer emotionslosen Beerdigung seiner Mutter lebt Mersault
so in den Tag hinein. Er lernt Marie kennen und beginnt eine Beziehung mit ihr.
Ohne Ehrgeiz und Gefühl geht er durchs Leben. Eines Tages ist er am Strand und
es ist heiß wie es allgemein die ganze Zeit sehr heiß ist im Algerien der 30er
Jahre. Sein Freund Raymond hat Ärger mit einigen Arabern, da er Streit mit
einer arabischen Frau hatte. Es kommt zum Streit und völlig passiv erschießt
Mersault einen der Araber. Er kommt vor Gericht und erlebt die Verhandlungen
wie ein Zuseher. Er verneint bis zum Ende jede größere Idee jenseits einer
irdischen Existenz wird zu Tode verurteilt. Gleichgültigkeit ist eine
Lebensphilosophie von Mersault, aber die filmische Gleichgültigkeit von
Visconti hat nichts damit zu tun. Wo ist er hin, der große Stilist, der er
zuvor und auch danach noch war?
Voller
Cut-Away Bilder stecken die Beschreibungen von Camus, voller Ablenkung und
Leben, wogegen es bei Visconti nur die bleiche Handlung gibt. In dieser
Beschränkung ist nichts verborgen, aber statt diesen Weg konsequent zu gehen
und das Nichts sozusagen zum Stil zu machen, versucht er sich keinen Deut
besser als Julian Pölsler in seinen aufgenommenen Monologen aus „Die Wand“, auf
eine höhere Ebene zu heben, indem er die Gedanken seiner Person als Voice-Over
mehr oder weniger aus dem Buch übernimmt. Diese Art Literatur zu filmen, hat
wenig mit Film zu tun. Hier wird ausgerechnet von Visconti so getan als hätte
es André Bazin und seine Freunde von Murnau, von Stroheim bis zu Rossellini und
ja Visconti nie gegeben. Visconti glaubt in „Lo straniero“ nicht ans Bild. Es
ist ein Produktionsfilm, dem jegliche Inspiration fehlt, der nicht im Ansatz an
Stimmung und Gedanken einer Vorlage kommt, die er doch so penibel genau
verfilmt. Dieser Film ist nur für jene geeignet, die zu faul sind zu lesen und
sich nur mit dem Inhalt beschäftigen wollen und nicht damit, worum es in dem
Buch wirklich geht. Anna Karina wird in Fantasien des regulären Cinephilen
geworfen. Sie lacht im Kino, sie weint und sie ist nackt zu sehen. Sie spielt
belanglos. Mastroianni hat es schwer in seinem 30er Jahre Schwimmanzug, der den
Regisseur anscheinend mehr begeistert hat als die tatsächliche Person dahinter.
Absurdität wird in „Lo straniero“ durch völlig unpassenden Humor ersetzt.
Die
Hitze-und das ist der größte Vorwurf, den man Visconti machen kann- ist nicht
spürbar. So wundervoll er einige Jahre später in „Morte a Venezia“ vermag, die
schwüle Luft greifbar zu machen, so sehr verkommt die Hitze zum narrativen
Zweck, die nur dann auftritt, wenn sie verlangt wird. Schweiß, ein Zoom zur
Sonne, wild geschwungene Fächer vor Gericht. Gleichgültigkeit und Leiden heben
sich bei Visconti dort auf, wo sie bei Camus etwas Größeres entstehen lassen,
nämlich eine Gleichgültigkeit, die aus dem Leiden entsteht. Bei Visconti ist
die Gleichgültigkeit schon da, weil er zu viel Respekt vor dem Buch hat. Hat er
in „Le notti bianche“, „Ossessione“ oder „Morte a Venezia“ die Geschichte der
Protagonisten verfilmt, so verfilmt er hier einen Klassiker der Literatur.
Angeblich gab es rechtliche Schwierigkeiten und Visconti konnte nicht seine
ursprüngliche Vision umsetzen. Am Ende wirkt der Film wie eine merkwürdige
Auftragsarbeit, in der nur in manchen Einstellungen und in der durchgehenden
Schönheit der Bilder die Sprache von Visconti durchklingt. Die Ich-Erzählung
der Vorlage ist nur in den Voice-Over Passagen erkennbar und sie verkehrt sich
in ein Zitatespiel ohne jede Identifikation, in ein „Mastroianni liest Camus“.
Der Einfluss
von Camus auf Filmemacher liegt nicht in dieser Adaption. Es sind die Schwenks
bei Michelangelo Antonioni, das Interesse am Leben um die Personen herum; die
emotional getöteten Figuren aus „I deserto rosso“ oder „L’eclisse“, er findet
sich im Gesicht von Jack Nicholson in den Filmen von Bob Rafelson Anfang der
70er Jahre, er findet sich auch in der Gleichgültigkeit von Mastroianni bei
Fellini, wenn er zum Beobachter seines eigenen absurden Lebens wird. Bei
Visconti scheint leider eine andere Sonne als sonst, es ist eine akademische
Abhandlung, eine Bearbeitung, die in keiner Sekunde über sich selbst
hinaussieht.
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