Text: Rainer Kienböck
Fällt der
Name Gillo Pontecorvo, denkt man zuerst an „La battaglia di Algeri“. Das
Österreichische Filmmuseum widmete Pontecorvo letzten Monat eine Retrospektive,
die es mir ermöglichte auch seine restlichen Langfilme zu sehen. Es sind fünf
an der Zahl (inklusive „Battaglia“), aber nur den „Vergessenen Vier“ ist dieser
Beitrag gewidmet.
Eine
Chronologie
Pontecorvo
kommt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Pisa in der Toskana. Er
studierte kurzzeitig Chemie, schloss das Studium jedoch nie ab. An der
Universität lernte er jedoch jene politischen Kräfte kennen, die sein weiteres
Leben und seine Filmkarriere bestimmen sollten. Um dem wachsenden
Anti-Semitismus zu entfliehen übersiedelte er 1938 nach Frankreich – in sein
Heimatland sollte er erst Jahre später an der Spitze von Résistance-Truppen
zurückkehren.
Nach einer
kurzen journalistischen Laufbahn widmete er sich Dokumentarfilmen, von denen er
ab 1953 vier Stück fertigstellte. Sein erster Spielfilm, „La grande strada
azzurra“ feierte 1957 Premiere, es folgten „Kapò“ (1960), „La battaglia di
Algeri“ (1966), „Queimada“ (1969) und „Operación Ogro“ (1979). Nebenher war
Pontecorvo aber weiterhin als Dokumentarfilmer tätig und beteiligte sich auch
an diversen Episodenfilmen.
Pontecorvos
Filmschaffen ist eklektisch – sein Stil ist nicht Festzumachen, nur ein roter
Faden zieht sich durch sein Oeuvre: die politische Linke. Vielseitigkeit und
Politik – das ist Pontecorvo.
Der
Heimatfilm
Pontecorvos
Spielfilmdebüt betrachte ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits wirkt der Film
wie ein aufgeplusterter Versuch in Neo-Realismus, andererseits zeugt er bereits
von der politischen Agenda die Pontecorvos restliches Schaffen bestimmen
sollte. Für mich ist „La grande strada azzurra“ eine Art Heimatfilm.
Alpenpanorama und Wilderer als Anti-Helden wie deutschsprachige Heimatfilme hat
er zwar nicht zu bieten, dafür Dynamitfischer und die dalmatinische Küste. Man
fällt leicht in Versuchung diesen Film zu belächeln, so extrem ist das Blau des
Meeres, so melodramatisch überhöht ist die Handlung, so unpassend ist Yves
Montands newmanesques Auftreten. Es scheint Pontecorvo orientierte sich
thematisch an den neorealistischen Meistern des vorherigen Jahrzehnts, strikter
Formalismus ist seine Sache nicht und so kombiniert er neorealistisches Milieu
mit kreischenden Farben und gebräunten, gutaussenden Fischern. Die politische
Botschaft kommt auch recht plump daher: Der einzige (illegale) Dynamitfischer
des Dorfes riskiert Kopf und Kragen um der Küstenpolizei zu entkommen, während
die restlichen Fischer sich zu einer Kooperative zusammenschließen und sich
eine Kühltruhe beschaffen um nicht mehr von den Preisen des örtlichen
Großhändlers abhängig zu sein. Der Anti-Held sprengt sich schließlich selbst in
die Luft, während die unterdrückten Fischer in ihrer Genossenschaft einer
rosigen Zukunft entgegensehen.
Nazis, Juden
und Russen
Pontecorvos
zweiter Film „Kapò“ hat seine Bekanntheit v.a. einem zu verdanken – Jacques
Rivette. Dieser wirft Pontecorvo in seiner Streitschrift „De l’abjection“
(1961) Voyeurismus und Pornographie vor. Er bezieht sich dabei auf die Szene in
der sich Emmanuelle Riva in den Elektrozaun des Arbeitslagers wirft und so
Selbstmord begeht. Pontecorvo wurde in cinephilen Kreisen, jenen der
ästhetischen Linken daraufhin zur Persona non grata. Mir erscheint Rivettes
Kritik übertrieben wenn auch nicht haltlos. Eine Kamerazufahrt auf die tote
Hand, der am Zaun hängenden Riva mag der ästhetischen Linken wie Frevel
vorkommen, Fakt ist, dass sich Pontecorvo nie an restriktive formale Kriterien
gehalten hat, sondern sie immer seiner politischen Erzählung untergeordnet hat.
Wie so viele
Autoren, widme ich dieser obsoleten Diskussion aber bereits zu viel Raum. Über
50 Jahre sind vergangen, und seither haben nur wenige Filme es geschafft, die
psychischen Folgen eines KZ-Aufenthalts so zu bebildern wie Pontecorvo es tut.
Die Protagonistin Edith, eine Jüdin, kommt 14-jährig in Gefangenschaft und
verrät sich und ihre Mithäftlinge um zu überleben. Ein Überlebenskampf, vor
allem auf mentaler Ebene. „Kapò“ zeigt wie normale Menschen zu Bestien und
Verrätern werden. Aus „La grande strada azzurra“-Tagen übernimmt Pontecorvo
dabei bloß die völlig unnötige Liebesgeschichte von Edith mit einem russischen
Kriegsgefangenen, die dem Film einiges an Biss raubt. Dennoch ist in den drei
Jahren zwischen den beiden Filmen eine Zäsur geschehen – „Kapò“ ist grimmig,
grau und zynisch.
Quasi als
Antwort auf Rivettes Kritik, und nach sechs Jahren Pause, erscheint Pontecorvos
magnum opus „La battaglia di Algeri“. Wie bereits erwähnt möchte ich hier nicht
näher auf den Film eingehen. Doch auch hier zeigt sich wieder die unfassbare
Bandbreite an Stilen die Pontecorvo zu meistern weiß. „Battaglia“ ist ein Film,
im Geiste der cinéma vérité Bewegung. und wirkt über weite Strecken aus
Archivaufnahmen konstruiert, Fakt ist jedoch: jede Sekunde des Films ist von Pontecorvos
Crew abgefilmt.
Kolonialismus,
die Zweite
Pontecorvo
begnügte sich allerdings nicht mit einem anti-kolonialistischen Film. In
„Queimada“ ist alles größer aber nicht zwangsläufig besser. Inspiriert vom
Sklavenaufstand auf Guadeloupe erzählt „Queimada“ über zwei Phasen des
Kolonialismus auf der fiktiven gleichnamigen Insel. Sir William Walker
(gespielt von Marlon Brando), ein Agent provocateur der Britischen Marine soll
die Herrschaft der Portugiesen auf der Insel brechen – dies gelingt indem er einen
der schwarzen Sklaven zum Revolutionär „heranzüchtet“. Jahre später erhebt sich
dieser erneut, diesmal um gegen die Herrschaft der Engländer und ihrer Royal
Sugar Company anzukämpfen. Dieses Mal wird Walker engagiert um den nunmehrigen
Guerillaführer zur Strecke zu bringen. Parallelen tun sich auf zu den
amerikanischen Interventionen der Nachkriegszeit, das Heranzüchten von
Warlords, die einem dann selbst gefährlich werden erinnern an die Vorkommnisse
im Iran, in Afghanistan, im Irak Jahre und Jahrzehnte später. Walker erinnert
in seinen weißen Anzügen entfernt an Herzogs Fitzcarraldo, aber noch mehr an
Cobra Verde, einem späteren Kinski-Charakter. Wo „Cobra Verde“ die
Charakterstudie eines Psychopathen ist, stellt sich „Queimada“ auf die Seite
der Unterdrückten und zelebriert die Verachtung an der Pragmatik und
Skrupellosigkeit des weißen Mannes. Dieser Film ist der wahrscheinlich
sinnbildlichste für das Weltbild von Pontecorvo. Im krassen Gegensatz dazu
steht der Aufwand mit dem der Film augenscheinlich produziert wurde und der
glamouröse Hauptdarsteller (ohne ein Kaliber wie Brando hätte Pontecorvo den
Film vermutlich nicht finanzieren können). Einzig die Kamera erinnert noch zum
Teil an „La battaglia di Algeri“, so finden sich verwackelte hand-held Aufnahmen
und veristische Einstellungen mitten in diesem doch recht konventionell
anmutenden Historienepos. Das macht aber Pontecorvos Repertoire aus.
Kaboom,
Baby!
Müsste ich
einen Lieblingsfilm aus Pontecorvos Filmografie wählen, wäre es ohne Zweifel
sein letzter Film „Operación Ogro“. Dieser handelt von der wahren Geschichte
der minutiösen Vorbereitung und Durchführung eines Attentats auf den
prädestinierten Nachfolger des spanischen Diktators Francisco Franco durch die
baskische ETA. Der Look
dieses Films ist unnachahmlich und wiederum komplett anders, als alles was
Pontecorvo zuvor gemacht hat. Wir befinden uns in der Welt von „Carlos“ und
tauchen ein in die europäischen linksextremen Untergrundbewegungen der 70er
Jahre. Erst im Vergleich mit Filmen wie „Operación Ogro“ wird deutlich wie
perfekt Olivier Assayas den Puls und Look der Zeit in seinem 70er
Jahre-Thriller getroffen hat und wie furchtbar David O. Russells Welt in
„American Hustle“ im Vergleich dazu aussieht, aber das nur als Bemerkung am
Rande.
Penibel
genau protokolliert Pontecorvo das Vorgehen er Widerstandskämpfer ohne jedoch
zu intim zu werden – sprich mit den Attentätern vollkommen zu sympathisieren –
letzten Endes greifen sie zu Waffengewalt um Menschen zu töten, und das möchte
Pontecorvo nicht unreflektiert heroisieren. Auf einer zweiten Zeitebene,
behandelt er deshalb die Nachwirkungen des Attentats auf die Beteiligten. Reue,
Gewissensbisse und die ständige Gefahr der Verhaftung machen ihnen zu schaffen.
Das Pontecorvo nicht davor zurückschreckt auch diese Seiten zu zeigen, rechne
ich ihm hoch an.
Conclusio
In zwei
Jahrzehnten hat Gillo Pontecorvo fünf abendfüllende Spielfilme realisiert.
Jeder davon ist einzigartig und stilistisch eigenständig. Will man Pontecorvo
als Auteur positionieren, so muss man inhaltlich vorgehen. Kompromisslos hat er
über die Jahre seine linken Anliegen vorgetragen und die Situation der
Unterdrückten auf der ganzen Welt präsentiert. Gegen Widerstand in der Branche,
die es ihm schwermachte seine Filme zu finanzieren, und gegen die Kritik aus
den eigenen (linken) Reihen (siehe Rivette), bahnte er sich seinen Weg und
etablierte sich als einer der bekanntesten Regisseure Italiens. Sein Ruhm
beruht zum größten Teil auf „La battaglia di Algeri“, der objektiv und formal betrachtet
wohl sein ausgereiftester und mutigster Film ist, aber wer nicht über
„Battaglia“ hinausgeht, und v.a. die beiden Folgewerke unbeachtet lässt, der
verzichtet darauf ein ganzheitliches Bild der Linksbewegung der 70er Jahre
präsentiert zu bekommen.
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