Schon in ganz jungen Jahren hat man uns Angst gemacht, denn die Walt Disney Maschinerie hat sich wie eine Schlange mit Schlangen in unser Unterbewusstsein gemogelt, als sie uns mit unheimlichen Tönen und Augen in „The Jungle Book“ hypnotisierte oder indem sie das Böse in „Aladdin“ in eine Schlange verwandelte. Dieses seit dem Paradies mit Bösartigkeit belegte Wesen, das so vielen Angst bereitet und dadurch körperliche Reaktionen hervorzurufen vermag, wenn man es nur sieht und das bedrohliche Zischen hört, das von manchem Sounddesigner ganz ohne Tier zu eben jenem Zweck eingesetzt wird. Die elegante Bewegung von Schlangen über neutrale Hintergründe ähnelt der Bewegung des Filmstreifens im Projektor, Schlangen bewegen Filme.
In Jean
Renoirs „The River“ wird die Schlange von der faszinierenden Exotik zur
tödlichen Gewalt, sie wird durch die unschuldigen Augen des Jungen beobachtet,
der sie mit Flötenspiel dressieren möchte, aber scheitert. Eine leider nur fast
parabelhafte Geschichte des weißen Mannes in Indien. Man möchte die Schlange
beherrschen, weil sie droht einen selbst zu beherrschen. Hypnose, Würgen oder
Biss. Die Angst vor der Schlange rührt in der Unmöglichkeit sie einzuschätzen.
Und dann kommt immer die Frage: Ist sie giftig? Eine Frage, die man den Filmen
selbst stellen könnte, denn wer kennt das Gefühl nicht nach Filmen mit
Schlangen, überall in der Wohnung Schlangen zu sehen, die Bilder von Schlangen
arbeiten sich auch in unser Unterbewusstsein vor; nur die Spinne kann ähnliches
vollbringen. Fantasy-Filme sind vollgestopft mit großen, giftigen
Monsterschlangen von „Harry Potter“ über „King Kong“ bis hin zu „Jurassic Park“.
Mir scheint eine kleinere Schlange deutlich bedrohlicher zu sein. Ich kann sie
nicht immer sehen und ich kann sie nicht einschätzen, vielleicht kriecht gerade
eine über deinen Boden. Indiana Jones mag keine Schlangen, James Bond kann
damit umgehen.
Wer einmal
den Anfang von „Süt“ von Semih Kaplanoğlu gesehen hat, der wird ihn nicht
vergessen. Ein alter Mann sitzt an einem Tisch im Freien. In der Tiefe des
Bildes erahnt man ein paar Gestalten. Irgendwann ruft sie, der in eine Lektüre
vertiefte Herr zu sich. Sie machen ein Feuer und erhitzen die titelgebende
Milch und spannen dann zwei Seile über einem Ast, der über der milchigen
Feuerstelle ragt und hängen dort kopfüber eine Frau auf. Eine Zeit hängt sie
dort und man weiß nicht sicher, was passieren wird, spürt nur die Gewalt. Dann
schneidet Kaplanoğlu in eine Nahaufnahme und zeigt wie aus dem Mund der Frau
eine Schlange kriecht. Ein symbolischer Schock, der so symbolisch nicht ist, da
diese Praxis auf dem Land durchaus vertreten ist laut dem Regisseur. Menschen
würden über Nacht manchmal kleine Schlangen verschlucken und man würde Milch
erhitzen, um sie aus dem Rachen zu locken. Später sucht der Protagonist Yusuf
eine Schlange in der Wohnung. Sie steht für Unheil, sie ist belegt mit dieser
Assoziation.
Wenn der
Mensch in die Natur geworfen wird, wird er häufig auch auf Schlangen treffen.
Werner Herzog zelebriert dieses Tier bis er es verspeisen lässt, in „The Way
Back“ von Peter Weir, ist der Weg zurück von Schlangen versperrt, die
vielleicht im Cruising-See von „L’inconnu du lac“ als Monster leben. Wer an diese
Märchen glaubt, geht ins Kino. Wer gebissen wird, muss das Gift aus sich saugen.
Nicht nur bei Tarantino ist die Schlange eine Waffe des Bösen, sondern auch bei
„Prisoners“ von Denis Villeneuve, bei dem Schlangen aus dem Nichts in die kühle
Atmosphäre geworfen werden. Bekanntermaßen gibt es ein eigenes Horrorgenre mit
den Schlangen.
Aber was ist
mit der Schönheit der Kriechtiere? In schwarzer und weißer Flüssigkeit bewegen
sie sich im klaren Wasser in Andrei Tarkowskis „Andrej Rubljow“. Sie gehen über
in die Welt, zu der sie gehören. Und manche Menschen tanzen mit ihnen ganz ohne
Flöte. Salma Hayek als erotischer Bote der Apokalypse mit ihrem Tanz in „From
Dusk Till Dawn“ und Brad Pitt als Jesse James in „The Assassination of Jesse
James by the Coward Robert Ford“ von Andrew Dominik, der das Böse, das ikonische
Bild aus einer anderen Perspektive betrachtet. Der Blick auf die Schlange ist
voreingenommen, und doch voller unschuldiger Furcht. Sie sind Inbegriff der
Körperlichkeit des Kinos in seinen Ausprägungen von Schweiß, Gänsehaut und
Übelkeit. Dennoch haben sie jene Schönheit und Eleganz, die sie zu einem
Verbündeten des Kinos machen, ihre Ästhetik entspricht den Geheimnissen des
Kinos, wie die unleserlichen Formen an der Wand, die die Menschen in „Juventude
Em Marcha“ von Pedro Costa beeinflussen oder die flimmernden Einstellungen von Apichatpong
Weerasethakul, bei denen in jeder Sekunde ein großes bedrohliches Geheimnis
lauert. Schlangen kann man ähnlich lesen, ihre Körpersprache ist die Sprache
der Bilder und Töne und sie wird sich verändern, sie wird sich häuten, denn wie
Nietzsche schon sagte: „Eine Schlange, die sich nicht häutet, stirbt.“
Filmfetzen
liegen auf dem Boden. Ein Bild zeigt keine Schlange, sondern nur ihren
Bruchteil, sie ist so lang, dass sie das Bild durchqueren muss oder
abgeschwenkt werden muss. Man darf eine Schlange nicht zerschneiden.
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