Ein wild
atmender Mann rennt durch einen schneebedeckten Wald. Hektische Bilder, die
sich in Bewegungsunschärfen verlieren. Die Bäume, Äste, der weiß-graue Himmel.
Ich sehe alles außer diesem Mann selbst. Wir blicken durch seine Augen. Fast
wie in einem John Rambo Ego-Shooter Spiel gestaltet sich in manchen Teilen die
Flucht des Afghanen in „Essential Killing“ von Jerzy Skolimowski. Was er in
seiner absurd misslungen, weil sich ständig selbst verneinenden Kriegsparabel
versucht zu erzeugen, ist den brutalen und nicht immer ethischen
Überlebenskampf einer Figur zum Überlebenskampf des Zusehers selbst zu machen.
Er unterliegt damit diesem weitverbreiteten Irrtum, dass ein Blick aus der
Sicht einer Person zugleich Identifikation bedeutet. Ganz im Gegenteil. Der
Point-of-View Shot oder nennen wir es die Ego-Shooter Perspektive erzeugt
Entfremdung vor dem Geschehen.
Das liegt
daran, dass sie auf sich selbst aufmerksam macht. Noch nie habe ich eine
Ego-Shooter Perspektive gesehen und nicht daran gedacht, dass es sich dabei um
eine Ego-Shooter Perspektive handelt. Selbst bei gewöhnlichen längeren
Sequenzen wie etwa Dialogen oder zum Beispiel dem wiederholten Blick zur Decke
in Paolo Sorrentinos „La grande bellezza“, die offensichtlich den Blick durch
die Augen einer Person anzeigen, muss man daran denken, dass diese Einstellung
aus der ersten Person gedreht ist. Ein Stil, der auf sich aufmerksam macht. Nun
mache ich hier kein Plädoyer für den klassischen Hollywoodstil, der den
POV-Shot als kurzen Zwischenschnitt nicht nur unterstützt, sondern auch
geschickt in seine eigene Unsichtbarkeit integriert und damit genau das
erreicht, was den POV-Künstlern rund um Skolimowski und Gaspar Noé verwehrt
bleibt, nämlich Identifikation. Ich halte die Verwendung des POV-Schusses bei
den beiden genannten Regisseuren für deutlich virtuoser und bedeutender,
allerdings nur dann, wenn sie ihn nicht für den Zweck der Identifikation
verwenden, denn das funktioniert nicht bei längeren, formaleren Einstellungen (oder
gar ganzen Filmen).
Eine
Ego-Shooter Perspektive durch die Augen eines Afghanen hat ja für sich schon
eine politische Note. Jedoch versucht „Essential Killing“ den Zuseher dadurch
auch ins Geschehen zu ziehen und da widerspricht er sich selbst. Ein fast komischer
Effekt entsteht durch die bemühten POV-Einstellungen im Wald, weil sie sich mit
der dritten Person beißen, mit dem Naturalismus beißen und mich emotional
packen wollen, aber irgendwie in eine Reflexion bringen. Noé ist das umgangen,
indem er ganz im Stil von Robert Montgomery gleich alles aus der ersten Person
gedreht hat in seinem Hipster-LSD fliegenden Neonspektakel „Enter the Void“.
Sein Coup daran sind die inneren Monologe, die dann tatsächlich Identifikation
bedeuten. Ähnliches gilt auch für den äußerst grünen (im Bezug auf die Farben) „Le
scaphandre et le papillon“ von Julian Schnabel, der sich allerdings damit
wehtut aus einer Künstlichkeit des Lidschlussreflexes als filmisches Mittel
eine Natürlichkeit gewinnen zu wollen. Was all diesen drei Filmen nicht
gelingt, ist es Identifikation durch die Einstellung per se herzustellen. Ich
kann eine Figur nicht besser verstehen, nur weil ich durch ihre Augen sehe.
Durch die Augen sehen geschieht im Film zumeist anders.
Durch die
Augen eines Hais bekommt man das Meer und zappelnde Beine in Steven Spielbergs „Jaws“
zu sehen. In Horrorfilmen wackelt die Kamera immerzu bedrohlich hinter billigen
Ästen und Vorhängen, sie nähert sich lautlos an, man spürt eine Bedrohung.
Diese Ur-Form des effektiven POV funktioniert bis heute. Sie funktioniert
deshalb, weil sie den Aspekt im Bild betont, den wir nicht sehen. Statt ein
Off-Screen außerhalb des Bildes zu haben, versetzt sie uns in das Off-Screen.
Und das macht Angst. Sicherlich erzeugt es keine Identifikation. Der Grund
warum Filmemacher den Ego-Shooter Touch dennoch als Methode für sich zu
gewinnen versuchen, die Welten ihrer Figuren spürbar zu machen, könnte an der
Effektivität der ersten Person in der Literaturgeschichte liegen. Daher können
Julian Schnabels und Gaspar Noés Versuche auch deutlich besser gelingen, weil
sie sich eben dem Mittel des Monologs annehmen, der von der ersten Person in
Prosaform ja praktisch automatisch generiert wird.
Das bedeutet
nicht, dass der POV-Schuss obsolet wäre. Ganz im Gegenteil. Geschickt gesetzt,
kann er dann nämlich doch jene Identifikation liefern, ganz zu Schweigen von
seinem Meta-Potenzial mit politisch, sozialkritischen Konnotationen. Denkt man
zum Beispiel an den kleinen Jungen in Alejandro González Iñárritus „Babel“, der
zum ersten Mal über die amerikanisch-mexikanische Grenze fährt und durch dessen
Augen wir das Leben auf den Straßen durch die Autofenster betrachten, so muss man
zugeben, dass man sich hier durchaus als Kind fühlt, als ein von Eindrücken
überfahrenes Kind. Aber Iñárritu kombiniert diese Einstellung auch (ganz im
Hollywood Stil) mit dem Blick des Kindes selbst. Erst wenn wir sehen wer
blickt, können wir uns identifizieren. Film scheint mir mit einer Distanz
geboren zu sein. Der Distanz der beobachtenden Kamera. Ihr Blick, der niemals
real ist, aber Realität anzeigen kann, ist näher an der Vorstellung einer
Göttlichkeit als an der einer Menschlichkeit. (deshalb ist Noé auch der bislang
weiteste Vorstoß gelungen…)
Die
Meta-Bedeutung der Einstellungen steht außer Frage. Genauso wie die
Unmittelbarkeit, die erzeugt wird. Allerdings hat mich diese Unmittelbarkeit
noch nie in das Geschehen geworfen, sondern immer davon entfremdet. Man kann
nicht vergessen, dass man aus einer dritten Person den Blick einer ersten
Person zu Gesicht bekommt. Eine interessante Möglichkeit diese Unterscheidung
aufzuheben, haben Filme wie „Cloverfield“ von J.J. Abrams oder „Rec“ von Jaume
Balagueró und Paco Plaza gewagt, als sie die Kamera selbst als Objekt im Film
installierten, durch deren Linse wir das Geschehen beobachten. Am meisten
Freude haben beide Filme daran, sich zu überlegen wann genau die Kamera aus-
und wieder angeschaltet wird. Damit spielen sie wieder mit jenem Off-Screen,
der Horrorfilme von Haus aus prägt. Sie machen den Off-Screen zu einem
zeitlichen Ereignis statt räumlichen Abseits. Damit erreichen sie eine ähnliche
Effektivität wie schon „Jaws“ und anderen Genrevertreter. Angst, Humor (etwa
die merkwürdig symmetrischen POV-Schüsse bei Wes Anderson) oder
Meta-Reflexionen entstehen aber immer aus filmischer Entfremdung.
Der Versuch
die erste Person der Literatur derart plump mit Einstellungen aus der ersten
Person in einen Film zu bringen, muss scheitern. Er ist Folge dieses
Aberglaubens von Film als Literatur. Wenn sich Film auf seine eigenen Stärken beschränkt,
wenn er nicht nach Übersetzungen literarischer Formen sucht, kann er durchaus
in die Köpfe seiner Figuren einsteigen, wenn er denn unbedingt will. Federico Fellini
und Ingmar Bergman haben das beherrscht wie niemand sonst.In "Essential Killing" kann man sich nicht sicher sein, ob man verstört wird oder sich identifizieren soll oder ob die Identifizierung verstören soll. Ich befürchte aber, dass der Filmemacher selbst das auch nicht weiß.
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