Man stelle
sich folgenden Versuchsaufbau vor: Man
verlässt das Kino, und fragt sich ob das gerade gut war oder nicht. Es bleiben
Momente in Erinnerung, die eindeutig einen prominenten Platz in der
Filmgeschichte verdient haben, denkt man aber an den Gesamteindruck, weicht die
Begeisterung schnell einem großen „What The
Fuck!“. So ging es mir mit Boris Barnets „Okraina“.
Meinen
Überlegungen, woran das liegen könnte möchte ich ein paar historische Gedanken
voranschicken. „Okraina“ entstand 1933 und war Barnets erster Tonfilm. Die
Sowjetunion war eine der letzten großen Filmnationen die den Umstieg von Stumm-
auf Tonfilm machten. Noch bis weit in die 1930er Jahre wurden oft zwei
Versionen eines Filmes produziert, damit entlegene Kinos am Land, die technologisch
noch nicht aufgerüstet waren, beliefert werden konnten. 1933 also, sechs Jahre
nach Al Jolsons „You ain’t heard nothing yet“, als bereits die zweite
Musical-Welle, angetrieben vom Genie des Busby Berkeley, in Hollywood Einzug
hielt, versuchte man sich in der UdSSR an Tonexperimenten.
Ein
Tonexperiment – so könnte man „Okraina“ bezeichnen. Ein geradezu
avantgardistisch anmutender Versuch eines Kriegsfilm/Komödienhybriden in
melodramatischen Plüsch gepackt.
„Okraina“
ist großes Filmhandwerk, da schließe ich mich den Kritikermeinungen an, nur an
der Tonspur habe ich einiges zu bekritteln, dass andere positiv hervorheben –
das führt zu meiner abweichenden Einschätzung des Films.
Über weite
Strecken ist der Film stumm, d.h. es sind keine Tonaufnahmen gemacht worden,
oder sie sind zumindest im Film nicht verwendet worden. Sound Mixing und
Mastering steckte 1933 in der Sowjetunion noch in den Kinderschuhen, das merkt
man an den Übergängen zwischen diesen tatsächlich stummen Sequenzen und den
Parts mit Ton. So komisch es auch klingen mag, Stille und eine Aufnahme von
Stille klingen unterschiedlich.
Aber gut,
technischen Primitivismus kann, oder muss man manchmal sogar vergeben. Bei
meinem nächsten Kritikpunkt spalten sich wahrscheinlich eher die Geister. Aus
mir unerfindlichen Gründen unterlegt Barnet die Kriegsszenen mit total
überspitzten Slapstickgeräuschen. Das Pfeifen der Granaten und das Rattern der
Maschinengewehre werden so zu einer seltsam anmutenden Kakophonie im Stile
eines Kinderspielzeugs. Manche Kritiker sprechen hier von gelungener Satire
oder Verfremdung – dem kann ich mich nicht anschließen. Die grimmige Atmosphäre
im Schützengraben wird zerstört und der Film verliert einen Gutteil seines
emotionalen Punchs ohne jedoch merkbar an Qualität zu gewinnen. Einen ähnlichen
Effekt erzielt Barnet indem er immer wieder sein Drama mit Slapstick-Momenten
unterbricht. In einer Geschichte über Verrat, Krieg und Revolution ist das
meines Erachtens fehl am Platz, zumal es Rhythmus und Struktur des Films
zersetzt. Satire kann ein effektives Inszenierungsmittel sein, aber Barnet
kontextualisiert es nicht, fügt es nicht die Geschichte ein.
Schade, denn
Barnet zeigt sich als variantenreicher Regisseur mit einem ausgezeichneten
Gefühl für Komik. Barnet konstruiert beeindruckende Montagen, wie wir sie von
den großen sowjetischen Meistern der 20er und 30er kennen (gerade die
assoziativen Sprünge zwischen Kriegsmaschinerie und Schusterhandwerk wissen zu
gefallen), aber er zeig auch außergewöhnliches Gespür für Chaplinesque Einlagen
und in einzelnen Sequenzen fühlt man sich beinahe in einem Renoir-Film. Das
Problem liegt hier eindeutig nicht beim handwerklichen Können des Mannes,
sondern dass er es über die Fortdauer des Films nie schafft einen
kontinuierlichen Flow zu etablieren. Diese verschiedenen Stile miteinander
sprechen zu lassen, sie gegenüberzustellen und neue Perspektiven zu erschließen
– das alles passiert in „Okraina“ nicht – stattdessen werden verschiedene
Szenen aneinandergefügt, und nur ungenügend durch Narration oder formale
Elemente verbunden.
Alles in
allem wirkte der Film auf mich, als fehlen ihm die Zwischentitel. Barnet hätte
vielleicht besser daran getan, einen weiteren Stummfilm zu drehen – bis auf
sein seltsames Sounddesign und einige revolutionäre Reden ist die Tonebene
ohnehin nebensächlich. Dialog kommt nur spärlich vor – das liegt einerseits
daran, dass die Kommunikation zwischen Deutschen und Russen in der Diegese an
sich schon schwerfällt und andererseits am doch recht körperbetonten Spiel der
Schauspieler (wieder: der sowjetische Tonfilm steckte hier augenscheinlich noch
in den Kinderschuhen).
Ich werde
mich also damit begnügen müssen, in diesem Falle gegen den Strom zu schwimmen
und die Satire- und Verfremdungsargumente nicht gelten lassen. In Punkto
Ton-Erstlingswerke wähle ich dann doch „M“, der seine Primitivität mit
Pfiffigkeit wettmacht. Einer Pfiffigkeit, der die Naivität „Okrainas“ nicht
gewachsen ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen