Ich suche
mich im Film, ich darf mich finden, ich bin naiv. Also schaue ich. „Ich bin
neugierig (gelb)“ von Vilgot Sjöman, eine sexuelle Ich-Findung, die eine
Wir-Findung ist. Finde ich mich darin? Ein provokativer Bildungsroman, eine
Lebensgefühl, aber ich bin anders. Ich sehe darin nur das verlorene Ich einer
Zeit, in der ich nicht gelebt habe. Identifikation ja, aber immer auch medial
konstruierte Nostalgie für etwas, das ich nie war und sein werde. Die zeitliche
Verschiebung von Film, die Vergangenheit der Leinwand könnte einem Ich im Weg
stehen.
Christoph Hochhäuslers „Falscher Bekenner“ wurde im englischen Titel zu
einem „I am Guilty“. Er fängt die Perspektivlosigkeit des Moments ein, die
Frage nach dem Ich wird tatsächlich gestellt. Aber das Ich wird erst dann
erkannt, wenn es sich anonymisiert. Ich fühle mich ertappt, denn das Ich ist
falsch.
Welches Ich
will ich überhaupt sein? Die unzähligen Vorschläge die Filme unterbreiten ein
Ich zu werden oder nicht zu werden, ein Ich zu verlieren, ein Ich zu spielen,
treiben mich in eine andere Welt, guess I’ll always have to be, living in a
fantasy?
Film findet
immer ein anderes Ich. Es ist ein schuldiges Ich, weil es scheinbar nur in
einem Rahmen bestehen kann, dem man manchmal nur allzu gerne brechen würde. In
welchem Film würde ich gerne leben, in welcher Welt? Gebt mir die goldene
Eintrittskarte aus „Last Action Hero“ und ich springe in die Filme und dann bin
Ich Film. „I am Legend“, Richard Mathesons Buch, Vorlage für zahlreiche
Filmmythen rund um den letzten Menschen. Ist man im Kino nicht immer der letzte
Mensch? Man will es sein. Man selbst und die Bilder. Ein subjektives Meer,
indem man vergisst, dass es ein Du gibt und ein Er und vor allem ein Alle.
Ich bin eine
Legende im Kino, weil ich mich so fühlen kann wie die Figuren. Was in „The Act
of Killing“ von Joshua Oppenheimer zur Realität wird, erlebt man ohne
Konsequenzen jedes Mal im Kino. Das
Gefühl für das Ich-Sein im Kino egal wer der Er ist, den man sieht. Doch was
passiert, wenn das Ich wirklich das Ich ist, wie eben in jener Dokumentation
oder in Miguel Gomes „Aquele Querido Mês de Agosto“? Was ist das Ich noch wert,
wenn es einmal zum Film wurde? Der Blick des Schauspielers auf die Leinwand ist
ein Blick auf seine eigene Vergänglichkeit. So wird es auch in „Solaris“ von Andrei
Tarkowski angezeigt. Die Leinwand ist der letzte Spiegel, den man sehen will.
Man kann das Ich dort nicht sehen, nur seine äußere Erscheinung und seine
Seele, die sich immer nur im Ich des Zusehers vereinen. In „I’m still here“ erinnert
Joaquin Phoenix an seine Existenz, eine den Film ignorierende filmische
Existenz. Der Spiegel hat sich in etwas verwandelt, dass man nicht mehr sehen
will, denn das Ich im Kino ist medial konstruiert, ist immer an eine Erwartungshaltung
gebunden.
„Io sono l'amore“
von Luca Guadagnino nutzt das Ich zu einer subjektiven Erhöhung, wenn alle
Farben von der Leinwand tropfen, weil sie bis zum Rand mit Emotionen gefüllt
wurde, dann zeigt das einen subjektiven Blick an. Mein Blick aber ist der auf
einen Genre-Film, auf Douglas Sirk, auf die Farben des Melodrams. Da ist kein
Platz für ein Ich, weil für das Ich oft Manipulation und eine Bereitschaft des
Zusehers von Nöten ist, ein „Ich lasse mich auf das Geschehen ein“. Gute Filme
aber erreichen das Ich anders. Sie zeigen eine Wahrnehmung, die der Ich-Wahrnehmung
entspricht, sie schauen dem Ich zu und machen das Ich gleichermaßen zum Inhalt
wie zur Form, ein Ich, das sich aus dem Film ergibt und nicht aus dem Zuseher.
Ich zu sein, heißt nicht zu denken.
Das Ich ist
auch eine Vorstellung, ein „Hallo, das bin ich, ich werde euch von mir
erzählen“ wie in „I am Sam“ von Jessie Nelson. I am the
Spectator and I don’t care. Persönlicher wird es da bei David O. Russell und seinem Durchschuss “I
Heart Huckabees”, ein Film der viele Fragen stellt, darunter auch eine Frage
nach dem Ich. Das Ich wird Teil eines philosophischen Diskurs, ein Meta-Ich, in
dessen Zwischentönen sich das Ich des Autors offenbaren könnte. Aber was
bedeutet das Ich des Autors?
In den
Diskussionen rund um Lars von Triers „Nymphomaniac“ heben viele das Spiel mit
dem ich als positiv, andere als negativ hervor. Steht es nun dem Inhalt und
seiner Figur im Weg oder ist er das Ich seiner Figur oder sogar mehrere Figuren
oder ist er nur ein distanzierter Ich-Betrachter seines teuflischen Universums?
Wie nahe ist Masturbation, die von Trier selbst als Analogie zu seinem
Filmschaffen genannt hat, an der Ich-Findung des Kinos und ist die Ich-Findung
eines Regisseurs immer auch Teil der Ich-Findung des Zusehers? Jedenfalls scheint
mir auffällig, dass eine Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven
Filmemachern wie sie unter anderem Pasolini getroffen hatte, heute nicht mehr
zutrifft. Fällt es mir noch leicht bei Antonioni und Fellini oder bei Resnais
und Godard oder Herzog und Kluge klare Tendenzen in eine der beiden Richtungen
zu erkennen, so verschleiern sich diese Grenzen im modernen Kino bei Pedro
Costa, Béla Tarr oder Paul Thomas Anderson komplett.
„I used to
be darker“ von Matthew Porterfield scheint sich zugleich auf seine Figuren und
ihn selbst zu beziehen. Kälte und Wärme sind nicht mehr so leicht zu trennen.
Schließlich vermag die Kälte etwas über das tiefe innere auszusagen. In diesem
Fall ist Filmästhetik in eine Sackgasse gefahren oder ans Ende ihrer Kunst. Der
Weg heraus kann wieder nur über das Ich führen und daher scheint so vieles im
heutigen Kino subjektiv oder eben nicht.
„J’ai tué ma
mère“ von Xavier Dolan ist ein Geständnis. Weniger ist es das Geständnis eines
mentalen Mordes, als das Geständnis einer Ich-Findung. Ästhetisch und
ästhetisiert bewegt sich das junge rebellische Antlitz durch den Film, das
schon seit Jahrzehnten immer ein jugendliches Ich im Kino repräsentierte. Ein
jugendliches Ich, das werden will und noch lange nicht ist. Das Film-Ich ist
immer dann ein Ich, wenn es nicht vollständig ist. Man geht aus dem Kino und
will Veränderung spüren. Man will sich neu erfinden können, ich will das
zumindest.
„I’m a
cyborg but that’s okay“ von Chan-wook Park und „I, Robot“ von Alex Proyas sind
gestörte Ichs einer verfremdeten Welt, wenn das Ich nur noch eine mechanische
Wiederholung ist und in Zeitlupensequenzen alles in Grund und Boden ballert.
Das Ich entledigt sich seiner Umwelt, damit es sich selbst fühlen kann. Aber
wie bereits gesagt, findet Film immer ein anderes Ich. Und dieses andere Ich
findet sich dann halt oft im unerwartet Humanen. Das Menschliche wird vom Kino
als Teil des Ichs verstanden.
Seine
Verneinung führt aber zu einer ähnlichen Identifikation. Vielleicht ist das Ich
im Film ein sich selbst auslöschendes. Eines, das Freude am Sadismus, an Gewalt
und am Kranken hat, das es liebt seine dunkle Seite zu erkennen, vielleicht ist
das Ich im Kino immer ein Gegenstück zum realen Ich. Ein schuldiges Ich, eine
perverse Fantasie. „So glücklich war ich noch nie“ lautet der Titel eines Spielfilms
von Alexander Adolph und auch darin ist das Ich falsch. Das Ich verweist auch
immer auf eine Lüge. Nicht umsonst heißt es „Catch me if you can“ bei Spielberg
und nicht umsonst ist es die „Història de la meva mort“ bei Albert Serra.
Das Ich als
Heuchler, als eine Projektion der eigenen Wahrnehmung und damit analog zum Kino
selbst zu verstehen. Das Kino ist das einzige Ich. Vielleicht ist es deshalb
folgerichtig von Todd Haynes sein Biopic über Bob Dylan „I’m not there“ zu nennen
und die reale Figur eines Künstlers in sechs Schauspielern aufzuteilen. Wer ist
Ich? Wer ist Er? Eine Frage, die das Kino nur fragmentarisch beantworten wollen
sollte. Stattdessen löst sich das Ich von Bob Dylan auf, unabhängig von
Geschlecht, Aussehen, Alter, Hautfarbe und so weiter. Damit schafft es der Film,
sich von seiner Äußerlichkeit zu befreien. Äußerlichkeiten, die das Kino
dominieren und die den Weg zum Ich versperren.
Wenn es aber
einer Filmemacherin wie Chantal Akerman in „Je, tu, il, elle“ gelingt sich
selbst wie durch ein objektives Glas zu beobachten, wenn das Ich nicht Teil
einer Handlung, sondern einfach eine körperliche Präsenz ist, dann wird das Ich
im Kino vital, weil es dann zu einem Du und einem Wir wird ohne jemals, dass
Ich zu verlieren. Die Frage ist also auch, ob Kino eine subjektive Kunst ist
und sie ist klar mit Ja zu beantworten. Kino kann die Wahrnehmung einer Welt
durch einen Künstler greifbar machen, Kino kann sich mit ganz persönlichen und
kurzlebigen Momenten beschäftigen. Kino ist förmlich prädestiniert dafür, weil
es die Zeit zu einem subjektiven Erlebnis machen kann, eine Fähigkeit, die
jeder anderen Kunstrichtung abzusprechen ist. Es ist aber auch klar, dass Kino
häufig näher an objektiven Künsten wie dem Theater gedacht wird. Ein fataler
Irrtum, das eine Zeit lang debattiert wurde und inzwischen im öffentlichen
Diskurs einfach akzeptiert wird. Denn, so sagt man uns, am Ende ist ja alles
subjektiv und ein weites Feld ist es sowieso.
Bilder aus "Alle Anderen" von Maren Ade und "Auf der anderen Seite" von Fatih Akin
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