Text: Rainer Kienböck
Stein erinnert sich. Filme sind wie Stein. Sie
sind pure Erinnerung. Film als kollektives Weltgedächtnis. Bezeichnend also
wenn Alexander Kluge und Peter Schamoni den Stein sprechen, oder besser,
brüllen lassen.
In
„Brutalität in Stein“ erinnern sich die monumentalen, nutzlosen Ruinen des
Reichsparteitagsgeländes an ihre früheren Herren. Mit einem kreischenden,
krächzenden Ächzen erhebt der Stein noch einmal seine Stimme. Ein Ächzen, als
ob der Stein nur widerwillig seine Erinnerungen preisgibt. So wie sich das
deutsche Kino der 50er Jahre gegen diese Erinnerung gewehrt hat, sondern nur
verdrängen und vergessen wollte. Kluge/Schamoni beenden dieses Schweigen und
stürzen sich in den Diskurs der Aufarbeitung.
Verwandt ist
dieses Ächzen aber mit anderen mythischen Signaltönen: der Schuss in Peter
Kubelkas „Unsere Afrikareise“, der Schrei der keltischen Banshee, der „Horror“
in Apocalypse Now“, der Eingriff Gottes am Ende von Faust II. Und so wie Faust
verziehen wird, endet auch der lange Vorgang der Aufarbeitung mit einer
Aussöhnung der Generationen, auch wenn sie in „Nicht versöhnt“ noch
unversöhnlich scheinen. Sobald man die Faktenlage geklärt hat, versucht hat zu
verstehen, dann darf auch nach Auschwitz wieder die Poesie zu Wort kommen. Das zentnerschwere Gewicht auf der deutschen
Volksseele weicht einem neuen Selbstbewusstsein, das den Neuen Deutschen Film
erst möglich machte. Die Schuldfrage bleibt als fruchtbares, zentrales Thema
erhalten, an dem sich diese Welle deutscher Filmemacher und auch nachkommende
Generationen abarbeiteten.
Nicht immer
ist es so einfach mit dem belasteten Gedächtnis wie in „Brutalität in Stein“.
Der Horror in Coppolas „Apocalypse Now“ verdichtet sich am Ende des Films und
legt sich wie ein dunkler Schatten über den Dschungel. Wenn The Doors „The End“
proklamieren, dann irren sie sich. Der Horror in „Apocalypse Now“ ist
teuflische Redundanz: Willard folgt auf Kurtz – der Horror bleibt.
Manche
Filme, wie Tarkovskis „Zerkalo“ konfrontieren uns nur mit
Erinnerungsschnipseln, andere spielen mit Erinnerungsverlust („Memento“), in
anderen ist Erinnerung konstruiert („Dark City“), in anderen wird Erinnerung
eliminiert („Eternal Sunshine of the Spotless Mind“), andere schreiben ihre
Erinnerung einfach um („Butterfly Effect“). Ich erinnere mich an die anregende
Wirkung von letzterem, als ich ihn vor 5-6 Jahren zuletzt gesehen habe – trügt
mich meine Erinnerung?
Erinnerung
und Film geht aber nicht ohne Resnais. „La Nuit et le brouillard“ erinnert sich
an bestialischen Völkermord (und ist dabei „Brutalität in Stein“ gar nicht so
unähnlich), „Hiroshima mon amour“ an die tödlichste Waffe der
Menschheitsgeschichte, „L’Année dernière à Marienbad“ an den letzten Sommer
(oder auch nicht). Erinnerung ist bei Resnais vergänglich und veränderlich,
diese Ambiguität macht sie aber auch schwer zu fassen. Resnais Gedächtnis ist
beweglich und dünnflüssig, selbst der Stein verändert sich und täuscht den
Erinnernden. Statuen verändern ganz einfach ihre Form, ist es der Sommer, das
Gedächtnis oder der Ort der sich verändert? Wo Kluge/Schamoni mit einer in
Stein gemeißelten historischen Faktenlage arbeiten, liegt bei Resnais die
Erinnerung im Nebel. Dem Stein ist nicht zu trauen, der Erinnerung ist nicht zu
trauen.
Zum Schluss:
Chris Marker erinnert sich an den eigenen Tod.
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