Nachdem ich
im vergangenen Jahr auf Julia Loktevs “The Loneliest Planet” gestoßen war und
ihn als einen der außerordentlichsten Filme meines Kinojahres 2013 empfand
(Besprechung), konnte ich es kaum erwarten zu sehen, was die
russisch-amerikanische Regisseurin in den Tagen vor meinem filmischen Leben hervorbrachte.
Ihr bisher einziger weiterer Spielfilm ist „Day Night Day Night“. Sie folgte
damit auf eine Dokumentation, die den Namen „Moment of Impact“ trägt und den
folgenschweren Unfall ihres Vaters behandelt und ihr unter anderem in Sundance
den Regiepreis einbrachte. Außerdem war Loktev mit einigen Videoinstallationen
aufgefallen und bei diesem Hintergrund überrascht ihr
modernistisch-ästhetischer Zugang keineswegs, ein Ansatz Film zu machen, der
sich zwischen Sinnlichkeit und Formalismus bewegt, ein wenig eben wie viele
moderne Filmemacher, die Bildende Kunst und Filmregie nicht mehr zwangsläufig
voneinander trennen.
Kristi Mitsuda hat auf Reverse Shot darauf hingewiesen, dass „Day Night Day Night“ ein Film ist, den man sich bestenfalls ohne jegliches Vorwissen ansehen sollte, da ansonsten viel von der skurrilen Kraft der Anfangssequenzen verpuffen wird. Da ich allerdings der Meinung bin, dass ein nüchternes Vorwissen nichts mit dem tatsächlichen Filmerlebnis zu tun hat, werde ich mich dennoch auch-und in diesem Fall sogar im besonderen Maße-mit der Handlung beschäftigen.
Die Tagline
des Films war im Jahr 2006 und ist auch heute noch ein Garant für öffentliches
Interesse, schließlich geht es um eine junge Frau, die ein Selbstmordattentat
am Times Square in New York durchführen möchte. Wie also in „The Loneliest Planet“
und offensichtlich auch bei „Moment of Impact“ geht es Loktev um einen Moment,
eine Sekunde, die alles verändern kann. Der Unterschied liegt im Bewusstsein
und in der Tragweite. Bewusstsein bedeutet, dass der Moment im Gegensatz zur
Flüchtigkeit einer reflexartigen Geste in der georgischen Steppe einen Plan,
eine Überzeugung mit sich ziehen muss und Tragweite bedeutet, dass dieser
Moment ein gesellschaftlich-politisches Interesse hat, statt eines Verlust von
Nähe und Vertrauen in einer Beziehung.
Loktev folgt
ihrer Protagonistin, die mit einer mystisch-verletzlichen Aura von Luisa
Williams verkörpert wird, von ihrer Landung in den Vereinigten Staaten weg. Von
Anfang an macht die Regisseurin klar, dass sie sich für die Banalitäten und
Alltäglichkeiten mehr interessiert als für die großen politischen
Zusammenhänge. Dies führt zu wunderbaren intimen Momenten mit der Hauptfigur,
die sich wäscht und wartet. Psychologisierungen verweigert Loktev bis zu einem
gewissen Grad und politische Hintergründe werden nicht mal angedeutet.
Funktioniert die fehlende Psychologisierung der Hauptfigur sehr gut, so hat der
Film ein großes Problem mit seiner politischen Perspektive.
Die
Tragweite des Moments wird bei Loktev eben doch zu einer persönlichen Tragweite
und damit reduziert sie ihren eigenen Realismus auf eine abstrakte Idee. Denn
statt sich vollkommen auf die Figur zu konzentrieren und es somit zu einem
inneren Portrait einer Selbstmordattentäterin werden zu lassen, versucht Loktev
einige großgeratene Kommentare über den gemeinen New Yorker am Times Square und
den allgemeinen, verplanten Terroristen loszuwerden. Ihre Methoden dafür sind
Absurdität und Suspense. Betrachtet man als gelungenes Gegenbeispiel über den
Umgang mit solchen Figuren „Paradise Now“ von Hany Abu-Assad, dann zeigt sich
trotz der im Vergleich unterlegenen filmästhetischen Darstellung, eine
Direktheit und Notwendigkeit, die bei Loktev immer nur wie eine intellektuelle
Spielerei daherkommt.
1.
Absurdität
Die Vorbereitungen
in einem Motelzimmer verkommen zu einem sexistischen Spiel mit drei Männern,
die mit schwarzen Masken eine Art Modeschau mit Vertrauensspielen mit der
Attentäterin veranstalten bis diese nur noch eine Pizza essen möchte und die Herren
bittet, mit ihr zu essen. Lilja statt Dschihad. Auf der einen Seite ist es ein großer Genuss den
Unsicherheiten und existentiellen Bedürfnissen der Figuren zuzusehen, auf der
anderen Seite verliert sich die Wirkung der angestrebten Alltäglichkeit in der
Besonderheit der Situation. Findet man ähnlich entdramatisierte Abläufe etwa in
Cristi Puius „Aurora“ oder Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“, so kann man
Vorgängen wie Mord und Raubüberfall durchaus noch etwas Alltägliches
abgewinnen, jedoch scheint mir bei einem Selbstmordattentat diese
Gleichgültigkeit und Banalität schwierig. Das meine ich nur ein wenig im Sinne
einer rivettesquen Niedertracht, sondern vielmehr im Sinne des unüberwindbaren Paradoxes,
dass diese Alltäglichkeit nicht alltäglich wirkt, wenn sie in
Ausnahmesituationen auftritt, sondern schlicht erzwungen und konstruiert. Die
Lebensnähe von aberwitzig-absurden Dialogen bei Corneliu Porumboiu oder Jean
Eustache liegt in ihrer Wahrscheinlichkeit. Man kennt diese Situationen, diese
Figuren, selbst wenn man sie nicht kennt. In „Day Night Day Night“ weiß man
dagegen nicht, was man glauben soll und kann.
Schön daran
ist allerdings tatsächlich, dass man sich nie sicher sein kann, worum es eigentlich
geht. Darin liegt dann nämlich doch eine politische Verortung des Geschehens.
Der beeindruckende Kniff, der Loktev gelingt, ist allerdings, dass man dadurch
ein unheimliches Interesse an der Hauptfigur entwickelt. Mit ihren leeren und
neugierigen Blicken, ihre Kühle und durchschimmernden Angst, ihren
Selbstbeschwörungen und Gleichgültigkeiten zeichnet sich ein Bild ab zwischen
Naivität und Fanatismus, Unschuld und Brutalität und schließlich Verzweiflung
und Mut.
2. Suspense
Vielleicht
sind wir jetzt doch im Bereich der Niedertracht. Als die Protagonistin am Times
Square an einer Ampel steht, unmittelbar bevor sie den Zünder der Bombe betätigen
will, beginnt die Kamera über Gesichter und Körper der wartenden Passanten zu
schwenken. Ein zehrender Spannungsmoment, den Loktev so auch in „The Loneliest
Planet“ inszeniert, nur dass sie ihn dort gegen etwas Unsichtbares in der Natur
setzt, eine Macht wie etwa in Tarkowskis „Stalker“ und sie hier Spannung aus
einer allgemeinen gesellschaftlichen Angst gewinnt und sich damit in eine
ähnlich moralische Schwierigkeit begibt wie Steven Spielberg, wenn er aus der
Frage, ob denn jetzt Gas oder Wasser aus den Duschen kommen wird in seinem „Schindler’s
List“, einen großen Spannungsmoment gewinnt. Habe ich mit letzterem kein so
großes Problem, da Spannungsmomente auch immer Empathie bedeuten und diese mir
in Spielbergs Fall absolut angebracht scheint, so kommt mir der plötzliche
Perspektivwechsel bei Loktev ein wenig billig vor. Sie scheint ihn zu
platzieren, um die Brutalität der Tat zu betonen, da sie unschuldige Menschen
treffen wird. Der Film verlässt damit die Perspektive der Protagonistin, der
das ziemlich egal ist. Es gibt noch eine andere Möglichkeit und zwar jene des
Point-of-View Shots. Vielleicht sind die Schwenks über die Passanten Ausdruck
einer Bewusstwerdung der Attentäterin, einer Angst die Tat durchzuführen. Ihr
erstes Zögern danach deutet jedenfalls daraufhin. Dann verstehe ich aber nicht,
wie man so konsequent auf Psychologie verzichten kann, um dann einen derart sentimentalen
Moment zu schaffen. Vielleicht liegt das Problem auch hier im prinzipiellen Ansatz
etwas über das gemeinhin Menschliche zu erzählen statt etwas über bestimmte
Menschen, die dann vielleicht das gemeinhin Menschliche verkörpern.
Allerdings
vermag auch der Suspense-Faktor in anderer Hinsicht zu überzeugen. So wechselt
Loktev am Tag des geplanten Attentats plötzlich in einer Art Cinéma Verité
Darstellung, filmt mit sehr intensiven Nahen und einer versteckten Kamera am
Times Square. Dadurch erreicht sie eine Direktheit und Spontanität, die vieler
ihrer absurden Sequenzen in der Vorbereitung entgeht. Insbesondere die Ankunft
in der Innenstadt lässt einen hautnah miterleben, wie es sich für die
Protagonistin anfühlt, zum ersten Mal in New York zu sein. Einige zärtliche
Momente inmitten der Panik warten.
Auch das
ständige Essen, eine Art Übersprunghandlung weiß zu überzeugen. Am Ende gewinnt
der Film dann unglaublich, weil er sich nicht auf ein politisches moralisches
Spiel einlässt, sondern eben auf jene persönliche Verzweiflung. Und diese
könnte größer nicht sein, als wenn die Bombe nicht funktioniert. Hier treffen
sich dann Suspense und Absurdität und plötzlich funktionieren sie, weil beide
wahrscheinlich werden. Mit Wahrscheinlichkeit meine ich nicht überschätzte
Attribute wie Nachvollziehbarkeit oder Realismus, sondern lediglich
Glaubwürdigkeit und Gefühl
Über das
fantastische Bildgespür, die unheimliche Nähe zur Figur und die hohe Rhythmik
von Julia Loktev gibt es nichts zu diskutieren. Ihre Handschrift liegt nämlich
nicht nur in der Betonung eines einzelnen Moments, den sie in ihren starken
Schlusssequenzen zu einem Weglaufen in die Verzweiflung streckt, sondern in
ihrem Spiel mit Dekadrierungen und der Brutalität gegen den weiblichen Körper.
Viele Einstellungen tauchen auch in „The Loneliest Planet“ so oder so ähnlich
auf, allerdings hat Loktev dort ihre Konstruktion völlig der Natur überlassen
und sich auf einen Trip eingelassen statt ihn vorzuzeichnen und statt gewollt
Suspense und Absurdität zu kreieren, hat sie diese einfach zum Teil ihrer Töne,
Bilder und Figuren gemacht.
„Day Night
Day Night“ ist ein mutiges Werk und ein guter Film. Die Schönheit, Intensität
und Nähe verträgt viele Ungereimtheiten, obwohl manche dann doch unangenehm
hängenbleiben. Der Moment, mit dem der Film endet, wird jedoch wieder in meinem
Gedächtnis verharren und damit ähnlich gestreckt wie jene Momente im Kino der
Julia Loktev.
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