Wie eine
Explosion beginnt die Kamera sich durch die Räume auf die Charaktere zu
fokussieren, in schnellen, rhythmischen Fahrten geht es um die Figuren herum,
auf sie zu oder hinter ihnen her. Dazu drängen aus den Boxen pure Rock’n Roll
Klänge und ein unheimlich getriebener Schnitt passt sich dem Rhythmus, der vor
Farben platzenden Bilder an. Die Filme von Martin Scorsese bieten jenseits
aller gängigen Diskussionen über Kunst oder Unterhaltung einen pulsierenden
Zugang zum Kino, der sich in seiner ehrlichen Liebe für das Medium und den
Möglichkeiten seiner klassischen amerikanischen Form durch mehrere Jahrzehnte
am Leben erhält und immer wieder neue Klassiker schafft. Im Grunde kann man
Martin Scorsese nicht in einem solchen Blogeintrag behandeln, zu umfangreich
ist sein Schaffen, zu gewaltig ist sein Einfluss. Dennoch will ich mich ein
wenig mit der Faszination Scorsese beschäftigen, der egal, ob er Rebell oder
Konformist ist, immer seine eigene Handschrift behalten hat. Die Essenz des
Kinos von Martin Scorsese findet sich meiner Meinung nach in fünf Punkten:
Charaktere-Ehrgeiz, Wahnsinn, Flucht
Musik-Rock gegen die Erwartung
Tempo-Exzess, Kamera, Schnitt
Gewalt-Freude, Erlösung
Kinoliebe
1.Charaktere
Bei den
Charakteren von Scorsese ist zu Beginn festzuhalten, dass sie häufig von den
gleichen Schauspielern gespielt werden. Angefangen bei Harvey Keitel, der schon
das emotionale Zentrum in „Who's That Knocking At My Door“ gibt und dann von
„Mean Streets“ über „Alice doesn’t live here anymore“ bis zu „Taxi Driver“
immer gefährlicher und pervertierter wird, bevor er konsequenterweise den von
der Bibel abweichenden Judas in „The Last Temptation of Christ“ gibt. Keitel
ist allerdings nur eine erste unschuldige Liebe für Scorsese, denn schon in
„Mean Streets“ neigt sich der Blick des New Yorkers mit italienischer
Abstammung in das unberechenbare Little Italy Wesen von Robert de Niro. Es
schien als wäre Keitel ein Alter Ego von Scorsese gewesen und hätte sich von
ihm entfernt, wäre zur reinen Bedrohung geworden, während De Niro etwas zu
verkörpern schien, dass Scorsese von außen kannte, von den Beobachtungen seiner
Kindheit und dass er mit solcher Faszination betrachtete bis er es selbst
wurde. De Niro rastet oft aus. Er zertrümmert eine halbe Telefonzelle in
„Goodfellas“, er schmeißt Sharon Stone mit brutaler Aggression aus der
gemeinsamen Wohnung in „Casino“ und er schießt eben jenem Harvey Keitel
lächelnd in den Bauch bevor er alles über den Haufen schießt in einem Blutbad
nachdem er seinen Fernseher vom Tisch gestoßen hat. Manchmal schlägt er mit
seinem Kopf gegen die Wand bis einem selbst fast schlecht wird. De Niro ist
eine Naturgewalt bei Scorsese. Ein Mann, der immer etwas unter seiner
Oberfläche versteckt, etwas das aber ständig unter den Blicken der Kamera zum
Vorschein kommt. Wahnsinn, Gewalt, Eifersucht. In Scorseses Remake von „Cape
Fear“ ist De Niro überzeichnet zerfressen von diesen Gefühlen. Immer wieder
greift Scorsese auf eine Einstellung zurück, die nur das nervöse Blinzeln der
Augen seiner Figuren zeigt. Von Nicolas Cage und seiner Schlaflosigkeit in
„Bringing Out The Dead“ bis zum Taxi Driver und seinen Gewaltneigungen werden
so tickende Zeitbomben unter der Haut spürbar. Kleine Ticks und Gesten
bestimmen die Erscheinungen. Immer wieder greifen sich Scorsese-Figuren an den
eigenen Hals, ziehen an der eigenen Nase oder räuspern sich. In „The King of
Comedy“ ist De Niro einer jener klassischen Scorsese Figuren. Er will unbedingt
und mit allen Mitteln etwas aus sich machen, etwas werden, eine Karriere
machen. Krankhafter Ehrgeiz spiegelt sich auf den Scorsese-Gesichtern. Und
ihnen ist jedes Mittel Recht bis sie sich selbst im Spiegel erkennen wie De Niro
als Jake LaMotta, für den sich der Schauspieler ein extremes Gewicht
angefressen hat oder bis sie völlig mit ihrem Ziel verschmelzen wie De Niro in
„Taxi Driver“ als er vor dem Spiegel sein Attentat durchspielt und seinen
schizophrenen Neigungen folgt. Ein Gangster folgt bei Scorsese immer seinen
eigenen Gesetzen. Er sieht in seinen Verbrechen die große Chance etwas aus
seinem Leben zu machen, aus dem Alltag auszubrechen und berühmt, unabhängig und
reich zu werden. Sie trainieren dafür, sie riskieren dafür und sie haben keine
Furcht. Dazu gehört auch immer eine Show, um es sich selbst und allen zu
zeigen.
Doch plötzlich verkehrt sich diese Welt. Die Figuren haben sich ihr
eigenes Gefängnis aufgebaut, das sich gegen sie wendet. Wenn Henry Hill in
„Goodfellas“ aus seinem paranoiden Kokain-Wahnsinn flüchtet oder wenn Paul in
„After Hours“ endlich wieder in die Arbeit geht, dann wird klar, dass sie aus
dem Leben, das sie sich so sehr gewünscht hatten, entkommen müssen. Scorsese
beginnt häufig in der Kindheit seiner Protagonisten. Er scheint die Frage zu
stellen: Woher kommen diese Krankheiten? Doch diese Kindheit wirkt merkwürdig
fremd, wie ein Zauberland („The Wizard of Oz“ Anspielungen inklusive), er hüllt
sie in verfremdete Farben, zeigt sie als Abseits der eigentlichen Realität an. Die
Kindheit als Traum einer Unschuld, als wahre Zeit der Unschuld, in der
unbewusst die ersten Spuren für Kriminalität und Wahnsinn getroffen werden. So
verkehrt sich die übermäßige Sorgsamkeit der Mutter in „The Aviator“ in die
schlimmen Neurosen des Howard Hughes und die ersten Kontakte mit dem Verbrechen
in „Goodfellas“ und „The Departed“ werden zum lebenslangen Fluch und Segen.
Damit sind wir auch schon bei der bis dato letzten großen Liebe von Martin
Scorsese angekommen: Leonardo DiCaprio. Der Perfektionstrieb, der schon in der
Zusammenarbeit mit De Niro ein Markenzeichen war, ist mit DiCaprio auf dem
Gipfel angelangt. Dieses bedingungslose Streben nach Wahrheit und Perfektion
ist nicht nur den Filmemachern gemein, sondern auch den Charakteren. Die
DiCaprio Figuren erbauen sich immer ein eigenes Ideal und beginnen langsam
daran zu zerbrechen. Es scheint ganz natürlich zu sein, dass dieser
Scorsese-Held nicht alle Filme überlebt. In „Shutter Island“ ist es gar die
gesamte Realität, die vor den Augen von DiCaprio verschwindet. Es ist als
würden die beiden immerzu auf Wolken warten, den Wolken hinterher reisen, damit
sie ihre perfekten Momente und Szenen gewinnen. Die Stoffe werden historischer,
die Charaktere von Scorsese basieren auf echten Menschen, auf Vorbildern.
Sie
leben oft in der Vergangenheit und das Bedauern hat sich in Form einer
Melancholie in sie eingeschrieben. Kein Wunder, dass sich Scorsese in „The
Color of Money“ der filmgeschichtlichen Vergangenheit selbst widmet, indem er
Fast Eddie Falson wieder auf die Leinwand wirft. Mit DiCaprio werden die
Beziehungen zwischen Mann und Frau zwar nicht weniger krankhaft, aber zumindest
gelingen sie kurzzeitig. Im Gegensatz zu Scorseses De Niro und Keitel kann
DiCaprio einer Frau gerade ins Gesicht schauen. Aber was ist mit den Frauen im
Kino des Martin Scorsese? Es scheint als wären sie ebenfalls völlig verrückt
oder unberührbar oder beides. Was für Sandra Bernhard in „The King of Comedy“
gilt, gilt genauso für Sharon Stone in „Casino“, Cate Blanchett als Katharine
Hepburn in „The Aviator“ oder Rosanna Arquette in „After Hours“: Extravaganz,
ein Schuss Verrücktheit und Unberechenbarkeit und der männliche Scorsese-Held
ist begeistert. Aus der Sicht der Frau hat Scorsese wenige Filme gemacht. Unter
seinen Langfilmen findet sich nur „Alice doesn’t live here anymore“ mit einer
wunderbaren Ellen Burstyn. Damit lässt sich vielleicht eines mit Sicherheit
über die Charaktere von Martin Scorsese sagen: Sie sind männlich.
2.Musik
Irgendwann
spielen meistens die Rolling Stones. In Bars, in Flashbacks oder auf ihren
eigenen Konzerten. Scorsese erreicht drei Dinge mit seiner Musik. Er spielt sie
im Bezug zur Emotion seiner Figuren, er erweckt eine Zeit zum Leben und er
bricht mit Konventionen in der Darstellung von Gewalt. Wenn sich bei Scorsese
jemand verliebt, dann ist ein Liebeslied zu hören. Von „Love is Strange“ bis zu
„And Then He Kissed Me“ wird dabei eine klassische Überhöhung und eine gewisse
Leichtigkeit des Verliebens impliziert. Die Bilder beginnen sich mit der Musik
zu bewegen. Sie werden langsamer oder schneller, ein Lächeln oder eine
Berührung werden musikalisch aufgefangen, das Kino von Scorsese ist ein
einziges großes Musical. Und dann fährt er wieder auf die Gesichter in Zeitlupe
und zeigt mit Hilfe der Musik die Figuren selbst an. Ihre Sehnsüchte, ihre
Krankheiten. Tom Cruise tanzt Pool zur Musik von Warren Zevon. Scorese hat
Musiker portraitiert wie George Harrison oder Bob Dylan und er hat Konzertfilme
gemacht wie eben „Shine a Light“ oder „The Last Waltz“ (This film should be
played loud).
Immer wieder sind in seinen Filmen auch kurze narrative Pausen
für die Musik. Die Kamera ruht auf Sängern oder Straßenmusikern und zeigt ihr
Spiel. Damit schafft Scorsese ein Gefühl für Raum und Zeit. Fast dokumentarisch
wählt er die Soundtracks der jeweiligen Dekaden. Man merkt ihm die Freude am Zuhören
förmlich an. Niemand könnte das Cocoanut Grove beeindruckender zum Leben
erwecken als der musikalische Scorsese in „The Aviator“, der Zeitgefühl mit
musikalischem Gefühl verbindet und für den Mise-en-scène und Schnitt,
Kamerabewegung und Spiel immer Teil einer musikalischen Komposition zu sein scheinen.
Doch mit dieser Harmonie bricht er, wenn es um Verbrechen und Gewalt geht.
Interessante Zwischenräume spalten sich auf, wenn „Layla“ von Derek and the
Dominos eine Montagesequenz mit Leichen begleitet, eine Ironisierung des
amerikanischen Traums, der sich durch das gesamte Werk von Scorsese zieht. Manchmal
weicht Scorsese von seiner schier endlosen Jukebox aus auf orchestrale Themen
wie das Camille-Thema aus „Le Mépris“ oder die „Cavalleria Rusticana“ in „Raging
Bull“ mit der er die ganze Anmut und Eleganz des Boxsports unter seine Titel
bringt, mit der er in einem Bild seinen ganzen Film erzählt, der seinen
Protagonisten in einem Ring gefangen hält als wäre es ein Zirkus bei Rilke, der
nicht aus seiner Welt ausbrechen kann und der Fehler macht, aber der von Größe
und Schönheit ist.
3.Tempo
Wer Martin
Scorsese schon mal beim Reden bewundert hat, der weiß, dass dieser Mann wie ein
Wasserfall spricht. Egal ob in Dokumentationen wie „Italianamerican“ oder in
einem Spielfilm wie „Taxi Driver“, egal ob bei Dankesreden, in Interviews oder
bei seinen filmischen Reisen durch die Filmgeschichte. Scorsese redet gut und
viel und nach eine These des speziellen Peter Kubelkas, die man auch bei August
Wilhelm Schlegel in der Aufklärung finden kann, bestimmt der innere Takt, also
der Herzschlag, der Sprechrhythmus, die Geschwindigkeit beim Gehen und so
weiter den Takt und die Geschwindigkeit der Kunst selbst. Im Fall von Martin
Scorsese heißt das Thelma Schoonmaker (seine Stammcutterin), das heißt das Bam
Bam Bam…Jump-Cuts, Freeze-Frames, irre Verfolgungsfahrten, Kranaufnahmen,
Voice-Over Speed Narrating, Zoom-In, Zoom-Out, Cache, Continuous-Montage
Orgien. Die Leichen purzeln nur so durch die Filme und irgendwie entspricht der
nervöse Stil von Scorsese auch seinen Charakteren, die sich ja auch des Öfteren
am Rande des Nervenzusammenbruchs befinden. Aber diesen Stil lediglich als
nervös zu bezeichnen, wäre ungerechtfertigt, denn dafür ist er zu virtuos
durchkomponiert. Es scheint als würde Scorsese häufig das Kino selbst
beschwören, indem er einen Exzess der filmischen Mittel durchprobiert. Dabei
beginnt sich die zeitliche Wahrnehmung vor dem Auge des Betrachters aufzulösen.
Scorsese kann riesige Zeitspänne und winzige Spänne gleich groß erscheinen
lassen. Die Nacht in „Bringing Out The Dead“ entspricht in etwa den Jahrzehnten
in „Goodfellas“.
Offensichtliche Flashbacks muss Scorsese genau deshalb derart
übersignalisieren wie in „Shutter Island“, weil sonst niemand daran denken
würde, dass es einen Flashback gibt. Das gilt übrigens nicht nur für die
erzählte Zeit, sondern auch für die reale Zeit. Ein Scorsese Film wirkt
unabhängig seiner Länge immer gleich dicht. Es passiert zu viel und man wird
bombardiert mit visuellen Eindrücken. Mal sind es jene Kranfahrten durch
opulente Gebäude, die ihn nahe an das visuelle Empfinden der
Blockbuster-Generation um Steven Spielberg bringen, mal sind es künstlerische
Schwenks und Spielereien. Man weiß nicht so recht, wo man ihn greifen kann. Die
360 Grad-Fahrt um Paul Newman in „The Color of Money“ beschreibt das visuelle
Tempo von Scorsese vielleicht am besten, denn hier bewegt sich zugleich alles
und nichts. Es ist ein inneres Bild, das mit äußeren Mitteln wie eine Handlung
erscheint. Ähnliches gilt für die berühmte Verfolgungskamerafahrt in „Goodfellas“.
Alles ist überfordernd und im Kern ist es doch genau das was zählt. Der äußere
Glanz, der die Figuren korrumpiert. Für
Scorsese scheint das Kino manchmal noch immer in sich eine Attraktion zu sein.
Das zeigt er auch in „Hugo“, in dem er 3D einsetzt wie ein kleines Kind und mit
den einfahrenden Zügen ein passendes Bild für sein eigenes Filmschaffen findet.
Dann erschrickt man fast, wenn man die Ruhe in „Kundun“ oder „The Age of
Innocence“ spürt, denn Scorsese scheint durchaus in der Lage sich zu drosseln.
4.Gewalt
Ist die
Gewalt bei Scorsese nun eine folgenlose Comicgewalt oder ist sie im Kern dem
moralischen Urteil des Regisseurs unterzogen und wird als bedrohlich und folgenschwer
dargestellt? Zunächst sollte festgehalten werden, dass Scorsese in ganz
klassischer amerikanischer Tradition Verbrechen nicht belohnt. Im Klartext
heißt es, dass irgendwann Menschen umgebracht werden, wenn sie Verbrechen
begehen. Dennoch entfalten sich oft ein Gewaltrausch und eine Identifikation
mit dem Verbrechen. Seit ich „Goodfellas“ gesehen habe, wollte ich ein Gangster
werden. Von den Schlachten in „Gangs of New York“ bis zu der Racheorgie in „Taxi
Driver“ fällt nicht nur die extreme Ästhetik der Gewaltszenen auf, sondern auch
wie sehr man darin den Protagonisten folgt und wie man sich wünscht, dass die
oft blutigen und unmoralischen Taten gelingen. In anderen Filmen führt Gewalt
zu Lachen, auch Drogen und Alkohol machen Spaß. Scorsese ist ein Kind von New
Hollywood, der nicht anders kann. Und das ist gut so. Zum einen wird die Gewalt
nie unreflektiert eingesetzt, sondern immer in einem paradoxen Verhältnis zum
American Dream. Korruption und Macht, Sexismus und Rausch sind immer zugleich
Himmel und Hölle, Verlockung und Angst. Dabei kommt auch die religiöse Ebene
ins Spiel, die nicht zuletzt Georg Seeßlen als das Charakteristikum für das
Kino von Scorsese identifiziert hat. Denn in der Gewalt liegt auch so etwas wie
eine religiöse Erlösung und darin findet sich ein weiteres Paradox. Vom reinen
Spaß am Blut eines trashigen Robert Rodriguez ist Scorsese himmelweit entfernt.
In den individuell gestalteten Idealen der Scorsese-Figuren schaut Gott
manchmal hin und manchmal weg. Es muss erst eine Art Leidensweg bestritten
werden, eine christliche Passion, die eben gewaltvoll ist. Die Schusswechsel,
Explosionen und Waffenspielereien sind Notwendigkeiten einer verblendeten
Weltsicht. Diese Weltsicht wird aber oft subjektiv wiedergegeben. Der scheinbar neutrale, realistische Stil wird
von der Freude an der Brutalität durchbrochen. Aber diese Brutalität bricht nur
heraus, weil sie von Anfang an in die Figuren oder ihr soziales Umfeld
eingeschrieben ist. Es sind Ellenbogengesellschaften und sie funktionieren nach
alttestamentlichen Ordnungen. Dabei unterscheidet er nicht zwischen
Kleinganoven, kriminellen Syndikaten oder scheinbar legalen Unternehmen. Bei
Scorsese ist der Kapitalismus ein tatsächliches Schlachtfeld. Und am Ende geht
man in die Kirche und betet für seine Sünden. Es ist ein sinnloses Unterfangen,
aber es ist ein verständliches, denn nur für sich selbst agieren die
katholischen Figuren und nur für sich selbst, das heißt für Gott. Zum anderen
ist Scorsese ein dem post-klassischen Genrekino zugewandter Regisseur. Er
bewegt sich gerne innerhalb der Genres, die eine solche Gewaltvorstellung zum
Teil verlangen (Gangsterfilm, Psychothriller usw). Kein Wunder, dass er auch im
Fernsehen mit „Boardwalk Empire“ damit arbeitet.
5.Kinoliebe
Damit sind
wir auch schon beim letzten essentiellen Begriff zur Umschreibung der Filme von
Martin Scorsese: Der Kinoliebe. Wer Scorsese für seine jüngeren
Hollywoodarbeiten verkennt, der begeht meiner Ansicht nach einen großen Fehler,
denn selbst in Autorenzeiten, in denen sicherlich die wertvollsten und
persönlichsten Filme seiner Karriere entstanden sind, war Scorsese ein Kind und
ein Verfechter des amerikanischen Kinos. Seine Filme sind in der amerikanischen
Gesellschaft angesiedelt, zumeist behandeln sie gesellschaftliche Themen.
Scorsese ist an größeren Budgets interessiert, er braucht sie für seine
Visionen. Schon „New York, New York“, ja selbst „Alice doesn’t live here
anymore“ sind Filme, die Studios der klassischen Ära vermutlich angenommen
hätten. Die Kinoliebe von Scorsese ist eine aufrichtig kommerziell orientierte
Liebe. Das bedeutet nicht, dass er nicht wie in „Kundun“ oder auch „Hugo“ über
den Tellerrand blicken würde. In „Hugo“ setzt er äußerst intelligent den Beginn
der kinematografischen Geschichte gegen den erneuten Beginn des 3D-Hypes. Neben
der Verwendung von Filmmusik und den direkten Filmzitaten beziehungsweise
Remakes („Cape Fear“) und Sequels („The Color of Money“), hat Scorsese mit „The
Key to Reserva“ gar eine handwerklich perfekte Hitchcock-Hommage gedreht. Dabei
verfilmt er für einen Werbespot ein fiktionales Hitchcock-Drehbuch mit den Mitteln
des Meisters, die er in Perfektion imitiert. Auch bemerkenswert sind seine “A
Personal Journey with Martin Scorsese Through American Movies” und “My Voyage
to Italy”, in denen er seiner Lust an Filmvermittlung nachkommt und den Zuseher
auf eine persönliche Reise durch die amerikanische beziehungsweise italienische
Filmgeschichte mitnimmt. Sein Engagement und seine Arbeiten im Bereich der
Filmrestaurierung und Filmvermittlung sind erstaunlich und einen eigenen Blogeintrag
wert. In jeder Sekunde atmet Martin Scorsese Kino. Michael Ballhaus hat vor
einigen Jahren in einem Interview mit dem bayerischen Rundfunk erzählt wie
aufgeregt Scorsese vor „The Departed“ war, als er erfuhr, dass er nun mit Jack
Nicholson zusammenarbeiten würde. Unabhängig von seinen letztlichen Werken muss
Martin Scorsese weiterhin ein Vorbild für jeden Filmemacher sein. Die Art und
Weise in der er seine künstlerische Integrität innerhalb eines zerfressenden Systems
bewahrt, in der er für das Kino an sich einsteht und eine unheimliche Vielfalt
an Werken und Projekten realisieren konnte, die unschuldige Liebe zum Medium
und die bodenständige Suche nach den besten Möglichkeiten Kino zu machen, sind
einzigartig. Dabei behält sich Scorsese einen ganz eigenen Ehrenkodex bei und
das ist der des Kinos selbst. Vielleicht ist manches davon geschickt
konstruiert, aber dennoch bleibt er ein Vorbild.
Enden möchte
ich den Eintrag mit einer weiteren Figur im Kino von Martin Scorsese. Seiner
Mutter. Wer dieser Frau in „Italianamerican“ beim Kochen zugesehen hat und sie dabei
beobachtet hat wie sie den Gangstern in „Goodfellas“ Essen macht und wer ihr
beim Reden zugehört hat, wer sie immer wieder in den Filmen von Scorsese
gesehen hat, der weiß, dass Catherine Scorsese Ausdruck der Persönlichkeit, des
Realismusstrebens, der Einfachheit und Ehrlichkeit genauso ist, wie des
Unterhaltungsdrangs, des freudigen Wahnsinns und der Massenliebe in den Filmen
eines der größten Regisseure in der Geschichte des Films.
und weiter gehts:
Großartiger Artikel!
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