Text: Rainer Kienböck
Kon Ichikawa
wird gemeinhin nicht zu den ganz großen Regisseuren des Japanischen Kinos
gezählt. International wie national wird ihm nicht die gleiche Anerkennung
zuteil wie einem Akira Kurosawa, Yasujiro Ozu oder Kenji Mizoguchi. Nicht, dass
ich dagegen etwas einzuwenden hätte, es lohnt sich aber durchaus einen Blick
auf sein Schaffen zu werfen. Ende der 50er Jahre drehte Ichikawa zwei Filme
über japanische Soldaten im Kriegseinsatz in Südostasien während des zweiten
Weltkriegs. Die beiden Filme unterscheiden sich trotz ihrer oberflächlichen
Ähnlichkeit beträchtlich. Diese Verschiedenheit erlaubt es ganz
unterschiedliche Spektren des menschlichen Wesens zu ergründen.
Ein Grund
für die Verschiedenheit ist eine Zäsur. Zwischen 1956, dem Erscheinungsjahr von
„Biruma no Tategoto“ („Freunde bis zum letzten“), und 1959, jenem von „Nobi“
(„Feuer im Grasland“) liegen zwar nur drei Jahre, in diesen Jahren begann aber
die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der Kaiserlichen Armee. Heute ist
hinlänglich bekannt wie grausam und kaltblütig die Japanischen Soldaten
vorgingen – sei es das Massaker von Nanking oder diverse Gräueltaten in
Südostasien. Auch in Burma (dem heutigen Myanmar) und auf den Philippinen war
die Kaiserliche Armee nicht für ihr zimperliches Vorgehen bekannt. Man sollte
im Hinterkopf behalten, dass die Details dieser Ereignisse um 1956 der
Japanischen Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Weiß man nicht um diese Umstände
Bescheid, dann mag man geneigt sein, sich einigen Kritikern anzuschließen, die
„Biruma no Tategoto“ als ein verklärtes Abbild der reuigen, geschlagenen
Japanischen Soldaten sehen.
Ich für
meinen Teil, wusste nichts von der Entstehungsgeschichte des Films und trotzdem
ist „Biruma no Tategoto“ für mich einer der poetischsten Anti-Kriegsfilme (der
Kategorisierung von Kriegsfilmen könnte man einen eigenen Artikel widmen…) der
Filmgeschichte. Diese Kritik ist einerseits nachvollziehbar – wir wissen um
diese Gräueltaten und sie werden in „Biruma no Tategoto“ aus genannten
Umständen nicht behandelt, und auch in „Nobi“ größtenteils ausgeblendet, aber
hier geht es nicht um die Glorifizierung der Japanischen Armee. Hier geht es
nicht um Kriegshelden. Es geht in beiden Filmen um Individuen, die sich
inmitten der Schrecken des Krieges (derer auch ohne Kriegsverbrechen der
Japaner genug zu finden sind) ihren Weg durch ein fremdes Land bahnen.
In
„Biruma no Tategoto“ folgen wir zunächst der Einheit des Gefreiten Mizushima,
die sich in den letzten Kriegstagen der Britischen Armee ergibt. Schließlich
wird der Krieg offiziell durch die Kapitulation des Kaisers beendet, doch
einige sture Einheiten der Japaner widersetzen sich ihrer Entwaffnung.
Mizushima wird als Gesandter zu einer dieser Stellungen geschickt, um den
dortigen Kommandanten zur Aufgabe zu bewegen. Sein Versuch misslingt und er
gelangt zwischen die Fronten. Die Japanischen Stellungen werden zerstört, die
Briten ziehen weiter, und Mizushima erwacht zurückgelassen im Niemandsland,
wird von einem Mönch gefunden und aufgepäppelt.
Mizushima
ist kein Engel, sondern ein pflichtbewusster, wenn auch sensibler Soldat. Bei
seinen Kameraden ist er wegen seines Harfenspiels beliebt (die „Saung“, die
burmesische Harfe, gibt dem Film seinen englischen Verleihtitel und sein
musikalisches Leitmotiv). Um zu ihnen zurückzukehren stiehlt er die Kleider des
Mönchs und reist so verkleidet durch Burma. Auf dem Weg über die Schlachtfelder
stößt er auf unzählige Leichen (japanischer) Soldaten, die nicht begraben
worden sind. Long story short: Er entschließt sich nicht zu seiner Einheit
zurückzukehren, sondern fortan als Mönch zu leben und den Gefallenen die
letzten religiösen Ehren zu erweisen. Es ist keine spontane Epiphanie, sondern
man erkennt wie in Mizushima langsam die Überzeugung wächst sein Leben
dementsprechend zu gestalten. Parallel dazu zeigt uns Ichikawa immer wieder,
wie Mizushimas Kameraden versuchen ihn zu finden. Sie schicken eine alte
japanisch-sprechende Burmesin, die ihnen Lebensmittel ins Camp schmuggelt aus,
Informationen einzuholen, und üben sich im Chorgesang (der Kommandant der
Einheit hat vor dem Krieg eine musikalische Ausbildung genossen), in der
Hoffnung von Mizushima gehört zu werden. Sie trainieren sogar einen Papagei,
Mizushimas Namen zu rufen und schicken ihn mit der Alten fort.
Man merkt,
der Film büßt in dieser Phase einen großen Teil seiner Glaubhaftigkeit ein.
Egal, genauso wie es einerlei ist, ob japanische Kriegsverbrechen thematisiert
werden, ist auch die dramatische Überhöhung des Plots nicht von Belang. Denn
„Biruma no Tategoto“ ist in erster Linie ein wunderschöner Film. In einem
zerstörten Land, malt Ichikawa Bilder aus Licht und Schatten, die es mit jenen
eines Terrence Malick aufnehmen. Das geht so weit, dass ich den Film, wenn ich
ihn vergleichen müsste am ehesten an die Seite von Malicks „The Thin Red Line“
stellen würde. Der Krieg ist bei beiden Filmen nur ein Umstand, ein Rahmen, in
dem das Wesen des Menschen ergründet wird.
An dieser
Stelle will ich den Anschluss an „Nobi“ wagen. Ichikawas zweiter Film über die
Japanische Armee spielt auf der Insel Leyte (ein Teil der Philippinen), einige
Wochen oder Monate vor den Ereignissen von „Biruma no Tategoto“. Der Krieg ist
nämlich noch im Gange. Die Japaner sehen sich zwar in einer ausweglosen Lage
und schon kurz nach Einsetzen der Narration beginnt die Evakuierung Leytes,
aber das Kriegsende ist noch in weiter Ferne. Wie auch in „Biruma no Tategoto“
folgt die Erzählung einem isolierten Soldaten – Tamura. Er ist an Tuberkulose
erkrankt, worauf er von seinem Vorgesetzten ins Lazarett geschickt wird. Das
überfüllte Lazarett behandelt allerdings nur Verwundete und keine Kranken (als
Randnotiz möchte ich anmerken, dass mir klassische japanische Vorstellungen von
Ehre und Tapferkeit zuwider sind). Das Lazarett wird Ziel eines
US-Bombenangriffs, die Linien der Japaner brechen, und eine überstürzte Flucht
in Richtung des Evakuierungspunkts Palompon ist die Folge. Wie eine
Flipperkugel wird Tamura von den US-Truppen, einheimischen Guerillas, dem
Hunger, dem schlechten Wetter, seiner Krankheit und den eigenen Kameraden, die
sich als hinterhältige Meuchelmörder und Betrüger herausstellen, durch die
Wälder und Wiesen Leytes getrieben.
Mizushima
ist ein aktiver Charakter, der zwar in missliche Umstände gerät, aber sein
Schicksal immer selbst in der Hand behält. Tamura ist zutiefst passiv. Er
verspürt zwar noch Überlebensdrang, aber eigene Ideen oder Pläne macht er
nicht. Immer schließt er sich anderen Grüppchen an und lässt sich ausnutzen.
Die Filmgeschichte ist voll von solchen Charakteren, und sie haben ihren Platz nicht ohne
Grund. Das heißt aber nicht dass man sie gut finden muss! Gerade im
Gegensatz zu Mizushima zeigen sich die krassen Unterschiede wie ein Film einen
emotional anzusprechen vermag. Beide Filme sind in gewisser Weise
Charakterstudien, die ihren Protagonisten mit feindlichen Einflüssen in einem
fremden Land konfrontieren. Tamura nimmt diese Einflüsse hin, versucht sich zu
verstecken, in ihnen zu verschwinden und partout nicht aufzufallen. Ichikawa
macht es sich hier leichter als in Mizushimas Fall. Mizushima befindet sich in
einem kontinuierlichen Kampf mit sich selbst. Sein Wunsch zu seinen Kameraden
bzw. nach Hause zurückzukehren steht in ambivalenter Beziehung zu seiner
spirituellen Überzeugung. Während Tamura sich treiben lässt, kämpft Mizushima
gegen den Strom. Die Dynamik, die sich aus Mizushimas Tatkräftigkeit ergibt,
verstärkt den emotionalen Eindruck der Ereignisse, während Tamuras Passivität
dem Film ein Stück weit seine Schlagkraft nimmt. Den Horror des Krieges an
einem passiven Subjekt durchzuexerzieren bietet weniger Konfliktstoff –
vielleicht war die Zeit damals noch nicht reif, für ein japanisches „Komm und
sieh“, vielleicht hat sich Ichikawa ganz einfach verkalkuliert, vielleicht ist
die Buchvorlage daran schuld – Fakt ist, „Nobi“ beraubt sich selbst emotionaler
Tragweite.
Allgemein
ist „Nobi“ die düstere, verzweifelte Antwort auf „Biruma no Tategoto“. „Biruma“
ist trotz seiner nicht gerade fröhlichen Prämisse, ein Film der Humanismus
predigt und an das Gute im Menschen appelliert. Er hinterlässt keinen bitteren
Nachgeschmack, sondern ein Hoffnungsfunkeln – der Glaube an die Menschheit
bleibt bestehen, und obwohl „Biruma no Tategoto“ nicht „gut“ im herkömmlichen
Sinne endet (im Gegenteil, wir haben es hier eher mit einem traurigen Ende zu
tun) lässt es einen doch Hoffnung verspüren. „Nobi“ hingegen malt ein düsteres
Bild von der Welt. Einer Welt in der jeder nur auf sein eigenes Überleben aus
ist und das Gesetz des Stärkeren gilt. Hat man in „Biruma“ noch Hoffnung auf
ein friedliches Erdenzeitalter, das auf das Grauen des Krieges folgt, so
schließt „Nobi“ mit der Überzeugung, dass es keine Rettung mehr für die Welt
gibt. Innerhalb von drei Jahren drehte Ichikawa also zwei Filme mit ähnlichen
Ausgangspositionen aber gegensätzlichen Aussagen. Das mag einerseits daran
liegen, dass in dieser Zeit die wahren Gräueltaten der Japanischen Armee
aufgearbeitet wurden, und Ichikawa nun seine Meinung über die Soldaten im
zweiten Weltkrieg revidieren wollte, oder weil er die Ambiguität im Menschen,
und in der Welt ansprechen will. Ich vermute eher letzteres, sonst hätte er
einerseits dreißig Jahre später kein Remake von „Biruma no Tategoto“ gemacht,
und außerdem traue ich einem Mann, der zwei so feinsinnig konstruierte,
emotionale Filme macht, mehr Finesse zu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen