Text: Rainer Kienböck
2013 wird der Filmindustrie als Jahr der
floppenden Blockbuster in Erinnerung bleiben. Persönlich, habe ich es als Jahr
sehr hoher Qualität empfunden und viele interessante Entdeckungen gemacht. Wichtiger
Teil dieser Entdeckungen war das Trio an Michel Gondry-Filmen, die in den
letzten eineinhalb Jahren Premiere gefeiert haben, und die 2013 schließlich
ihren Weg in den regulären Verleih gefunden haben. Alle drei haben sie das
Kinojahr auf ihre eigene Art und Weise mit Abwechslung und Charme bereichert.
Mein persönliches Gondry-Filmjahr begann
vor etwas mehr als einem halben Jahr, als ich auf „The We and the I“ stieß. Es
war eine zufällige Entdeckung, und ich war erstaunt, dass ich in den Monaten davor
nichts von diesem Film gehört habe. Genau genommen feierte der Film seine
Premiere bereits 2012 in Cannes, aber wie so oft, dauerte es über ein Jahr bis zum
regulären Kinostart.„The We and the I“ ist eine Art von Film die wir bisher von
Gondry noch nicht gesehen haben. Der Film spielt sich fast vollständig in einem
Schulbus ab, der am letzten Schultag des Jahres durch den New Yorker Stadtteil
Bronx fährt. Der Großteil der Charaktere ist afro-amerikanisch oder gehört
einer anderen ethnischen Minderheit an.Wendet sich Gondry dem
sozialrealistischen Milieustudium zu? Mitunter scheint es fast so. Die Probleme
der Teenager werden ernsthafter aufgearbeitet als in publikumswirksameren
Filmen ähnlichen Formats, ohne dabei brachial politisch zu wirken. In erster
Linie geht es hier um das Leben von angehenden Erwachsenen und nicht um die
Probleme von einzelnen Bevölkerungsschichten. Das macht den Film auf den ersten
Anhieb sympathisch und nicht so träge wie vergleichbare Werke. Der Franzose
Gondry schafft es auch eindrucksvoll die Sprache der New Yorker Jugend
einzufangen. Jugendsprache wirkt in vergleichbaren Filmen oft aufgesetzt, aber
in diesem Fall haben die Drehbuchautoren entweder sehr gut recherchiert oder
auf die Expertise ihrer Schauspieler vertraut – die Dialoge sind nie zum
Fremdschämen.Nichtsdestotrotz, ist „The We and the I“ meines Erachtens der
schwächste Film des Trios. Konfrontationen auf engem Raum bieten fruchtbaren
Nährboden für Konflikte, man ist aber nunmal räumlich begrenzt, und diese Begrenzung
um der Begrenzung willen ist im Film deutlich spürbar. Zu oft wirken
Situationen konstruiert und die Authentizität der Sprache wird durch diese
Künstlichkeit zunichte gemacht. Außerdem finde ich es persönlich sehr schade,
dass solch ein visuell kreativer Regisseur wie Michel Gondry sich an solch
einem Film versucht, der so gar nicht seine eigentlichen Stärken unterstreicht.
Selten aber doch lassen sich Funken seines Esprits nicht unterdrücken und
Gondrys Kreativität sprüht hervor, aber gerade dann wirkt sie leider oft fehl
am Platz und passt nicht zum Ton des restlichen Films.
Die visuelle Kreativität die „The We and
the I“ fehlt, hat „L’Écume des Jours“ im Übermaß. Hier wähnt man sich in der
fabelhaften Welt von „La Science des rêves“, einer Welt voller
Stop-Motion-Animation und hippen, farbenfrohen Sets. Der Film basiert auf einem
französischen Roman und erzählt von einem wohlhabenden Erfinder namens Colin,
der mit seinem Koch Nicolas und einer Art Haustier-Maus (die von einem
kostümierten, geschrumpften Schauspieler verkörpert wird) in einem schicken
Apartment in Paris lebt. Er verliebt sich in Chloé und heiratet sie nach kurzer
Zeit. Aber Chloé entwickelt eine seltene Krankheit, die nur zu behandeln ist,
indem man sie mit Blumen umgibt. Diese verwelken in rasanter Geschwindigkeit
und geben dabei ihre Lebenskraft an die Patientin ab (oder so ähnlich). Nach
und nach erschöpfen die teuren Blumenbouquets Colins finanzielle Mittel und
seine Welt wird immer trister. Auch stilistisch wird dies deutlich – die Farben
im Film ergrauen immer mehr, und die anfangs überbordende Phantastik des
filmischen Raums weicht eintöniger Tristesse. Alles in allem, haben wir es hier
mit einem sehr surrealistischen Versuch einer Liebesgeschichte zu tun, in der
die bezaubernde Audrey Tautou und der bemühte Romain Duris (in einer
wunderbaren Ewan McGregor-Rolle) gegen Windmühlen ankämpfen – gigantischen
fantastischen Windmühlen. Gondrys Fantasie entpuppt sich hier als Stolperstein
für die filmische Erzählung. Zwar bietet er einen echten Augenschmaus, aber vor
lauter spaßigen Animationen und tollen Designs vergisst er ein wenig seine
Geschichte zu erzählen. So entwickelt sich der Film zum Einheitsbrei aus
Attraktionen und schon bald ist man so übersättigt wie von gebrannten Mandeln
am Jahrmarkt. Eigentlich schade, denn so ist „L’Écume des Jours“ wie auch schon
„La Science des rêves“ ein großes Versprechen, dass jedoch nie ganz erfüllen
kann was es an Potenzial offenbart. Dennoch ist es mein Lieblings-Gondry des
Jahres 2013, und sicherlich einer der kreativsten Filme des Jahres.
Vielleicht noch persönlicher als „L’Écume
des Jours“ ist Gondrys letzter Film des Jahres: „Is the Man Who Is Tall Happy?:
An Animated Conversation with Noam Chomsky“ ist ein sperriger wie
selbsterklärender Filmtitel. Es handelt sich hier in der Tat um ein Interview
Gondrys mit dem amerikanischen Linguisten und Philosophen Noam Chomsky, dass er
eigenhändig mit Animationen unterlegt. Ein großartiges Konzept, und anders als
alles was ich bisher gesehen habe (am ehesten vielleicht noch mit Ari Folmans „Waltz
with Bashir“ zu vergleichen), ist der Film vor allem eine Selbstreflexion
Gondrys auf sich und seine Kunst. Gondry hat eine starke persönliche Verbindung
zu Chomskys Arbeiten, und hat sich augenscheinlich mit dessen Theorien zur
frühkindlichen Sprachentwicklung und auch seinen politischen Aktivitäten
auseinandergesetzt. Der vielleichte interessantere Aspekt ist aber der
Entstehungsprozess dieses Solo-Projekts, der immer wieder angesprochen wird.
Gondry gibt mehrmals offen zu, dass er aus Zeitmangel oder fehlender
Inspiration alte Animationen recycelt und welche Mühe ihm die philosophischen
Diskussionen auf Englisch, einer Fremdsprache, machen. Mehr als drei Jahre lang
hat es gedauert diesen Film fertig zu stellen, und Gondry erwähnt mehrmals,
dass er versucht hat ihn fertigzustellen bevor der mittlerweile 85-jährige
Chomsky verstirbt. Soviel Ehrlichkeit verdient Anerkennung, soviel Herzblut
verdient Respekt, und auch wenn „L’Écume des Jours“ mein Lieblings-2013-Gondry
ist, wird mir wohl „Is the Man Who Is Tall Happy?“ länger im Gedächtnis
bleiben, und auf lange Sicht gesehen einen prominenteren Platz in einer Wertung
seines Oeuvres einnehmen.
2013 war also ein turbulentes Jahr für
Gondry, und auch wenn kein echtes Meisterwerk unter seinen drei Filmen dabei
war, bleibt er für mich einer jener Regisseure, deren neueste Filme automatisch
auf meine „Watchlist“ wandern. Gondry ist einer der kreativsten Köpfe im
modernen Kino und bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Mainstream und
Indie. Ein Visionär der nicht auf effektvolles Spektakel verzichten will, aber
dafür nicht ausschließlich auf die Hilfe von Computern zurückgreift. Das gibt
seinen Filmen einen Hauch von Nostalgie und vor allem sehr viel Charme.
Trailer
The We and the I
L'Écume des Jours
„Is the Man Who Is Tall Happy?:
An Animated Conversation with Noam Chomsky“
Stimmt - dafür, dass er mit "Eternal Sunhine of a Spotless Mind" einen meiner Lieblinugsfilme geschaffen hat, bin auch ich überrascht, dass man/ich von seinen Filmen der vergangenen Jahre so wenig gehört hat/habe. ;) Großartiger Beitrag ... und schöner Blog insgesamt!
AntwortenLöschenDanke! Wenn ich mich richtig erinnere war deine DVD von "Eternal Sunshine" sogar mein erster Gondry... so schließt sich der Kreis :)
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