Ihre Blicke sind merkwürdig starr. Sie sehen sich selbst. In
der Geschwindigkeit meiner Augen jagen ihre Ebenbilder (sind sie das?) durch
die Projektoren. In „Fantasma“ erforscht Lisandro Alonso den Gang ins Kino.
Aber es ist nicht ein regulärer Gang ins Kino, sondern es ist der Gang des
Hauptdarstellers in seinen eigenen Film. Und dieser Film ist auch der
tatsächlich letzte Film, den Alonso mit jenem Argentino Vargas, einer
ruhig-bedrohlichen Naturgewalt des Ausdrucks gedreht hatte, „Los Muertos“. Ein
verlassenes, merkwürdig bedrohliches Kino in Buenos Aires. Außer Vargas sitzt
nur eine Frau, die Mitarbeiterin des Kinos zu sein scheint im Kino und für
kurze Zeit ein stummer Kinoarbeiter. Was bedeutet es sich selbst zu sehen? In „Aquele
Querido Mês de Agosto“ von Miguel Gomes sieht eine alte Frau ihren eigenen Tod
auf der Leinwand und mit dem Schwenk auf ihr gebanntes Gesicht stirbt die Zeit,
die das Kino so einfach zu beherrschen vermag. Ist der Blick auf die Leinwand
ein Blick in den Spiegel? Wenn dem so ist, dann ist es ein Blick in den Spiegel
der eigenen Vergänglichkeit, fast ein paradiesischer Biss in den Apfel und man
erkennt seine eigene Sterblichkeit. Der Drang sich selbst zu sehen, scheint im
Facebook-Zeitalter nochmal einen ungeahnten Schub bekommen zu haben. Doch den Existentialismus
kann man mit einem Klick auf Löschen oder einem ironischen Kommentar
ausblenden. Im Kino dagegen ist man gefangen. Das Lächeln in die Kamera, das
Winken. Es lebt noch immer. Und auf den Gesichtern reflektiert die Reflektion
der Leinwand: Licht. In „Tabu“ setzt Gomes wieder eine Frau ins Kino. Er
reflektiert nicht nur auf ihre Person, sondern auf das Kino an sich. Wir
schauen uns den Film an, den sich die Figur ansieht, ein poetischer Strom
entfaltet sich, denn hier beginnen wir uns auch selbst zu sehen. Sieht sich
Lisandro Alonso auch selbst zu? Immerhin zeigt er seinen eigenen Film im Kino. Es
ist die Masturbation eines Künstlers und plötzlich wird mir klar, warum es
Scorsese so oft ins Pornokino verschlägt. Ein Mann, der das Kino so sehr liebt,
der einem alles zeigen könnte, schickt seine Figuren bei Dates oder mit
Penisattrappen ins Pornokino, um etwas über ihre Welt und damit seine Filme zu
erzählen und nicht, um das Kino zu huldigen. Das macht er dann doch in seinem „Hugo“.
Aber sobald wir seine Figuren sehen und verstehen, was sie im Kino sehen,
verstehen wir uns doch selbst ein bisschen besser. Viele Schauspieler betonen,
dass sie sich nicht gerne auf der Leinwand sehen. Welche Brüche müssen sich da
auftun? Fellini hat es erforscht als er in „Intervista“ Anita Ekberg und seinen
Marcello Mastroianni mit ihrer berühmten Szene aus „La dolce vita“
konfrontierte. Zwei schwelgerische, altgewordene Seelen werden getroffen vom
Schock ihrer eigenen Jugend, ihrem Anmut, ihrer Natürlichkeit. Das Kino beginnt
zu beben, Realität wird aus den Angeln gehoben. Die Tränen von Anna Karina in „Vivre
sa vie“ und die Tränen von Maria Falconetti in Dreyers „La Passion de Jeanne
d’Arc“ treten bei Godard in einen Dialog. Auch der Blick in ein anderes Gesicht
kann zu einem Spiegel werden. Kino ist wie die Schatten einer Nacht. Die
Fantasie und die Reflektion wird von der Dunkelheit und dem, was man nur für
Sekunden oder in Ausschnitten sieht, beflügelt.
Auch für mich sind die Szenen
aus „Los Muertos“ in „Fantasma“ eine Wiederentdeckung. Truffaut ist daran
gescheitert als er in „L'amour en fuite“ mehr mit der Erinnerung an seinen
Doinel beschäftigt war, als dass er seinen Doinel mit seiner eigenen Erinnerung
konfrontierte. Aber das ist kein Wunder, denn für Truffaut war das Kino selbst
immer größer als der Dialog, den man damit führen konnte. Woody Allen macht das
Kino zu einem Teil seiner Figuren, auch John Cassavetes hat in „Minnie and
Moskowitz“ das Kino als Charakterisierungsmaßnahme verwendet. Gehen nur Träumer
ins Kino? Träumer und neurotische Intellektuelle? In „Close-Up“ erforscht Abbas
Kiarostami die Kraft des Reenactments und verschleiert dabei die Grenzen
zwischen Fiktion und Dokumentation. Seine Hauptfigur wird mit seiner eigenen Vergangenheit
konfrontiert und fester Bestandteil dieser Vergangenheit ist auch in der Gegenwart,
das Kino selbst. Es ist ein durchdachter Schritt von Nanni Moretti gewesen
ausgerechnet ein Screening von „Close-Up“ in seinem „Il Giorno della prima di
Close Up“ zum Thema zu machen. Moretti sieht sich oft selbst bei der Arbeit zu.
Andere sehen ihren Verwandten zu. So erforscht Dominik Graf in „Das Wispern im
Berg der Dinge“ die Arbeit seines schauspielernden Vaters. Die Frage ist,
welche Persönlichkeit sich durch das Kino kommuniziert. Welche Transformationen
finden aber auch im jungen Graf selbst statt, wenn er seinen Vater sieht. Mit
seinem Körper (seiner Stimme) schreibt sich Graf in seinen eigenen Film, die
Kamera richtet sich ganz wie bei „Le Mépris“ auf sich selbst. Andere verstecken
sich im Kino, in der Dunkelheit, sie schauen Filme und verlieren sich darin.
Sind ihre glänzenden Augen ein Spiegelbild? Manchmal wird das Kino angezündet
und manchmal wird der Film manipuliert. „Irma Vep“ von Olivier Assayas
beschäftigt sich nicht nur mit seiner eigenen Herstellung, sondern auch mit
seinem eigenen Sterben. In „Fantasma“ weiß ich nicht, ob der mordende Vargas
aus „Los Muertos“ nun sich selbst spielt oder immer noch der mordende Vargas
ist. Sein Hemd scheint das gleiche zu sein oder sieht es nur so ähnlich aus? Ich traue den Bildern nicht, ich kann ihnen nicht trauen, es ist ein
Fantasma wie die Musik in „Mulholland Drive“ von David Lynch. Sein Spaziergang
durch das merkwürdige Innenleben des Kinos erinnert an seinen Gang durch den Urwald
in „Los Muertos“. Ist das Kino immer eine Analogie? Dann gibt es da ein Lächeln von
Johnny Depp als John Dillinger in „Public Enemies“ von Michael Mann als er sich
selbst auf der Leinwand sieht. Er fühlt sich sicher in der Dunkelheit, er
identifiziert sich, er infiziert. Das Kino erhöht und lässt Figuren größer
erscheinen. Hier ist es, dass er spürt, dass er selbst ein Held ist. Die
Sterblichkeit von Fellini ist bei Mann einer Unsterblichkeit gewichen. Sein Tod
ist zu einem Leinwandtod geworden. So wie das lange stehende Bild von Che
Guevarra in „La Hora de los Hornos“ dabei hilft ihn unsterblich zu machen. Alles
im Film ist unsterblich und erinnert damit an die eigene Sterblichkeit. Und
schon als Kind war ich begeistert von der Idee der goldenen Eintrittskarte in
John McTiernans „Last Action Hero“, die es dem Jungen ermöglicht die Welt des Films
tatsächlich zu betreten. Sie entpuppt sich trotz parodisierender Unnötigkeiten
als echt. Niemand verändert sich vor oder hinter der Leinwand, denn alles
bleibt immer auf der Leinwand. Das Kino schwimmt im unsichtbaren Meer wie die
Welt, die Wahrnehmung in Tarkowskis „Soljaris“. Ein Traum, eine Wirklichkeit,
ein Spiegel, die Realität; alles gebannt in der Dunkelheit, damit die Wahrnehmung
sich selbst finden kann. Am Ende steht Vargas verloren im Foyer.
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