In der vierten Visconti-Besprechung geht es im Folgenden um
sein Melodram “Senso” aus dem Jahr 1954.
Willkommen im Beauty-Shot Salon von Luchino Visconti. In
seinem vierten narrativen Spielfilm ging der italienische Aristokratensohn
einen völlig neuen, seiner persönlichen Herkunft wohl eher entsprechenden Weg. Kein
Hauch von Neorealismus weht da mehr durch die durchstilisierten Bilder und wenn
man vor der Aufgabe stehen würde Verbindungen zu seinen älteren Werken ( „Ossessione“,
„La terra trema“ und „Bellissima“) zu ziehen, dann würde man eher in jenen
eigentlich dem Realismus verpflichteten Werken opernhafte Elemente finden, als
auch nur ein Bild, dass Visconti in „Senso“ nicht überhöht hätte. Sein Film
beginnt auch gleich in der Oper und setzt damit den Ton. Anton Bruckners
7.Symphonie wird in einer Interpretation von Nino Rota den emotionalen
Leitfaden liefern. Eigentlich ist die Ouvertüre dem Kino von Visconti auch bis
zu „Senso“ nicht fremd gewesen. In „Bellissima“ wählt er einen ähnlich
musikalischen Auftakt und die jeweils ersten Szenen in „Ossessione“ und „La
terra trema“ sind durchaus auch, als von der Handlung losgelöste
Stimmungsbilder zu betrachten. Aber die Oper liegt nicht nur im Beginn. Sie
liegt in der Größe und Schwere, in der Visconti seinen melodramatischen Stoff,
der auf einer Novelle von Camillo Boito basiert, präsentiert. Jedes Bild, jede
Sekunde gleicht einer Komposition, die eben kaum mehr Platz lässt für den von
Visconti so beförderten Realismus. Die venezianische Gräfin Livia Serpieri, die
eigentlich voller Enthusiasmus für ihren Cousin steckt und diesen in seinen
revolutionären Gedanken unterstützt, verliebt sich unmittelbar vor dem italienischen
Unabhängigkeitskrieg in den österreichischen Soldaten Franz Mahler. Der
klassisch hysterische melodramatische Konflikt zwischen der größeren Autorität
von Familie und Staat und der emotionalen Unvernunft hin zum persönlichen Glück
entfaltet sich zu einer langsamen Gefühlsode, die manchmal in ihrer Konsequenz
kaum ertragbar und manchmal zu wahrlichen Höhenflügen ansetzt. Livia leidet
unentwegt und ihr langsames Sinken in eine Katastrophe kann durchaus als
politische Allegorie aufgefasst werden. Denn neben den privaten Liebelein ist „Senso“
auch ein Kriegsfilm, der sich zwar meist nur am Rande des kriegerischen
Geschehens, aber inmitten des politischen Konflikts dahinter bewegt. Und
Visconti ist weitaus vielschichtiger, als dass er hier eine Geschichte von der
Kraft der Liebe gegen die Brutalität des Krieges aufziehen würde. Vielmehr
spielt er mit diesem Klischee, um es am Ende völlig brutal zu brechen. Damit
hinterfragt der Film sogar seine eigene Sentimentalität und der empathische
Blickpunkt von Livia, den man glaubte innegehabt zu haben, wird plötzlich zu
einem kalten Blick von außen.
Schon den ganzen Film gibt es diese kaum subtil dargestellte
Schuld über die individuelle Ignoranz gegenüber großen politischen Fragen.
Franz und Livia kehren ihren Verpflichtungen den Rücken zu, auf der Suche nach
einem persönlichen Glück. Doch am Ende betont Visconti die Vergänglichkeit von
Glück und Liebe. In einer schmerzvoll-grandiosen Sequenz führt Franz Livia
regelrecht vor, zwingt sie mit einer Prostituierten, die er sich von ihrem Geld
gekauft hatte, an einem Tisch zu sitzen. Sein Lachen schallt durch den vor Gold
und Silber überschäumenden Raum. Das schwarze Kleid, das Livia umschließt wird
zu einem Gefängnis. Es gibt kein vor und zurück, die Leidenschaft verkehrt sich
in ein Unheil. In dieser Dekadenz kommt Visconti zu sich selbst. Er muss lange
genug warten, denn erstaunlicherweise gelingt ihm kaum ein starkes inneres Bild
der Gräfin. Er studiert sie und fängt doch immer nur den gleichen
sehnsuchtsvollen Blick ein. Aber da sind wir auch beim Titel: Sehnsucht.
Visconti münzt den Titel hier sicherlich doppelt. Einmal die Sehnsucht der
Gräfin, jene Sehnsucht, die zur Liebe gehört. Und zum anderen ist es auch eine
politische Sehnsucht, denn neben der Handlung, die als poltische Allegorie
verstanden werden kann, so kann auch die Geschichtlichkeit als Verweis auf die
damalige Gegenwart verstanden werden. Visconti selbst legte Verbindungen und Parallelen
zur kommunistischen Revolution nahe. Und damit ist man dann doch wieder bei dem
Visconti, den man bis 1954 hat kennenlernen dürfen. Ein Filmemacher, der Charaktere
in persönlichen und politischen Krisen zeigt, der sich immer auf die Seite des
Niedergangs stellt und dabei politische Standpunkte verschnörkelt unterbringt.
Nur die Form scheint eine völlig neue zu sein. Am
offensichtlichsten ist, dass „Senso“ sein erster Farbfilm ist. Mit ungeheurer
Sorgfalt achteten Visconti und sein Kameramann G.R. Aldo auf die Bilder, die
oft grün, weiß und rot, also die italienischen Farben enthalten. Die
Emotionalität wird durch die Kraft der Farben, die ich in der restaurierten
Fassung bewundern durfte, verstärkt. Über sein eigenes Format springt Visconti
hinaus, das Bild scheint ihm kaum zu reichen für seinen Überschwang. Menschen
kommen von hinten ins Bild und gehen in unendliche Tiefen. Blenden lassen den Film
wie ein ewiges Gemälde erscheinen. Die Kostüme erinnern in ihrer Virtuosität
etwa an Jane Campions „The Piano“, wobei die geduckten Bewegungen der Gräfin,
meist entlang von Wänden, die sie fast im Stil eines James Deans ständig
berühren muss, mehr an die Pinguin-Nonnen aus Cristian Mungius „După dealuri“ erinnern.
Hauptsache alles ist schön. Aber verliert Visconti dadurch die eigentliche
Stärke seines Schaffens, die bedingungslose Suche nach einer Wahrheit zwischen
dem Drama? Oder vielleicht allgemeiner gefragt: Muss ein Film im Hier und Jetzt
spielen, um eine zeitgenössische Relevanz zu erlangen? Diese Frage sprengt
natürlich jeden Rahmen, aber es scheint mir recht klar in Viscontis Fall, dass
eine geschichtliche Überhöhung das Kino tatsächlich mehr zu einer Oper macht
und geschulte Analytiker von theatralen Texten sich durchaus einer
intellektuellen Botschaft erfreuen können, nicht aber dadurch irgend eine Form
von agitatorischen und auch kino-politischen Potenzial abgerufen wird. Das Kino kann sein wie die Oper. Schön, aber
warum ist es dann keine Oper? Natürlich bietet „Senso“ weit mehr, aber die
Frage darf und muss schon gestellt sein und es scheint erschreckend wie
Visconti das Kino mit den Mitteln des Kinos verlässt. Interessant, dass auf
inhaltlicher Ebene die Schuld über das eigene Bevorzugen von Ästhetik und
Schönheit gegenüber den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen
verhandelt wird.
Am Ende gibt es in „Senso“ wunderschöne Bilder des Krieges.
Ein Paradox, das mich zutiefst beschäftigt. Massenszenen, die scheinbar
hunderte Meter in die Tiefe exakt choreographiert werden (ähnlich der
Dorfbewohner in „La terra trema“) und dabei eine Art Gemälde aus Farben, Blut
und Gewalt bieten. Die Opernklänge schallen, manchmal stehen die Soldaten wie
aus Zinn. Fast wirkt dadurch alles etwas weiter weg, eben wie der
Nebenschauplatz, den der Krieg auch im Leben der Protagonisten spielt. Strategische
Bewegungen und historische Authentizität werden mit den Bewegungen des Kinos
verwoben. Visconti hat mit „Senso“ zwar eine Art Masturbationshilfe für Douglas
Sirk Fetischisten gedreht, aber er hat sie politisiert, hyper-hysterisiert und
in eine Dekadenz verdreht, die einen so schnell nicht loslassen kann.
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