Der Mensch als Sammler
Text: Rainer Kienböck
Einer der ureigensten Triebe des Menschen,
der Sammeltrieb, ist Gegenstand Agnès Vardas "Les glaneurs et la glaneuse".Mit Weitsicht und Fingerspitzengefühl
handelt es sich dabei weder um eine historische Arbeit, noch um eine
philosophische Erörterung. Varda gelingt es eine Anzahl kleiner Geschichten zu
einem großen Ganzen zusammenzufügen. Das Sammeln bildet in "Les glaneurs et la glaneuse" den Rahmen, unter dem sich die unterschiedlichsten
Aspekte dieser Tätigkeit gegenseitig in Beziehung setzen lassen. Im
ursprünglichen Sinne sind mit „Glaneurs“ die Frauen gemeint, die den Männern
mit ihren Sensen folgten und die Ähren auf den Feldern aufsammelten (im
Österreichischen würde man sie als „Klauberinnen“ bezeichnen). Sie bilden den
Ausgangspunkt von Vardas filmischer Reise. Jene alten Frauen, die in ihrer
Jugend diese Arbeit noch selbst verrichteten kommen zuerst zu Wort. Im
Zeitalter der intensiven Landwirtschaft ist ihre Arbeit allerdings nicht mehr
gefragt. Zwar bleiben hinter den Erntemaschinen massenhaft Lebensmittel zurück,
aber bis auf wenige Randgestalten der Gesellschaft macht sich niemand die Mühe
sie aufzusammeln. So bleibt das Vermächtnis der Ährensammlerinnen nur noch in
Museen erhalten. Auf den Spuren der Gemälde, welche die „Glaneurs“
thematisieren, reist Varda durch ganz Frankreich und trifft auf die
unterschiedlichsten Arten von Sammlern: darunter sind Schrottsammler, Menschen die
im Müll ihr Essen sammeln und die direkten Nachfolger der Ährensammlerinnen,
die den Erntemaschinen auf die Felder folgen.
Die Motive der unterschiedlichen Personen,
die Varda im Film antrifft, sind jedoch gänzlich verschieden. Der Schrott wird
von manchen zu Kunst verarbeitet, andere wiederum versuchen Kühlschränke,
Fernseher und Öfen wieder in Schuss zu bringen und zu verkaufen. Die einen
sammeln ihr Essen im Müll und am Feld aus existenzieller Not, andere als Kritik
an der Wegwerfgesellschaft. Die Regiesseurin selbst, ist die „Glaneuse“ des
Filmtitels. Der englische Titel drückt es hier expliziter aus („The Gleaners
and I“). Sie sucht und sammelt Individuen, die teils belächelt, teils ignoriert
von der Gesellschaft, sich aus Protest oder Armut, dem Sammeln verschrieben
haben.Ein unschuldiges Konzept auf den ersten Blick, aber auch wenn sie es nie
ausspricht, haben wir es hier mit einem Manifest gegen die kapitalistische
Wegwerfgesellschaft zu tun – Varda ist zu subtil, zu gereift, um dies so
auszusprechen wie ich es mir hier anmaße, aber still und leise, begraben unter
dem liebevollen Blick ihrer Kamera offenbart sich die politische Drastik ihres Films.
Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die
französische Filmemacherin mehr und mehr vom fiktionalen Film entfernt, und
sich der dokumentarischen Form zugewandt. Ihr Gespür fürs Geschichtenerzählen
geht dadurch aber keineswegs verloren. Auch wie selbstverständlich sie neue
Medien wie die Videokamera neben klassischen Film stellt und die beiden Formen
nahtlos ineinander übergehen lässt ist bemerkenswert – diese Frau hat nie
aufgehört zu lernen. Gerade angesichts ihres fortgeschrittenen Alters ist diese
Flexibilität bewundernswert. Das Resultat aus handwerklicher Raffinesse und
sozialem Gespür ist ein „greifbarer“ Film im wahrsten Sinne des Wortes. Ein
Film zum Anfassen. Sammeln als Akt des Greifens. Immer wieder spielt auch Varda
mit diesem Bild, dann wenn ihre eigene Hand ins Bild rutscht. Dann bekommt der
Film eine ganz bestimmte Materialität und der Sozialrealismus wandelt sich für
einige Sekunden in Poetik. Materialistische Poetik, so könnte man Vardas Stil hier
beschreiben, und ich denke die Bezeichnung würde ihr gefallen.
Wunderschön !
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