Die Zusammenkunft von Ingmar Bergman und Sven Nykvist prägt
die erhabenen Bilder von Ingmar Bergmans „Jungfrukällan“ in jeder Hinsicht. Wie
die Jungfrau Karin, die Kerzen zum Gottessdienst bringen soll und dabei einen
Wald durchquert von einer schuldigen Unschuld umgeben ist, so sind es auch die
Bilder, die Bergman und sein Bildermacher produzieren. Es ist als würde 1960
die Spiritualität auch in die Bilder von Bergman geweht werden. Zwar hatte
Nykvist schon einige Szenen bei „Gycklarnas afton“ für Bergman gedreht, aber
mit „Jungfrukällan“ entsteht ihr erstes tatsächlich gemeinsames Werk. Zahlreiche
weitere sollten folgen. Das Weiß im Film
wirkt strahlend und unschuldig, verspielt und dennoch ein bisschen zu hell, um
echt zu sein. Die sexuelle Unschuld vor Gott ist moralisch schon lange
gebrochen. So scheint es in den ersten Bildern der jungen Karin, die genau zu
wissen scheint wie sie Männer um sich herum betört und überzeugt. Seltsam
verspielt scheint auch das Verhältnis zu ihrem Vater Töre, der von einem das
Bild durchströmenden Max von Sydow zwischen Jugend und Zerbrechlichkeit, Wärme
und Härte oszilliert. Doch bald wird klar, dass der verspielte Umgang von Karin
mit dem männlichen Geschlecht das wahre Gesicht ihrer Unschuld und ihres
Untergangs ist. Sie hat kein Gefühl für die Gefahr, erinnert in ihrer
fröhlichen Naivität an Schneewittchen. Neben ihr ist ihre benachteiligte
Adoptivschwester. Sie bringt dunkle Mächte ins Spiel und wünscht Karin den Tod.
Ihre Angst vor dem Wald, lässt die deformierte Schönheit von Bergmans Natur in
einem bedrohlicheren Licht erscheinen. Seine Bilder und Töne sprechen auf den
ersten Eindruck die Sprache der Unschuld, der Unberührtheit, aber auf den
zweiten Blick offenbaren sich gefährliche Formen und merkwürdige Mächte des
Todes spielen ihre Rolle. Fast ein Horrorfilm und gewissermaßen eine Analogie
zu Lars von Triers „Antichrist“. Bergman stellt die Frage nach der Unschuld
nicht, denn für ihn ist sie gerade dann verloren, wenn sie ausgestellt und
verteidigt wird. Immer wieder sind Tiere zu sehen: Ein Vogel blickt in die
Kamera, ein Frosch, den die Schwester Karin in ihr Brot steckt, ein weißes
Pferd. Der Ton ist auf allen Ebenen angereichert mit der Natur. Wind,
Tierschreie, Wasserläufe. Bergman lässt seinen Film leben, aber wohlüberlegt. Kein
Ton, keine Bewegung zu viel. Vor allem im zweiten Teil, wenn sich die
Geschichte in eine pragmatisch-alttestamentliche Rachegeschichte verkehrt.
Nochmal wird die Unschuld verloren, doch diesmal liegt sie auch nicht mehr in
den Bildern. Sie verschwindet in einer Geste, die heute an Nicolas Winding
Refns Hand-Fetischismus erinnert. Die Hände des Mörders werden gedreht und als
etwas vom Körper abgetrenntes betrachtet.
Aber wer hat Schuld? Nicht umsonst wurden
Vergleiche zu Kurosawas „Rashomon“ angestellt. Die Vergewaltigungsthematik, der
Wald und die Unklarheit von Schuld sind kaum zu übersehene Parallelen. Wie von
einer fremden macht geleitet lässt die Schwester den Stein fallen, der Karin
das Leben retten könnte. Statt ihn auf die Vergewaltiger zu werfen sieht sie
machtlos zu. Später vermag auch die Mutter ihren Mann nicht daran hindern das
unschuldige Kind zu töten. Ist ein Kind aber immer unschuldig? Wie unschuldig
ist Karin selbst? Einer der Vergewaltiger ist sprechbehindert, seine Zunge
wurde angeblich rausgeschnitten. Bergman scheint diese Figur weder aus billigen
Horroreffektgründen noch aus einer Art psychologischer Rechtfertigung für die
Tat zu verwenden, sondern vielmehr erscheint durch sie eine Art übergeordnete,
ja gottgewollte Ungerechtigkeit. Auch der blinde Mann in seiner Hütte wird zu
einem lüsternen Propheten des Grauens. Bekanntlich ist Bergman selbst mit „Jungfrukällan“
nicht zufrieden. Er mag sein eigenes Ende nicht. Der Vater will eine Kirche
bauen, an genau dem Ort, an dem seine Tochter vergewaltigt wurde. Es ist auch
eine Art, um für seine eigene Mordsünde einzustehen. Trotz der Ablehnung des
Regisseurs gegenüber diesem Schluss sei gesagt, dass er damit genau jenen
Konflikt aufgreift, der sich schon den ganzen Film ereignet. Eine Gegenüberstellung
von Schuld und Unschuld, die sich gegenseitig durchdringt. Unschuld bei Bergman
heißt eben Schuld. Dieses Paradox zieht sich gewissermaßen durch das ganze
filmische Werk des Regisseurs. Damit bewegt er sich durch jenes Gebiet der
großen spirituellen Filmemacher wie Tarkowski oder Bresson und wenn man so will
auch Fellini. Heute hat Gott mehr oder weniger keine Bedeutung mehr im
westlichen Alltag und somit auch im westlichen Kino. Sind deshalb auch die sich
transzendierenden Bilder aus dem Kino verschwunden? Nicht wirklich, denn es
gibt genug Filmemacher, die sie noch suchen und umsetzen können. Der
Unterschied liegt darin, dass sie Bergman und Nykvist schon kennen und damit
fällt es noch eine Spur schwerer zu einer tatsächlichen Unschuld der Bilder zu
gelangen, zu einem Licht, das wie ein spiritueller Schein wirkt statt wie ein
Filmzitat. Am meisten diskutiert wurde natürlich über die Vergewaltigungsszene
selbst. Sie ist eine weitere Lektion großer Filmkunst. Die grausamste Tat
stellt Bergman in erhabener, ja leichter Schönheit dar. Er entfernt sich und
für einen Moment offenbart sich die reine Unschuld ausgerechnet im schuldigsten
Moment. Er betont immer den Rand, das scheinbar Unsichtbare, das
Vorbeirauschende. Sein Ziel ist immer die Magie des Kinos, die sich zwischen
den Räumen einer bloßen Narration auftut.
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