Nach einem langen Festivaljahr bietet die Viennale auch
immer die Möglichkeit Filme wieder zu sehen, die man an anderer Stelle sehr
gemocht hat. Dazu gehörten für mich „Medeas“ von Andrea Pallaoro und „La vie d’Adèle“
von Abdellatif Kechiche. Zwei sehr unterschiedliche Filme, die beide
gewissermaßen mein Festivaljahr auf einen großen Nenner bringen. Denn der
vieldiskutierte Gewinner der Goldenen Palme 2013 steht für mich für die
sinnliche Aufregung und Unschuld des Festivalzirkus, den ich dieses Jahr
kennenlernen durfte. Die tausend Eindrücke, die im Film in der wiederholten
Nahaufnahme des geöffneten Mundes von Adèle kulminieren, lassen Film zu einem
sinnlich-rhythmischen Erlebnis werden, die Offenheit und Furchtlosigkeit, mit
der Kechiche eine junge Liebe einfängt, sucht Ihresgleichen. Zwar verliebt man
sich beim zweiten Mal nicht mehr ganz so schön wie beim ersten Mal, aber es
bleibt das gleiche Gefühl und der Boden, den der Regisseur einem dann wegzieht,
ist aus Schmerz. Es geht dabei auch um die Art wie er den Prozess von Gefühlen
zeigt: Lächeln und vor allem Tränen entstehen unter unserer Betrachtung und
sind nie einfach da. „Medeas“ dagegen spricht eher die intellektuelle Auseinandersetzung
mit Filmen an, die in diesem Jahr eine ganz neue Bedeutung für mich bekommen
hat; ein Gefühl dafür, welche Art von Kino auch in dieser Zeit noch möglich ist
und die gleichzeitig traurige als auch freudige Erkenntnis, dass sich dieses
Kino fast ausschließlich auf Festivals befindet. Auch Pallaoro zieht einem den
Boden unter den Füßen weg und hört einfach an der perfekten Stelle auf zu
erzählen. Heute unterhielt ich mich lange mit dem Regisseur über seinen Film
und konnte in ihm auch wieder jene Begeisterung für eine bestimmte Art Kino
sehen, die in erst in diese Geschichten und diese Form treibt.
Treiben ist wohl auch das Stichwort für die Filme von John
Torres, dem dieses Jahr ein spezielles Programm im Rahmen der Viennale gewidmet
ist. Der junge philippinische Filmemacher, der sich zusammen mit unter anderem
Raya Martin und Khavn De La Cruz zu einer ganz besonderen Bewegung im
südostasiatischen Kino formiert hat, einem Kino jenseits unserer europäischer
Sehgewohnheiten, dass an den Türen der Lyrik und Musik klopft, um bedingungslos
persönliche, oft vibrierende Essays über unsere Zeit zu entwerfen. Dabei passt der Begriff
Experimentalfilm nur bedingt auf den ältesten und den neuesten Film von Torres,
die ich beide nach nerdiger (im besten Sinne des Wortes) Einleitung von Olaf
Möller sehen durfte. „Todo todo teros“ ist eine flüchtende Liebesgeschichte im
Zeitalter einer Überwachung. Irgendwo angesiedelt zwischen einem Videotagebuch
und „Fallen Angels“ von Wong Kar-Wai. Torres arbeitet mit Schrift und er spielt
mit einem Feuerwerk an Eindrücken. Dabei lässt er seine unheimlich starke
emotionale Seite oft in den Irrwegen seiner rebellischen Tendenzen, die er
selbst als Terrorismus bezeichnet, vedursten. Damit steht er überraschend nahe zu Albert
Serra, der in unserem Interview beständig von der subversiven Seite des Kinos
sprach. Gibt es in seinem Frühwerk noch
einige Schwierigkeiten für mich, so hat mich „Lukas nino“ dann sehr begeistert.
Ähnlich wie bei Raya Martin in „How to disappear completely“ baut sich darin
ein tranceartiger Sog zwischen der Hommage an eine bestimmte Bildersprache (bei
Torres, die des Philippnischen Mainstreamkinos der 1980er Jahre), wunderschönen
Bildern und einer kindlichen Mystik, die von Flüssen erzählt, durch die man
schwimmt, um eine Erinnerung zu vergessen und von Kindern, die glauben, dass
sie halb Mensch halb Pferd sind. Die Eindrücke und Gefühle bombardieren einen
und man merkt förmlich wie Torres von seiner gezwungenen Terroristentätigkeit,
zu einem Musiker der Emotionen wurde, der Filmsprache tatsächlich mit Musik
gleichzusetzen versucht. Im Rausch des Festivals dient ein solcher Film wie
eine Metabeschreibung der Erlebnisse. Eine Bilderflut, die sich Zeit nimmt.
Irgendwo darin geht Film verloren bis man ihn wieder findet und sich erneut
darin verliebt.In einer fast schmerzenden Szene werden Augen massiert und jedesmal, wenn das Weiß der Augen zu sehen ist, verändert sich das 35mm Filmmaterial. Habe ich das wirklich gesehen?
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