Wenn man die Einführung von Chris Fujiwara im Filmmuseum zu „Which
Way To The Front“ von Jerry Lewis mit anhören durfte, dann war man schon vor
dem Film begeistert. Es war eine zugleich emotionale und sachliche Einführung,
die einen am Abend eines langen Viennale-Tages nochmal richtig auf Lewis
einstimmen konnte. Der alberte sich in gewohnt grandioser Art und mit einer
gewissen Verwandtschaft zu Tarantinos „Inglourious Basterds“ durch den
2.Weltkrieg. Diese Verwandtschaft sprudelte auch aus den begeisterten Worten
von Fujiwara heraus. Ein großer Mann der Filmkritik und Festivalwelt. Der halbe
Hitlergruß von Lewis im Film: „Half a Heil“, ist wohl eines der prägenden
Zitate für mich bei der diesjährigen Viennale. Zuvor hatte ich zum zweiten Mal
Asghar Farhadis „Le passé“ gesehen, ein Film der kaum Raum zum Atmen hat, aber
dieses auch nicht braucht. Irgendwie ist Farhadi ja ein Verwandter von Götz
Spielmann…diese eingeschnürten Dramen, die auch als Thriller funktionieren.
Wenn man sich zu Fuß in der klaren Novemberluft zwischen den Kinos bewegt, dann hat man auch Zeit sich
diese enge und Perfektion in Wahrhaftigkeit umzuwandeln. Außerdem schlägt man
natürlich allerhand Brücken. Ich fühle mich immer hin und hergezogen bezüglich
der Frage, ob es gut ist mehrere Filme an einem Tag anzusehen. Auf einem Festival
ist das natürlich normal und eigentlich Pflicht und ich sehe auch, dass sich im
Dialog zwischen den Filmen neue Welten auftun und die Filme extrem gewinnen
können. Auf der anderen Seite hatte ich zum Beispiel nach „Història de la meva
mort“ von Albert Serra das unbedingte Bedürfnis keinen weiteren Film mehr zu
sehen. Ich tat es trotzdem. Je mehr Filme man sieht, desto mehr gibt es auch zu
sehen. Eine unendlich ansteigende Kurve. Die fast unbegrenzten
Zugangsmöglichkeiten unserer Zeit machen Kinoliebe zu einem Sport. Wie man
spätestens seit Truffaut weiß, sind Filmliebhaber kranke Leute, aber wo gewinnt
man noch etwas für sich aus den Filmen, wann reflektiert man darüber und setzt
das Ganze in eigene kreative Energie um, wenn es so viel zu sehen gibt?
Christian Petzold hatte mal gesagt, dass er in seinen Anfangsjahren an der
Filmschule in eine Schaffenskrise kam, weil er nur noch am Filmeschauen war.
Ist ein Festival also eine Krise für mich?
In eine solche Krise gerät jedenfalls der Protagonist und
gleichzeitig Regisseur des pursten Films, den ich bislang auf der Viennale
gesehen habe. Pur, weil er bedingungslos offen und ehrlich ist: „La jungla
interior“ von Juan Barrero. Der Film ist aus Privataufnahmen entstanden, die
der Spanier bereits vor 4 Jahren drehte, als er von der Schwangerschaft seiner Frau erfuhr. Er
konnte diese nur noch mit der Kamera betrachten, als würden die Bilder des
Kinos ihn an sie binden, die Beziehung retten. Er begleitete sie 9 Monate, aber filmte mit Sicherheit keine klassischen pseudo-romantischen Bilder einer Schwangerschaft, sondern eine innere Zerrissenheit. Schwangerschaft wurde selten so
offen, abstoßend und einfühlsam gezeigt wie hier. Gemischt wird das Ganze mit
surrealen Bildern einer Befruchtung und dem inneren des Urwalds, das für das
Innenleben der Figuren steht. Zwar lässt einen der Film ganz nah ran, aber es
wirkt nie voyeuristisch oder gar pornographisch. Barrero spielt mit der
Distanz, entfremdet das geschehen mit einer dänischen Voice-Over Stimme. Der
Sänger, der dem Film seine Stimme lieh, saß im Kino neben mir. Es war sehr
interessant zu bemerken, wie nervös er wurde, sobald er seine eigene Stimme
ertönte. Trotz der manchmal extremen Bilder von On-Screen Masturbation bis zu
Close-Ups des weiblichen Geschlechts war es äußerst ruhig im Kinosaaal, weil
man eine Ehrlichkeit und ein Gefühl hinter den Bildern spüren konnte, die weit
über eine rein intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Gesehenen hinweg
reichen. Die Krise verstärkt sich dann noch, weil man so viele unterschiedliche
Filme und Einflüsse auf einmal bekommt. Ein spanischer Avantgarde-Film über
eine entfremdete Schwangerschaft, ein französisch-iranisches Drama über
Scheidung und Vergangenheit und eine amerikanische Komödie über den
2.Weltkrieg. Ich mag meine Krise.
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