Magnolia |
Kaum ein zeitgenössischer Filmemacher vermag es mit einer
solchen Kraft die Ästhetik eines verloren geglaubten Kinos vor dem Sterben zu
bewahren. In seinen atemlosen Kamerafahrten und Plansequenzen spiegelt sich
völlige die Bandbreite cineastischer Emotionen. Häufig beginnen seine
Einstellungen in Totalen, sie präsentieren eine lebendige, detailgetreue Welt,
um sich mit zielgerichteten, langsamen Zufahrten den Charakteren zu nähern und
in einer Großaufnahme zu verharren, die weit hinter die Fassade blickt. In
seinem aus der Riehe tanzenden „Punch-Drunk Love“ verdichtet er das räumliche
Geschehen einmal in einem Cache zu einem kleinen Bildausschnitt, indem nur die
sich festhaltenden Hände des verliebten Pärchens im Zentrum der Geschichte zu
sehen sind. Doch diese Fokussierung auf die Essenz seiner Geschichten und
Szenen gelingt ihm auch ganz ohne Cache. Es gelingt ihm ganz ohne klassische
Dramaturgie. Vieles funktioniert, weil er zutiefst glaubwürdige und menschliche
Charaktere zeichnet. Diese haben oft Schwächen, die so in Filmen selten
thematisiert werden. Ihre größte Gemeinsamkeit ist Einsamkeit. Wenn Daniel
Plainview, gespielt von einem diabolischen Daniel Day-Lewis, in „There Will Be
Blood“ seinen Sohn in einem Zug wegschickt, verliert er nur für Momente seine
kalte Fassade. Es sind diese kleinen Momenten, die Anderson immer wieder findet
zwischen seinen rhythmischen Bewegungen durch die Welt. Oft reichen ihm nur
wenige Augenblicke mit einer Figur, um ihr enorme Tiefe zu geben. Wenn Philip
Seymour Hoffman in „Magnolia“ dem Drama seines Patienten im Sterbebett und
dessen Sohn folgt und ihm dabei die Tränen überkommen, braucht man nicht mehr
zu wissen über diese Figur, denn man scheint ihr unendlich nahe zu sein. Bei
Anderson findet sich in seiner bisherigen Karriere keine einzige schlechte
Performance. Immer wieder arbeitet er mit denselben Schauspielern. Julianne
Moore, Luis Guzman, Philip Baker Hall um nur einige zu nennen. Der 42jährige
bewegt seine Kamera ständig zwischen den Emotionen und Absurditäten des Lebens.
Dabei schreckt er weder vor Pathos, noch vor Humor zurück.
Punch-Drunk Love |
Bei ihm passiert
alles zugleich. Das Traurige und das Fröhliche, das Spannende und das
Gefährliche. Hauptsache es bewegt sich was. In der Bewegung macht sich das
ansonsten Unsichtbare sichtbar. Wenn er in der Eröffnungssequenz von „Boogie
Nights“ fast sämtliche Charaktere des Films in einer komplexen Kamerafahrt ohne
Schnitt einführt, dann ist das nicht reiner Selbstzweck oder die praktische
Ausführung einer Theorie, sondern lässt uns zugleich den Groove des Setting und
der Zeit des Films atmen. Exakt wie die grelle Sonne vor der Werkstatt in
„Punch-Drunk Love“, die kalten Gänge des TV-Senders in „Magnolia“ oder die
blinkenden, verlangsamten Spielhallen in „Hard Eight“. Die musikalische
Untermalung seiner Filme gleicht einem lauten Konzert und spielt sich häufig
auf einer ganz eigenen Ebene ab. Psychodelische Töne von Johnny Greenwood
lassen in „There Will Be Blood“ den Druck der Bilder bis in den Adern spürbar
werden. „Boogie Nights“ wartet mit einer Jukebox auf, die Quentin Tarantino vor
Neid erblassen lässt und in „Magnolia“ beginnen alle Charaktere plötzlich ein
Lied zu singen, obwohl sie sich an völlig verschiedenen Orten und in völlig
unpassenden Situationen befinden. „But it’s not going to stop.“ Dieser Mut zur
Verfremdung findet sich immer wieder. Viele Protagonisten in Filmen von Paul
Thomas Anderson tragen eine große Wut in sich. Ähnlich wie bei Martin Scorsese
wollen sie es zu etwas bringen und ähnlich wie bei Scorsese fehlen ihnen oft
die Mittel. Allerdings verfallen seine Charaktere in Melancholie und
Enttäuschung über das eigene Dasein. Oft werden sie in der Konfrontation mit
den Fehlern und Verdrängungen ihrer Vergangenheit gebrochen. Das macht sie
zugleich zu Opfern und Tätern. Zufall und Bestimmung ist ein weiteres Motiv,
das sich durch alle bisherigen Filme des Kaliforniers ziehen. Ob ein Klavier
vom Himmel fliegt oder Tiere, ob eine Figur zu gut ist, um ihr zu glauben, ob
Gerechtigkeit existiert und ob Schuld weichen kann. Anderson ist kein
religiöser Filmemacher, aber er spricht die Themen in einer fast kindlichen Art
und Weise an, er beschäftigt sich mit den Motiven hinter der Religion und entdeckt
dabei, dass Glaube und Hoffnung nicht die Motoren seiner Figuren sind, sondern
sie ihnen einfach passieren. Und in den langen Kamerafahrten durch die
Wahrnehmung dieser Charaktere wiederfährt vielen Zusehern ein Glaube und eine
Hoffnung an einen Filmemacher mit dem der Herzschlag des Kinos zu hören ist. In
einigen Wochen kommt mit „The Master“ der nächste Film von Paul Thomas Anderson
in die deutschsprachigen Kinos.
Hier wie gewohnt eine Übersicht mit Trailern:
Hard Eight/Sydney
Boogie Nights
Magnolia
Punch-Drunk Love
There Will Be Blood
The Master
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