Um einige Zeilen zu einem Film zu schreiben, der einen in
Sprachlosigkeit zurücklässt:
Seidl macht Event-Kino. Jedes Bild ist ein neues Ereignis mit
der Frage: „Wie weit kann man gehen?“
Schon in seinen ersten Bildern offenbart sich häufig die
Essenz seiner Filme. Immer wieder sind es wartende Menschen, frontal zur Kamera
gerichtet. Sie offenbaren sich in einer Art und Weise, dass man sich
gleichzeitig peinlich ertappt fühlt und sich nicht mehr distanzieren kann, dass
man Mitleid spürt und Ekel, und niemals weiß, ob man wirklich lachen soll und
darf, aber es einfach tun muss. „Paradies: Liebe“ beginnt mit dem Bild einer
Gruppe von Menschen mit Down-Syndrom, die in Autoskootern sitzen und auf das
Startsignal warten. Keiner regt sich. Das Startkommando wird nach einiger Zeit
von Teresa, der ca. 50jährigen Protagonistin gegeben. Sie wird ihre Tochter bei
ihrer Schwester lassen und nach Kenia fliegen, um sich dort im Urlaub den
zweifelhaften Genüssen des Sextourismus hinzugeben. Auch in Kenia liegen die
Touristen wie starre Leichen in ihren Sonnenliegen, Einheimische sind wie zu
Eis gefroren in ihren Blicken auf ein Fernsehgerät. Seidl stellt keine
lebendige Gesellschaft dar, er präsentiert einen allgemeingültigen Prozess, in
dem der Blick erstarrt ist und nicht auf den Kern der Sache gerichtet scheint.
Weiße (häufig ältere) Frauen fahren nach Schwarzafrika und lassen sich auf Abenteuer
mit Kenianern ein, die früher oder später damit beginnen nach Geld zu fragen.
Das ganze wird in einer Perversität gezeigt, die durchgehend mit rassistischen
Motiven flirtet und die traurige Animalität des Menschseins offenbart, die
Reduzierung auf einfache Bedürfnisse. Die Beobachtung von Seidl beschränkt sich
allerdings in ihrer Präzision nicht wie bei seinem Landsmann Michael Haneke auf
die Pausen, Setzungen, Tonlagen und Wörter, (und alle Momente, in denen diese
Dinge nicht vorkommen) sondern auch auf zunächst unmenschlich erscheinende
Reaktionen, wie das schrille Lachen über sich selbst und andere. Lachen, das
man nur lustig finden kann, wenn es einem selbst gehört. Dennoch muss man auch
als Zuseher unweigerlich lachen. Über die Grausamkeit des Schamlosen im
gleichen Maße wie über die Offenlegung von Wahrheiten, die man selbst so kennt.
(ob man will oder nicht.) Es entsteht ein Kino der abartigen Attraktionen, des
Unfassbaren, man erwischt sich beim Warten auf die nächste Unheimlichkeit, das
nächste Tabu, dass von Seidl in großer Offenheit angesprochen wird.
Seine
statischen, grotesken Einstellungen sind nur schwerlich als neutral zu
verstehen. Die psychologischen Grausamkeiten des Menschen, die sein (oberflächlich
betrachtet) menschenverachtender Seelenverwandter Lars von Trier in seinen
Filmen größtenteils erforscht, praktiziert Seidl in den physischen Grobheiten
der Körper. Damit ist „Paradies: Liebe“ mehr „Idioten“, als „Dogville“. Es ist
absolut beeindruckend mit welcher Authentizität und Bereitwilligkeit die
Schauspielerinnen Sex und körperliche Fehler ausstellen; und „Ausstellen“ ist
hier tatsächlich der richtige Begriff, denn auch der Umgang der Frauen mit
ihren kenianischen Liebhabern mutet dem eines Umgangs mit Haustieren an oder
eben Affen, die auf dem Balkon des Hotels gefüttert werden möchten. Da muss man
schon schwer schlucken. Umso interessanter die Selbstironie, die den
Charakteren beiwohnt; sie machen sich über ihr eigenes Aussehen lustig. In
dieser Selbstdegradierung liegt gleichzeitig ihr Selbstschutz, denn eine
Reflektion ihres Verhaltens ist himmelweit entfernt. Im Liebesparadies herrscht
eine europäische Fun-Society, die humoristischen Rassismus betreibt, der in
absurden Spielen der Lust eine Art rundum Wellness-Trip verspricht. In einer Sequenz
versuchen Teresa und ihre drei österreichischen Freundinnen den Penis eines
kenianischen Mannes zum Stehen zu bringen: „Wer es als Erste schafft, hat
gewonnen.“ Bei Seidl sind Ekel und Lachen zwei Seiten der gleichen Medaille.
Ist so das Paradies? Zumindest funktioniert die Illusion
einige Tage bei Teresa. Doch der weite Blick aufs blaue Meer, das Gefühl von
Begierde und der Reiz des Abenteuers versinken schnell in den immer gleichen
Formen einer sich verfestigenden Sucht und dem langsamen Bemerken, dass dieses
Gefühl des „Begehrt Werdens“ alles ist, was einen von der eigenen Einsamkeit und
Fremdheit ablenkt. Das Paradies, als ein Traumbild kolonialistischen Denkens, das sich anders, als in Miguel Gomes' "Tabu" nicht in nostalgischen Bildern kritisch romantisieren lässt, sondern in der bodenlosen Echtheit des gegenwärtigen Lebens ihren Ausdruck findet.
Seidl hat das Paradies noch weiter erforscht. Bald startet „Paradies:
Glaube“ regulär in die deutschsprachigen Kinos und auf der Berlinale wird dann „Paradies:
Hoffnung“ zu sehen sein.
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