Es handelt sich im Folgenden um subjektive Beobachtungen.
Über Film sprechen |
1.
Das
Reden vor dem Film
Das Reden vor dem Film gilt als verpönt. Es wird als eine Art
Ideal hochgehalten mit möglichst wenig Vorwissen in einen Film zu gehen und
sich so überraschen zu lassen. Wichtig scheint deshalb nur die Bewertung
(Anzahl der Sterne etc) einer Kritik, niemals die Kritik selbst. Traurig auch,
dass aus diesem Grund die Kritikertexte oft mehr einer Bewertung gleichen, als
einem respektvollen Herangehen an den Film. Als besonders schlimm werden
sogenannte Spoiler wahrgenommen, die essentielle Entwicklungen der Geschichte
vorwegnehmen und Wendungen verraten. Das Ende zu verraten ist bei vielen mit
einem Kapitalverbrechen gleichzusetzen. Doch, was ist gewonnen, wenn man sich
vor dem Film möglichst wenige Informationen geben lässt? Die Gegenwärtigkeit
des Geschehens wirkt größer, es ist deutlich leichter sich im Film zu verlieren
und sich vollends zu identifizieren. Man ist auf der Suche nach einem Erlebnis
und versucht die Umgebung völlig auszublenden: Eskapismus. Sicherlich ein
negativ behaftetes Wort; allerdings ist es in Verbindung mit Filmen auch oft
eine Qualität. Der Versuch sich völlig zu verlieren, in der Mitte des Saales,
kommt dem Trinken bis zur Bewusstlosigkeit nahe. Film als Besäufnis;
erschreckend nur, wie wenig selbst Filmwissenschaftler, Filmstudenten oder
Filmemacher darauf verzichten wollen. Denn es ist nicht zu leugnen, dass ein
Film auch sehr gewinnen kann, wenn man vor dem Anschauen schon viele
Informationen darüber hat, und auch wenn man schon manche Plotentwicklung
kennt. Eine neutrale Bewertung, Einordnung oder ein Studieren der Machart des
Films fällt mit einer vorherigen Einordnung beispielsweise deutlich leichter.
George Clooney und Ryan Gosling vor der letzten Einstellung in "Ides of March" |
Wenn wir vor einem Film wissen, dass George Clooney einen
Präsidentschaftskandidaten spielt, dann werden unsere Erwartungen schon
geformt. Sofort können wir viele Dinge ausschließen, die passieren könnten.
Jede kleine Vorinformation leitet uns an, wie wir an Filme rangehen sollen;
wenn man zusätzlich weiß, dass es im Film mit George Clooney um Betrügereien
und Loyalität geht, dann haben wir wiederum neue Erwartungen; wenn Jemand
ausplaudert, dass man besonders auf die letzte Einstellung des Films achten sollen, weil sie einen zu einer eigenen Meinung zwingt, dann wissen wir, auf was wir uns fokussieren können,
denn Filme sind lang und insbesondere beim ersten Mal Ansehen im Kino entgeht
uns eine Menge an Information, Material und Kunstfertigkeit. Dann erfahren wir,
dass der Hauptcharakter im Film die Seiten wechseln wird und dass eine junge
Praktikantin dabei eine wichtige Rolle spielt. Ist das schlimm?
Evan Rachel Wood in "Ides of March" |
Wir haben ein anderes Erlebnis beim Filmschauen, als wenn wir
es nicht wüssten, aber sicherlich kein schlechteres oder weniger intensiveres.
Denn nun können wir konkret darauf achten, wie der Zweifel und Weg zur
Entscheidung einer Figur sich vollzieht, wir können lesen wie die Filmemacher
daran gearbeitet haben; jeder, der sich den ein oder anderen Film schon öfter
als einmal angesehen hat, weiß, dass es zu ganz ähnlichen Reaktionen kommen
kann, wenn man die Szenen wiederholt betrachtet. Man weint wieder an der
gleichen Stelle, man lacht über die gleichen Witze. Die sogenannten Twists und
Plotpoints bestärken oft nur unsere Erwartungen, sind also gar nicht überraschend.
Wir haben da so ein Gefühl, dass noch etwas passieren wird usw. Gleichzeitig
sieht man mehr. Man achtet auch auf andere Dinge. Was ist da also, was man
glaubt zu beschützen, wenn man vor dem Film nichts wissen will? Die Vorstellung
oder das Gespräch über einen Film ist niemals gleichzusetzen mit dem
tatsächlichen Ansehen. Viele glauben, dass wenn sie einen Artikel über einen
Film gelesen haben, sie verstanden haben, worum es im Film geht. Auf
Cocktailparties mit Wikipedia-Wissen zu beeindrucken hilft aber selten, wenn es
um die tatsächliche Essenz eines Filmes geht: Seine Wirkung, seine Atmosphäre,
sein Gefühl. Das Thema, und die Handlung spielen nur eine untergeordnete Rolle
in unserer Wahrnehmung.
Irreversible |
Trotzdem scheint sich alles um eben Thema und Handlung zu
drehen. Aussagen: „Ich schaue den Film nicht an, das Thema interessiert mich
nicht; Mir gefällt das Thema nicht; Um was geht es da? So ein Schwachsinn; Das
klang ganz gut… “ Auch die Teaser und Trailer spielen eine große Rolle. Die
Bewertung eines Films aufgrund seines Trailers ist ein weit verbreitetes
Phänomen. Doch nur die wenigsten Trailer geben ein gutes Bild vom Film, da sie
ihn meistens verkaufen wollen; in einen Cheeseburger zu beißen, sieht auch
anders aus, als ihn in der Werbung zu sehen. Trotzdem stellt der Trailer häufig
den einzigen Anhaltspunkt für Gespräche vor dem Film dar. „Hast du gesehen,
Tarantino macht jetzt einen Western.“, und wieder haben wir Erwartungen und das
ist auch gut so. Das soll nicht als
Plädoyer dafür verstanden werden, dass man vor dem Film schon alles wissen
sollte, sondern eher dafür, dass man akzeptiert, dass man viel gewinnen kann,
wenn man sich vor dem Film über verschiedene Dinge informiert. Beispielweise
ist es absolut gewinnbringend sich über die Kameratechnik von „The Boss of it
all“ von Lars von Trier zu informieren, bevor man sich die Komödie ansieht. Was
in Irritation enden würde, wird so zu Neugierde. Ein weiteres Beispiel ist „In
the mood for love“ von Wong Kar-Wai. Das Wissen, um die unausgesprochene Affäre
macht ihre Unausgesprochenheit umso interessanter. Viele Details der subtilen
Inszenierung gehen sonst verloren. So ist zu erklären, dass Filme wie
„Irreversible“ von Gaspar Noé funktionieren können. Nur weil wir wissen, was
passiert, wissen wir noch lange nicht, wie es passiert. Wenn wir jedoch schon
wissen, was passiert, brauchen wir uns nicht ständig mit dieser Frage
beschäftigen, sondern haben einen deutlich direkteren Zugang zum „Wie“. Interessant,
wenn Filme „There Will Be Blood“oder „The Assassination of Jesse James by the Coward
Robert Ford“ heißen. Man
achtet plötzlich auf ganz andere Dinge, der Film zieht seine Spannung oder
Faszination aus dem “Wie”. Und das ist eben nicht schlechter oder weniger
einnehmend, als sich ausschließlich oder hauptsächlich mit dem „Was“ zu
beschäftigen.
There Will Be Blood-Will There Be Blood? |
2.
Das
Reden über die Logik
Hauptkriterium über die Qualität eines Filmes scheint dann
immer die Logik zu sein. Aussagen: „Das fand ich jetzt total unlogisch; ich
habe überhaupt nicht verstanden, warum der das macht; Warum hat er nicht
einfach die Polizei gerufen? ; War ja so klar, dass das passiert…“ Worin liegt
dieser Reiz die Geschehnisse Ordnen und Verstehen zu wollen? Man sucht förmlich
nach einer Beziehung zum wahren Leben, die man doch durch die Dunkelheit und
das Zurückziehen in die Mitte des Saales so sehr verlassen will. Dabei geht es
nicht, um die Logik einer realen Welt, sondern um die Logik innerhalb des
Filmes. (zumindest oft, erschreckend, wenn Superhelden nach diesen Maßstäben
gemessen werden…) Hitchcock hat sich in seinem berühmten Interview mit Truffaut
über die Logik-Kritiker echauffiert. Filme gehorchen ihren eigenen Gesetzen.
Dabei ist selbstverständlich zu unterscheiden zwischen groben und weniger
groben Logiklöchern. Wie ein Charakter in dieser Geschwindigkeit von A nach B
kommen könnte, sollte beispielsweise nie als Logikloch verstanden werden. Eher
regt es die Fantasie des Zusehers an, der sich selbst eine Lösung ausdenken
kann. Wenn ein Mann mit Hinkebein plötzlich sehr schnell laufen kann, ist das
auch kein grober Logikfehler. Zugegeben, man muss diese Dinge eigentlich von
Fall zu Fall vergleichen oder-und das ist der eigentliche Punkt-sie gar nicht
ins Zentrum seiner Beobachtungen stellen. Warum soll es immer die Logik sein?
Hitchcock und Truffaut |
Verschiedene Stile erlauben auch das bewusste Übertreten der Logikgrenzen. Etwa
David Lynch. In seinen Filmen fragt keiner nach der Logik, obwohl es sich etwa
bei „Lost Highway“ auch um einen narrativen Spielfilm handelt. Und Film hat eine andere Wahrnehmung, Film
erlaubt den Wechsel der Perspektive, erlaubt den Wechsel der Zeit, denn alles
ist möglich. Das wissen auch alle und das schätzen auch alle am Film. Zur Logik
gehört aber auch das Wissen über eine Thematik. Entscheidet sich ein Regisseur
dafür einen Film über einen seltenen Fuchs zu machen, werden alle Fuchsforscher
dieser Welt, alle Menschen, die mit Füchsen zu tun haben und alle Menschen, die
bereits ein Buch über einen Fuchs gesehen haben, Beanstandungen zu machen
haben. Tatsache ist, dass ein Film in ca. 2 Stunden (positiv gedacht)
unterhalten, informieren oder erzählen soll und es aufgrund unterschiedlichster
Faktoren, von der Dramaturgie bis zur Produktion nicht jede Kleinigkeit in die
Filme schaffen kann. Auch hier müsste man eigentlich von Fall zu Fall vorgehen,
aber prinzipiell sei gesagt, dass die Fiktionalisierung von Gegebenheiten
unvermeidbar ist. Fatal wäre es allerdings, wenn der Fuchs sprechen könnte?
"Antichrist"-Können Füchse sprechen? |
3.
Das
Reden nach dem Film
Gibt es nicht. Nach dem Film wird nicht viel gesprochen.
Vielmehr wird ein Urteil abgegeben und in speziellen Filmen werden einzelne
Momente oder eben die Logik minimalst angesprochen. Das Reden nach dem Film ist ins Internet
gewandert. Dort kann jeder Kritiker sein. Und das ist auch eine gute Sache.
Aber oft findet man sich nach dem Kinobesuch in Gruppen und keiner äußert sich
zum Film. Dabei trägt jeder ausgesprochene Eindruck, jede Beobachtung und
Bemerkung zu einem tieferen Verständnis und zu einer Neuorientierung bei. Wenn
man sich nicht austauscht hat man nur eine Ansicht. Im Mainstreamkino ist das
im Regelfall die, die Filmemacher vom Rezipienten haben wollen. Das Argument
ist, dass das Reden nach dem Film noch zum Kinobesuch gehört. Das Reden im
Internet oder das Verfassen einer Kritik oder eines Blogeintrages ist eine
distanzierte Betrachtung und hat nichts mehr mit dem Kinobesuch selbst zu tun.
Film lebt von einer Emotion, die in ihrer Direktheit nur unmittelbar nach dem
Film diskutiert werden kann. Große Kritiker haben es immer verstanden die
Emotionen und Gefühle der besprochenen Filme in ihren Kritiken zu vermitteln. Eine
nüchterne Inhaltsangabe ist völlig uninteressant. Jede Beobachtung, jede
Assoziation ist interessant. Trotzdem kommen die Aussagen: „Ich fand ihn gut;
Ich fand ihn schlecht; Okay, wir sehen uns morgen.“ Man muss sich nicht mal für
Film interessieren, um durch persönliche Beobachtungen sein Kinoerlebnis zu
verfeinern. Trotzdem wird es so wenig gemacht, denn sobald der Film aus ist,
verlässt man die Dunkelheit und kehrt zurück ins wahre Leben, in dem alle schön
und logisch ist.(?)
Gesprächsbedarf im Kino |
Aber diese Logik hält dem Film nicht stand. Film gewinnt
als Teil des Lebens deutlich mehr, denn als ausgeschlossener Teil. Viele werden
sagen, dass sie sich nicht so viele Gedanken über einen Film machen wollen.
Dabei geht es hier nicht, um wissenschaftliche Analysen oder filmtheoretische
Einordnungen. Es geht darum über Film so zu reden, wie über ein Fußballspiel.
Einfach gerade heraus. Vielleicht ist diese Beobachtung übertreiben. Es gibt
sicher viele Kinobesucher, die sich nach dem Film austauschen. Die Frage ist
aber, warum es so viele Besucher gibt, die nicht über das gerade Gesehene
sprechen wollen oder können. Was hält einen davon ab? Möchte man den Film noch
in Ruhe auf sich einwirken lassen, verpasst man die Gelegenheit sein
Verständnis zu erweitern; zumal das „Einwirken“ mit dem Verlassen des dunkeln
Kinosaals auch schon einen irreparablen Schaden erleidet. „Einwirken“ bleibt
sowieso fraglich, denn das würde die soziale Komponente von Kino völlig
auslassen. So nimmt man ja auch schon während des Films die Reaktionen im Publikum
auf. Ganz bei sich ist man selten. „Einwirken“ ist auch nicht die Reaktion, die
viele Filme erfordern. „Einwirken“ ist
es die Wirkung des Films zu erfassen. Körperlich und Geistig.
"Outrage"-Einen Film einwirken lassen... |
Wenn alle über Logik reden und das Reden vor dem Film verpönt
ist und nach dem Film nicht über Film gesprochen wird, was will der Autor uns
dann mit diesem Artikel sagen? Er versucht aufzuzeigen, warum ein Kinobesuch
und/oder das Betrachten eines Filmes durchaus an einer Auseinandersetzung
gewinnen können. Unabhängig von Bildungsstand oder Interessenlage.
Anmerkungen:
Dieser Beitrag geht davon aus, dass es den Ort „Kino“ noch
gibt und länger geben wird.
„Reden“ heißt nicht, dass man unbedingt aktiv reden muss;
aktiv reflektieren wäre wohl der richtige Begriff.
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