Samstag, 8. Dezember 2012

Das Reden über Film




Es handelt sich im Folgenden um subjektive Beobachtungen.

Über Film sprechen

      
      1.      Das Reden vor dem Film

Das Reden vor dem Film gilt als verpönt. Es wird als eine Art Ideal hochgehalten mit möglichst wenig Vorwissen in einen Film zu gehen und sich so überraschen zu lassen. Wichtig scheint deshalb nur die Bewertung (Anzahl der Sterne etc) einer Kritik, niemals die Kritik selbst. Traurig auch, dass aus diesem Grund die Kritikertexte oft mehr einer Bewertung gleichen, als einem respektvollen Herangehen an den Film. Als besonders schlimm werden sogenannte Spoiler wahrgenommen, die essentielle Entwicklungen der Geschichte vorwegnehmen und Wendungen verraten. Das Ende zu verraten ist bei vielen mit einem Kapitalverbrechen gleichzusetzen. Doch, was ist gewonnen, wenn man sich vor dem Film möglichst wenige Informationen geben lässt? Die Gegenwärtigkeit des Geschehens wirkt größer, es ist deutlich leichter sich im Film zu verlieren und sich vollends zu identifizieren. Man ist auf der Suche nach einem Erlebnis und versucht die Umgebung völlig auszublenden: Eskapismus. Sicherlich ein negativ behaftetes Wort; allerdings ist es in Verbindung mit Filmen auch oft eine Qualität. Der Versuch sich völlig zu verlieren, in der Mitte des Saales, kommt dem Trinken bis zur Bewusstlosigkeit nahe. Film als Besäufnis; erschreckend nur, wie wenig selbst Filmwissenschaftler, Filmstudenten oder Filmemacher darauf verzichten wollen. Denn es ist nicht zu leugnen, dass ein Film auch sehr gewinnen kann, wenn man vor dem Anschauen schon viele Informationen darüber hat, und auch wenn man schon manche Plotentwicklung kennt. Eine neutrale Bewertung, Einordnung oder ein Studieren der Machart des Films fällt mit einer vorherigen Einordnung beispielsweise deutlich leichter. 

George Clooney und Ryan Gosling vor der letzten Einstellung in "Ides of March"


Wenn wir vor einem Film wissen, dass George Clooney einen Präsidentschaftskandidaten spielt, dann werden unsere Erwartungen schon geformt. Sofort können wir viele Dinge ausschließen, die passieren könnten. Jede kleine Vorinformation leitet uns an, wie wir an Filme rangehen sollen; wenn man zusätzlich weiß, dass es im Film mit George Clooney um Betrügereien und Loyalität geht, dann haben wir wiederum neue Erwartungen; wenn Jemand ausplaudert, dass man besonders auf die letzte Einstellung des Films achten sollen, weil sie einen zu einer eigenen Meinung zwingt, dann wissen wir, auf was wir uns fokussieren können, denn Filme sind lang und insbesondere beim ersten Mal Ansehen im Kino entgeht uns eine Menge an Information, Material und Kunstfertigkeit. Dann erfahren wir, dass der Hauptcharakter im Film die Seiten wechseln wird und dass eine junge Praktikantin dabei eine wichtige Rolle spielt. Ist das schlimm? 

Evan Rachel Wood in "Ides of March"


Wir haben ein anderes Erlebnis beim Filmschauen, als wenn wir es nicht wüssten, aber sicherlich kein schlechteres oder weniger intensiveres. Denn nun können wir konkret darauf achten, wie der Zweifel und Weg zur Entscheidung einer Figur sich vollzieht, wir können lesen wie die Filmemacher daran gearbeitet haben; jeder, der sich den ein oder anderen Film schon öfter als einmal angesehen hat, weiß, dass es zu ganz ähnlichen Reaktionen kommen kann, wenn man die Szenen wiederholt betrachtet. Man weint wieder an der gleichen Stelle, man lacht über die gleichen Witze. Die sogenannten Twists und Plotpoints bestärken oft nur unsere Erwartungen, sind also gar nicht überraschend. Wir haben da so ein Gefühl, dass noch etwas passieren wird usw. Gleichzeitig sieht man mehr. Man achtet auch auf andere Dinge. Was ist da also, was man glaubt zu beschützen, wenn man vor dem Film nichts wissen will? Die Vorstellung oder das Gespräch über einen Film ist niemals gleichzusetzen mit dem tatsächlichen Ansehen. Viele glauben, dass wenn sie einen Artikel über einen Film gelesen haben, sie verstanden haben, worum es im Film geht. Auf Cocktailparties mit Wikipedia-Wissen zu beeindrucken hilft aber selten, wenn es um die tatsächliche Essenz eines Filmes geht: Seine Wirkung, seine Atmosphäre, sein Gefühl. Das Thema, und die Handlung spielen nur eine untergeordnete Rolle in unserer Wahrnehmung. 

Irreversible


Trotzdem scheint sich alles um eben Thema und Handlung zu drehen. Aussagen: „Ich schaue den Film nicht an, das Thema interessiert mich nicht; Mir gefällt das Thema nicht; Um was geht es da? So ein Schwachsinn; Das klang ganz gut… “ Auch die Teaser und Trailer spielen eine große Rolle. Die Bewertung eines Films aufgrund seines Trailers ist ein weit verbreitetes Phänomen. Doch nur die wenigsten Trailer geben ein gutes Bild vom Film, da sie ihn meistens verkaufen wollen; in einen Cheeseburger zu beißen, sieht auch anders aus, als ihn in der Werbung zu sehen. Trotzdem stellt der Trailer häufig den einzigen Anhaltspunkt für Gespräche vor dem Film dar. „Hast du gesehen, Tarantino macht jetzt einen Western.“, und wieder haben wir Erwartungen und das ist auch gut so.  Das soll nicht als Plädoyer dafür verstanden werden, dass man vor dem Film schon alles wissen sollte, sondern eher dafür, dass man akzeptiert, dass man viel gewinnen kann, wenn man sich vor dem Film über verschiedene Dinge informiert. Beispielweise ist es absolut gewinnbringend sich über die Kameratechnik von „The Boss of it all“ von Lars von Trier zu informieren, bevor man sich die Komödie ansieht. Was in Irritation enden würde, wird so zu Neugierde. Ein weiteres Beispiel ist „In the mood for love“ von Wong Kar-Wai. Das Wissen, um die unausgesprochene Affäre macht ihre Unausgesprochenheit umso interessanter. Viele Details der subtilen Inszenierung gehen sonst verloren. So ist zu erklären, dass Filme wie „Irreversible“ von Gaspar Noé funktionieren können. Nur weil wir wissen, was passiert, wissen wir noch lange nicht, wie es passiert. Wenn wir jedoch schon wissen, was passiert, brauchen wir uns nicht ständig mit dieser Frage beschäftigen, sondern haben einen deutlich direkteren Zugang zum „Wie“. Interessant, wenn Filme „There Will Be Blood“oder „The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford“ heißen. Man achtet plötzlich auf ganz andere Dinge, der Film zieht seine Spannung oder Faszination aus dem “Wie”. Und das ist eben nicht schlechter oder weniger einnehmend, als sich ausschließlich oder hauptsächlich mit dem „Was“ zu beschäftigen.

There Will Be Blood-Will There Be Blood?

      
      2.      Das Reden über die Logik

Hauptkriterium über die Qualität eines Filmes scheint dann immer die Logik zu sein. Aussagen: „Das fand ich jetzt total unlogisch; ich habe überhaupt nicht verstanden, warum der das macht; Warum hat er nicht einfach die Polizei gerufen? ; War ja so klar, dass das passiert…“ Worin liegt dieser Reiz die Geschehnisse Ordnen und Verstehen zu wollen? Man sucht förmlich nach einer Beziehung zum wahren Leben, die man doch durch die Dunkelheit und das Zurückziehen in die Mitte des Saales so sehr verlassen will. Dabei geht es nicht, um die Logik einer realen Welt, sondern um die Logik innerhalb des Filmes. (zumindest oft, erschreckend, wenn Superhelden nach diesen Maßstäben gemessen werden…) Hitchcock hat sich in seinem berühmten Interview mit Truffaut über die Logik-Kritiker echauffiert. Filme gehorchen ihren eigenen Gesetzen. Dabei ist selbstverständlich zu unterscheiden zwischen groben und weniger groben Logiklöchern. Wie ein Charakter in dieser Geschwindigkeit von A nach B kommen könnte, sollte beispielsweise nie als Logikloch verstanden werden. Eher regt es die Fantasie des Zusehers an, der sich selbst eine Lösung ausdenken kann. Wenn ein Mann mit Hinkebein plötzlich sehr schnell laufen kann, ist das auch kein grober Logikfehler. Zugegeben, man muss diese Dinge eigentlich von Fall zu Fall vergleichen oder-und das ist der eigentliche Punkt-sie gar nicht ins Zentrum seiner Beobachtungen stellen. Warum soll es immer die Logik sein? 

Hitchcock und Truffaut


Verschiedene Stile erlauben auch das bewusste Übertreten der Logikgrenzen. Etwa David Lynch. In seinen Filmen fragt keiner nach der Logik, obwohl es sich etwa bei „Lost Highway“ auch um einen narrativen Spielfilm handelt.  Und Film hat eine andere Wahrnehmung, Film erlaubt den Wechsel der Perspektive, erlaubt den Wechsel der Zeit, denn alles ist möglich. Das wissen auch alle und das schätzen auch alle am Film. Zur Logik gehört aber auch das Wissen über eine Thematik. Entscheidet sich ein Regisseur dafür einen Film über einen seltenen Fuchs zu machen, werden alle Fuchsforscher dieser Welt, alle Menschen, die mit Füchsen zu tun haben und alle Menschen, die bereits ein Buch über einen Fuchs gesehen haben, Beanstandungen zu machen haben. Tatsache ist, dass ein Film in ca. 2 Stunden (positiv gedacht) unterhalten, informieren oder erzählen soll und es aufgrund unterschiedlichster Faktoren, von der Dramaturgie bis zur Produktion nicht jede Kleinigkeit in die Filme schaffen kann. Auch hier müsste man eigentlich von Fall zu Fall vorgehen, aber prinzipiell sei gesagt, dass die Fiktionalisierung von Gegebenheiten unvermeidbar ist. Fatal wäre es allerdings, wenn der Fuchs sprechen könnte? 

"Antichrist"-Können Füchse sprechen?

      
      3.      Das Reden nach dem Film

Gibt es nicht. Nach dem Film wird nicht viel gesprochen. Vielmehr wird ein Urteil abgegeben und in speziellen Filmen werden einzelne Momente oder eben die Logik minimalst angesprochen.  Das Reden nach dem Film ist ins Internet gewandert. Dort kann jeder Kritiker sein. Und das ist auch eine gute Sache. Aber oft findet man sich nach dem Kinobesuch in Gruppen und keiner äußert sich zum Film. Dabei trägt jeder ausgesprochene Eindruck, jede Beobachtung und Bemerkung zu einem tieferen Verständnis und zu einer Neuorientierung bei. Wenn man sich nicht austauscht hat man nur eine Ansicht. Im Mainstreamkino ist das im Regelfall die, die Filmemacher vom Rezipienten haben wollen. Das Argument ist, dass das Reden nach dem Film noch zum Kinobesuch gehört. Das Reden im Internet oder das Verfassen einer Kritik oder eines Blogeintrages ist eine distanzierte Betrachtung und hat nichts mehr mit dem Kinobesuch selbst zu tun. Film lebt von einer Emotion, die in ihrer Direktheit nur unmittelbar nach dem Film diskutiert werden kann. Große Kritiker haben es immer verstanden die Emotionen und Gefühle der besprochenen Filme in ihren Kritiken zu vermitteln. Eine nüchterne Inhaltsangabe ist völlig uninteressant. Jede Beobachtung, jede Assoziation ist interessant. Trotzdem kommen die Aussagen: „Ich fand ihn gut; Ich fand ihn schlecht; Okay, wir sehen uns morgen.“ Man muss sich nicht mal für Film interessieren, um durch persönliche Beobachtungen sein Kinoerlebnis zu verfeinern. Trotzdem wird es so wenig gemacht, denn sobald der Film aus ist, verlässt man die Dunkelheit und kehrt zurück ins wahre Leben, in dem alle schön und logisch ist.(?)

Gesprächsbedarf im Kino

 Aber diese Logik hält dem Film nicht stand. Film gewinnt als Teil des Lebens deutlich mehr, denn als ausgeschlossener Teil. Viele werden sagen, dass sie sich nicht so viele Gedanken über einen Film machen wollen. Dabei geht es hier nicht, um wissenschaftliche Analysen oder filmtheoretische Einordnungen. Es geht darum über Film so zu reden, wie über ein Fußballspiel. Einfach gerade heraus. Vielleicht ist diese Beobachtung übertreiben. Es gibt sicher viele Kinobesucher, die sich nach dem Film austauschen. Die Frage ist aber, warum es so viele Besucher gibt, die nicht über das gerade Gesehene sprechen wollen oder können. Was hält einen davon ab? Möchte man den Film noch in Ruhe auf sich einwirken lassen, verpasst man die Gelegenheit sein Verständnis zu erweitern; zumal das „Einwirken“ mit dem Verlassen des dunkeln Kinosaals auch schon einen irreparablen Schaden erleidet. „Einwirken“ bleibt sowieso fraglich, denn das würde die soziale Komponente von Kino völlig auslassen. So nimmt man ja auch schon während des Films die Reaktionen im Publikum auf. Ganz bei sich ist man selten. „Einwirken“ ist auch nicht die Reaktion, die viele Filme erfordern.  „Einwirken“ ist es die Wirkung des Films zu erfassen. Körperlich und Geistig. 

"Outrage"-Einen Film einwirken lassen...


Wenn alle über Logik reden und das Reden vor dem Film verpönt ist und nach dem Film nicht über Film gesprochen wird, was will der Autor uns dann mit diesem Artikel sagen? Er versucht aufzuzeigen, warum ein Kinobesuch und/oder das Betrachten eines Filmes durchaus an einer Auseinandersetzung gewinnen können. Unabhängig von Bildungsstand oder Interessenlage.

Anmerkungen:

Dieser Beitrag geht davon aus, dass es den Ort „Kino“ noch gibt und länger geben wird.

„Reden“ heißt nicht, dass man unbedingt aktiv reden muss; aktiv reflektieren wäre wohl der richtige Begriff.

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