Vor einigen Wochen haben wir einiges vom Projekt “Hit The
Road Gunnar” gehört. (hier) Der junge Ludwigsburger-Filmstudent Nicolas Ehret
ist mit einigen befreundeten Filmschaffenden aufgebrochen, um einen Road-Movie
in Schweden zu realisieren. Dabei folgte er einem selbstgeschriebenen Drehbuch.
Allerdings hatte er keine Auflösung oder Locations. Von diesem Versuch Film und
Freiheit, Roadtrip und Filmdreh zu verbinden, berichtete mir Nicolas Ehret in
einem spannenden Skype-Gespräch:
Hallo Nicolas, wie weit
seid ihr denn mit dem Film?
Zunächst möchte ich noch sagen, dass ich hoffe, dass ich
nicht zu sehr in romantischen Erinnerungen schweife, die ich jetzt habe. Je
weiter ein Dreh zurückliegt, desto schöner erscheint einem ja immer alles. Ich
hoffe ich bekomme es hin, alles so zu schildern, wie es tatsächlich war. Zur
Frage: Wir sind leider noch vor dem Schnitt. Die Uni hat im zweiten Jahr
richtig angezogen und es bleibt einfach keine Zeit gerade. Wir haben schon ein
bisschen gesichtet, dann gab es Übertragungsschwierigkeiten am PC. Wir haben
ein Terabyte an Daten. Im März wollen wir uns an den Rohschnitt machen und ich
habe auch immer noch den April als Deadline für die erste Rohfassung. Das
sollte auch klappen.
Vielleicht kannst du
nochmal ein bisschen den Ablauf schildern. Was habt ihr denn gemacht?
Okay, wir waren unterwegs mit zwei Autos von Berlin nach
Schweden. Ohne Drehplan, ohne Locations. Wir hatten zwei feste Termine. Einen
Drehtag im Museum, für den wir auch eine Drehgenehmigung benötigt hatten und
die Überfahrt mit der Fähre. Und natürlich eine Art Deadline für das Ende der
Produktion, weil einige aus dem Team Termindruck hatten. Alles dazwischen war
frei raus. Anfang September sind wir dann aus Berlin losgefahren und erst mal
nach Kiel in das Museum. Dann sind wir nach Schweden übergefahren. Das muss man
sich so vorstellen: Wir kamen in Göteborg an und haben uns gefragt: Was können
wir hier machen? Welche Szenen aus dem Drehbuch könnten hier passen? Gerade am
Anfang mussten wir uns sehr an diesen ungewohnten Ablauf gewöhnen. Ein großes
Problem war das Zeitmanagment, denn wir hatten ja nur zwei Autos und waren mit
Zelten unterwegs, weil wir ausschließlich gecampt haben. Da musste immer alles
rein und raus. Das kostet halt zu viel Zeit und war gerade zu Beginn ziemlich
heftig. Deswegen haben wir unseren ursprünglichen Plan auch gleich ein wenig
verändert und sind anschließend raus aus Göteborg, um eine Basis an einem
Campingplatz aufzuschlagen. Wir brauchten einfach einen zentralen Punkt, an dem
wir uns ausbreiten konnten. Einen solchen Campingplatz haben wir dann in Säffle gefunden. Das hat einige Probleme gelöst. Wir
hatten Strom und wir konnten dort leben. Das hat einiges an Zeit eingespart.
Sieben Tage sind wird dort geblieben. Immer in der früh, manchmal schon um 5
Uhr, sind wir dann aufgebrochen und haben die Umgebung kennengelernt oder nach
Straßen oder Orten gesucht, die wir am Vortag gesehen hatten und interessant
fanden. Das war ein toller Prozess. Nach dem Dreh haben wir abends oft noch für
den nächsten Tag gescoutet und geprobt. Meistens haben wir in der Autofahrt zum
Drehort die Szene mit den Schauspielern durchgesprochen. Insgesamt hat der Dreh
drei Wochen angedauert. Länger, als wir geplant hatten.
Gab es größere Probleme?
Doch schon. Ein Problem war das Festlegen auf bestimmte
Locations. Man wusste ja nie, ob hundert Meter weiter nicht doch noch ein
besserer Ort ist. Es war ein ständiges Kompromisse abwägen. Dennoch glaube ich,
dass wir ein paar sehr coole Ecken gefunden haben. Das Wetter war auch ein
Faktor. Es war praktisch durchgehend Außendreh angesagt. Da kommt schon mal ein
plötzlicher Platzregen. Das haben wir dann aber alles einfließen lassen und
anpassungsfähig darauf reagiert. Daraus ist richtige Kreativität erwachsen.
Wie groß war der
Road-Trip-Urlaub Faktor? Das Abenteuer?
Es war ein abenteuerlicher Filmdreh. Mit Urlaub hatte das
Nichts zu tun. Die Idee mit dem Urlaub ist also nicht wirklich aufgegangen. Ab
und zu sind wir mal ins Wasser gesprungen, aber das war es auch.
Hast du jetzt eine neue
Freiheit beim Filmemachen erfahren?
Im Bezug auf das Filmemachen absolut. Das war deutlich
freier, als mit einem größeren Team an festgelegten Orten zu arbeiten. Aber es
waren halt auch Non-Stop Kompromisse. Wir mussten sehr viele Abstriche machen.
Und man fällt natürlich insbesondere mit dem Zeitdruck doch leicht in
Konventionen bezüglich Inszenierung. Der Zeitdruck war das Schlimmste.
Perfektion ist da ungleich schwieriger zu halten. Es fehlt die Sicherheit, die
einem ein fester Drehplan gibt. Man unter- oder überschätzt sich selbst so
leicht und kommt dann nicht immer auf den Punkt. Aber, was mich wirklich stolz
macht ist, dass wir alle Szenen im Kasten haben und zwar dem Drehbuch
entsprechend. Und wir haben sogar noch einiges Zusatzmaterial gedreht.
Hast du viele
Erfahrungen für dich als Regisseur mitnehmen können?
Die Erfahrung war Goldwert. Ich kann das an einem Beispiel
erklären. Man hat ja eine Szene im Buch, mit Handlung und einer Umgebung. Dann
sucht man den Drehort dazu beziehungsweise muss nehmen, was man halt findet.
Und dort wird es spannend. Man muss sich einlassen auf den Drehort. Man muss
rausspüren, wie man den Ort für die Szene nutzen kann. Und meistens ist es schlussendlich
dann viel besser, als man es sich vorgestellt hat. Die Szenen haben mir oft so
viel mehr gegeben, als ich mir im Kopf ausgemalt habe vorher.
Man lernt sozusagen das
bewusste Loslassen und Aufgeben der Kontrolle.
Genau. Das ist ein Lernprozess. Eher eine
Schwerpunktverlagerung der Kontrolle. Man muss schon noch die Kontrolle über
die Essenz der Szene bewahren. Aber gleichzeitig eben offen sein und
improvisieren. Weil eben Dinge entstehen, die Größer sind. Der Lernprozess
besteht also darin, dass man lernt die Momente zu erkennen, in denen man einen
Schritt zurücktreten muss als Regisseur und die Dinge einfach geschehen lässt.
Wie weit wird der Film
sich vom ursprünglichen Drehbuch entfernt haben?
Inhaltlich haben wir alles eingefangen. Aber wir haben eben
bewusste Zusatzszenen. Das sind oft eher Stimmungsbilder, kleine Szenen,
Zwischenbilder. Sie verändern wahrscheinlich nicht die Handlung und wir müssen
schauen, welche wir wann verwenden können. Es gab einfach Szenen, die uns
zugestoßen sind. Zum Beispiel waren wir auf dem Schiff nach Göteborg und haben
von einer Liveband unter Deck gehört. Also haben wir spontan alle Sachen
gepackt und sind mit Julien Lickert (spielt den Gunnar) unter Deck. Das Ganze
hat sich als Seniorenparty herausgestellt. Alle haben Jive und Discofox
getanzt. Das haben wir mitgenommen und eine kleine Szene mit Gunnar am Rande
dieser Party gedreht. Es gab einige dieser kleinen Momente, die wir uns nicht entgehen lassen
wollten. Einmal haben wir auch einen Elch gesehen und haben das in den Film
einfließen lassen. Inwiefern für diese Momente Platz ist, müssen wir dann im
Schnitt sehen. Einige werden uns erzählerisch sicher nicht weiter bringen. Müssen sie auch gar nicht.
Lief das immer
harmonisch ab oder gab es viele Diskussionen?
Ganz einfach war es nicht immer. Unterm Strich war es aber
großartig. Alle 7 Teammitglieder (2 Kamera (Chris Hirschhäuser und Sebastian Ehret), 1 Ton (Florian Hermanns), 1 Regieassistenz (Kim Düsselberg), 2
Schauspieler (Odine Johne und Julien Lickert) und Regie) haben an einem Strang gezogen. Jeder hat sich immer um
alles gekümmert. Wir haben alle angepackt und den Dreh gerockt. Insbesondere
die Arbeit mit Julien Lickert und Odine Johne war fantastisch und unheimlich
inspirierend für mich persönlich. Die beiden
haben so viele Dinge mit eingebracht, mich so viele Dinge aus einem neuen
Blickwinkel sehen lassen.
So harmonisch?
Dadurch, dass es keine Auflösung gab, kam es natürlich schon
zu Diskussionen. Oft war es einfach schwer die Mitte zu finden oder
herauszufinden, was wichtig war und was nicht. Leider musste ich dann oft
selbst in die Rolle dessen schlüpfen, der knallhart sagt: Wir haben keine Zeit
mehr, wir müssen das jetzt so drehen. Das will ich eigentlich gar nicht. Aber
wir wussten, dass wenn wir jetzt noch weiter über den Drehort oder das Bild
diskutieren, wir den Film nicht fertigbekommen. Das ist schon eine ambivalente
Situation gewesen. Und du sitzt natürlich drei Wochen aufeinander. Keine
anderen Menschen, keine Rückzugsorte. Mir zumindest fiel das nicht immer
leicht.
Ihr hattet ja
verschiedene Nebenrollen noch nicht besetzt und wolltet die in Schweden finden.
Hat das geklappt?
Und wie! Das ganze stand unter einem riesigen Glücksstern. An
einem Nachmittag haben wir am Straßenrand gedreht und ein Schwede kam die
Straße mit dem Fahrrad runtergefahren, um zu schauen, was wir da machen. Wir
haben uns ein wenig mit ihm unterhalten und unsere Regieassistentin
Kim Düsselberg hat blitzschnell reagiert und ihn gleich gefragt, ob er eine
Tankstelle in der Nähe kennt, weil wir noch eine kleine Tankstelle für eine
Szene gesucht hatten. Er hat uns eine empfohlen und während er so da stand,
dachte ich mir, dass er eigentlich einen guten Autodieb geben könnte. Also
fragte ich ihn, ob er sich vorstellen könne mitzuspielen. Und was macht er? Er
ruft seinen Chef an, um sich für den nächsten Tag den Vormittag freigeben zu
lassen: „Klar. Bin dabei.“ Also fragen wir ihn, ob er noch einen Freund habe.
Auch kein Problem. Am nächsten Morgen schlagen wir an der Tankstelle auf und
der Typ kommt erst mal nicht. Da hatten wir natürlich große Angst, dass er uns
sitzen lässt. Nach einiger Zeit kommt er dann aber zusammen mit seinem Freund,
der auch noch wunderbar auf die Rolle passt. Die Szene, die die Zwei spielen
mussten, war keine einfache. Es kommt zu einem richtigen Handgemenge und es
musste eine kleine Choreografie
erarbeitet werden. Aber die Beiden haben das so super gemacht. Also
wirklich richtig, richtig gut gemacht. In der Tankstelle selbst hatten wir auch
eine tolle Erfahrung mit einer Laiendarstellerin. Wir haben eine Frau spontan
gefragt, ob sie die Kassiererin in einer Tankstelle spielen möchte. Die hat das
dann gemacht und die hat sich von Anfang an kleine Aufgaben gegeben. Wahnsinn.
Die stand nicht einfach da und hat den Text wiedergegeben, sondern die stand
dort, als würde sie ihr ganzes Leben in einer Tankstelle gearbeitet haben.
Absolut natürlich und authentisch. Wir waren irgendwann eine richtige
Attraktion in diesem kleinen schwedischen Ort. Ein Lokalreporter hat einen
Artikel über uns geschrieben. Das hat denen richtig gut gefallen, dass mal was
los war.
War diese Art Filme zu
machen für dich ertragreicher? Hast du die bessere Erfahrung gemacht und
würdest du es dem „klassischem“ professionellem System bevorzugen?
Ich denke, dass es die Mischung aus beiden Formen macht.
Freiräume zu lassen ist total wichtig, das habe ich mitgenommen aus dem Dreh.
Bei der technischen Arbeit weiß ich nicht. Auflösung und Konzept sind schon
wichtig. Ich werde auf jeden Fall entspannter an Drehs herangehen. Auch wenn es
blöd klingt, ich habe ein bisschen gelernt meiner eigenen Arbeit zu vertrauen.
Denn egal, was alles passiert ist, am Ende hat es immer noch recht gut
geklappt.
Aber würdest du diese
spezifische Art des Filmemachens wiederholen?
Ja, es war schon großartig. Vielleicht mit ein bisschen mehr
Mitteln wieder auf diese „zufällige Art“ zu arbeiten. Allerdings wissen wir ja
noch nicht, wie das Ergebnis ausfallen wird. Daher ist das schwer
einzuschätzen.
Ging es dir nicht mehr
um den Prozess, als um das Ergebnis?
Ja. Aber ein Film wächst einem immer ans Herz und man will
dann das bestmöglichste Ergebnis haben.
Ist es für dich möglich
noch einen Schritt weiterzugehen, also sozusagen zum „totalen Zufall“? Ohne
Drehbuch loszufahren.
Das ist schwer. Ich glaube ich brauche immer eine Basis. Ich
muss wissen, was der Grund der Geschichte ist. Ich muss wissen, was ich
erzählen will. Selbst eine kleine Auflösung und Staging will ich nicht mehr
missen. Das ist einfach ein gewisser Anspruch den ich an mich und meine Filme
habe. Filme sollen für mich was bedeuten in ihrer Aussage, eine vertretbare
Aussage oder ein Lebensgefühl, das ich vermitteln möchte. Das ist meine
Motivation zum Filmemachen. Ich brauche das. Zumindest die Aussage muss ich
wissen. Außerdem habe ich eine
Verantwortung gegenüber Team und Schauspieler. Ich muss schon wissen, was ich
mache. Als Filmregisseur bist du schon derjenige, der alles überblicken muss
und von allem Ahnung haben muss. Wenn mir jemand eine Frage stellt, möchte ich
ihm eine möglichst klare Antwort geben können. Im Theater ist das anders. Da
hat der Schauspieler selbst die Kontrolle. Beim Film ist das nicht so. Da weiß
der Schauspieler nicht alles und muss mir daher vertrauen können. Daher ist es
für mich eine Aufgabe der Regie den roten Faden zu halten.
Aber zum Beispiel ein
Regisseur wie Mike Leigh, der erarbeitet ja das Drehbuch mehr oder weniger in
Improvisation mit den Schauspielern. Dennoch haben seine Filme einen roten
Faden.
Ja. Aber er bleibt derjenige, der diesen roten Faden kennt.
Er geht vielleicht noch einige Schritte weiter, aber am Ende ist er derjenige,
der die Geschichte kennt. Mir sind auch die feinen Nuancen wichtig. Und die
finde ich nur, wenn ich die Geschichte kenne.
Es bleibt absolut beeindruckend zu sehen, welchen mutigen
Schritt Nicolas Ehret mit seinem Team und „Hit the Road Gunnar“ unternommen
hat, um die Lust am Filmemachen neu- und wieder zu entdecken. Hier noch ein
kleines Making-Of:
Wann der Film zu sehen sein wird, werde ich auf der
Facebook-Seite posten.
Hallo, liebster Nico... BRAVO!!!... Das Interview macht Lust, den Roadmovie bald zu sehen... all my love... Deine Uschi
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