Donnerstag, 15. November 2012

Viennale 2012: Tabu von Miguel Gomes



Der portugiesische Filmemacher Miguel Gomes gehört zu den aufregendsten Regisseuren, die man momentan im europäischen Kino findet. Mit seinem grandiosen Mischfilm „Our beloved month of August“ (Besprechung: hier) lotete er die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion aus. Dabei ist er in ständiger Selbstreflexion über das Filmemachen. „Tabu“, der schon auf der Berlinale begeistert aufgenommen wurde, setzt genau an dieser Stelle an. Und es ist ein wundervoller Film entstanden, der eine melancholische Kinogeschichte schreibt. In 3:4, schwarz/weiß Bildern erzählt er verschiedene Geschichten rund um Krokodile, einsame Frauen und Schürzenjäger. Dabei wirkt er jederzeit völlig frei und losgelöst von Konventionen. So spielt Gomes mit dem Stummfilmgenre in einer weit vielschichtigeren Art, als es Michel Hazanavicius in seinem „The Artist“ gelingen wollte. Die Geschichten hängen zusammen über Erinnerung und Imagination, Nachdenken und Träumen. Das sind auch die zwei Hauptmotive in einem Kinoerlebnis, das einen aufgrund seiner Originalität oft staunend im Kinosessel sitzen lässt.






Wenn auf der Viennale schon Festivaldirektor Hans Hurch vor dem Film eine persönliche Empfehlung durch das Mikrofon ausspricht, dann ist man natürlich umso gespannter. Gomes selbst spielte (wie er es auch in seinen Filmen tut) das Geschehen herunter und meinte, dass parallel ein Meisterwerk zu sehen sei („Xavier“ von Manuel Mozos) und man sich nochmal überlegen solle welchen Film man den gerne betrachten würde. Alle blieben und wenige dürften das auch bereut haben. „Tabu“ ist in gleichen Maßen unterhaltsam wie fordernd, tief wie oberflächlich. Viele ambivalente Emotionen entstehen durch die ungewöhnliche Gleichsetzung von Pathos und Humor. Es gibt große melodramatische Gefühle zu sehen, die von plötzlichen humoristischen Einlagen begleitet oder unterbrochen werden. Dabei spiegelt sich immer etwas Pathos in den humorvollen Szenen (zum Beispiel die traurig romantische Stimme eines portugiesischen Sängers im Afrika der  50er, der einen Titel der Ramones zum Besten gibt, aber dabei unheimlich aufrichtig und einsam wirkt.) und Humor in den emotionalen Szenen. Der Film versteckt sich nicht vor Themen wie Melancholie und großer Liebe; dabei bietet er dem distanzierten Betrachter die Möglichkeit das Thema historisch zu begreifen und dem affirmativen Zuseher sich völlig darin zu verlieren. Zwar steht von einem Charakter motivierte Nostalgie im Vordergrund, aber es geht auch um nationale Nostalgie (samt der nötigen Kolonialismus-Kritik) und sehr viel um Kino-Nostalgie. „Wir haben verlernt zu glauben, was wir auf der Leinwand sehen, verlernt zu träumen.“, wird Gomes nach dem Film sagen. In einer Szene blicken zwei Protagonisten im Gras liegend zu den Wolken und zeichnen Formen, die sich darin lesen. Diese Zeichnung sind tatsächlich sichtbar und ein klarer Kommentar zum Verlust der Imagination in der modernen Kinolandschaft. Bezeichnend auch, dass der erste Teil des Filmes unter dem Kapitel „Das verlorene Paradies“ läuft und im heutigen Lissabon in einer schwelgerischen Einsamkeit und mit Bedauern spielt und der zweite Teil „Paradies“ im portugiesischen Mosambik, in einer wilden, romantischen Naivität. Wie ging das Paradies verloren?

Miguel Gomes


Wie schon bei „Our beloved month of August“ ist es die scheinbare Freiheit des Filmemachers, die so sehr beeindruckt. Fast schon schelmisch erzählt er, wie eigentlich jeder im Team in seinen Filmen mitspielen müsse. Er stellt die Kameraassistentin vor, die einmal durchs Bild getanzt sei. Er habe kein Geld, um für jede kleine Rolle Schauspieler und Komparsen zu engagieren. „Tabu“ wirkt so, als wäre er direkt von seinen Locations und Charaktere inspiriert worden, als gäbe es gerademal ein grobes Drehbuchgerüst, an das sich Cast und Crew gehalten hätten. Ein Treibenlassen zwischen popkulturellen Anspielungen, persönlichem Ausdruck und einem Drang Geschichten zu erzählen statt einer einzelnen Geschichte zu folgen. Von Interesse auch das immer wiederkehrende Stilmittel bei Motivwechseln. Gomes beginnt eine neue Szene häufig mit Charakteren oder Objekten, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorkamen. Erst wenn einer der Protagonisten die Szenerie betritt, wird dem Zuseher klar, wo er sich eigentlich befindet. (so beginnt er im ersten Teil eine Szene auf einem bellenden Hund in einem Fenster, neben dem ein gefährlich anmutender Hundehalter aufkreuzt; erst dann zieht die Kamera auf und wir sehen die Protagonistin, die sich den beiden gegenüber befindet.) Diese Orientierungslosigkeit führt zu einem ständigen Lesen des Bildes. Bewusst werden Lücken gelassen in der Narration. Doch diese Lücken machen den Inhalt erst aus. Mit „Tabu“ beweist Miguel Gomes, dass man mit Filmen noch träumen kann und dass man noch vom Filmen träumen kann und von Filmen träumen, die sich nicht über das nächstbeste Thema definieren, sondern über ihre filmische Form.



Damit sind die Kritiken von der diesjährigen Viennale abgeschlossen. Es ist immer wieder erstaunlich wie groß das Interesse innerhalb der Stadt während des Festivals für künstlerisch wertvolle Filme zu sein scheint und wie schnell es dannach wieder abebbt.

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