Der portugiesische Filmemacher Miguel Gomes gehört zu den
aufregendsten Regisseuren, die man momentan im europäischen Kino findet. Mit
seinem grandiosen Mischfilm „Our beloved month of August“ (Besprechung: hier)
lotete er die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion aus. Dabei ist er in
ständiger Selbstreflexion über das Filmemachen. „Tabu“, der schon auf der Berlinale
begeistert aufgenommen wurde, setzt genau an dieser Stelle an. Und es ist ein
wundervoller Film entstanden, der eine melancholische Kinogeschichte schreibt.
In 3:4, schwarz/weiß Bildern erzählt er verschiedene Geschichten rund um Krokodile,
einsame Frauen und Schürzenjäger. Dabei wirkt er jederzeit völlig frei und
losgelöst von Konventionen. So spielt Gomes mit dem Stummfilmgenre in einer
weit vielschichtigeren Art, als es Michel Hazanavicius in seinem „The Artist“
gelingen wollte. Die Geschichten hängen zusammen über Erinnerung und Imagination,
Nachdenken und Träumen. Das sind auch die zwei Hauptmotive in einem
Kinoerlebnis, das einen aufgrund seiner Originalität oft staunend im Kinosessel
sitzen lässt.
Wenn auf der Viennale schon Festivaldirektor Hans Hurch vor
dem Film eine persönliche Empfehlung durch das Mikrofon ausspricht, dann ist
man natürlich umso gespannter. Gomes selbst spielte (wie er es auch in seinen
Filmen tut) das Geschehen herunter und meinte, dass parallel ein Meisterwerk zu
sehen sei („Xavier“ von Manuel Mozos) und man sich nochmal überlegen solle
welchen Film man den gerne betrachten würde. Alle blieben und wenige dürften
das auch bereut haben. „Tabu“ ist in gleichen Maßen unterhaltsam wie fordernd,
tief wie oberflächlich. Viele ambivalente Emotionen entstehen durch die
ungewöhnliche Gleichsetzung von Pathos und Humor. Es gibt große melodramatische
Gefühle zu sehen, die von plötzlichen humoristischen Einlagen begleitet oder
unterbrochen werden. Dabei spiegelt sich immer etwas Pathos in den humorvollen
Szenen (zum Beispiel die traurig romantische Stimme eines portugiesischen
Sängers im Afrika der 50er, der einen
Titel der Ramones zum Besten gibt, aber dabei unheimlich aufrichtig und einsam
wirkt.) und Humor in den emotionalen Szenen. Der Film versteckt sich nicht vor
Themen wie Melancholie und großer Liebe; dabei bietet er dem distanzierten Betrachter
die Möglichkeit das Thema historisch zu begreifen und dem affirmativen Zuseher
sich völlig darin zu verlieren. Zwar steht von einem Charakter motivierte
Nostalgie im Vordergrund, aber es geht auch um nationale Nostalgie (samt der
nötigen Kolonialismus-Kritik) und sehr viel um Kino-Nostalgie. „Wir haben
verlernt zu glauben, was wir auf der Leinwand sehen, verlernt zu träumen.“,
wird Gomes nach dem Film sagen. In einer Szene blicken zwei Protagonisten im
Gras liegend zu den Wolken und zeichnen Formen, die sich darin lesen. Diese
Zeichnung sind tatsächlich sichtbar und ein klarer Kommentar zum Verlust der Imagination
in der modernen Kinolandschaft. Bezeichnend auch, dass der erste Teil des
Filmes unter dem Kapitel „Das verlorene Paradies“ läuft und im heutigen
Lissabon in einer schwelgerischen Einsamkeit und mit Bedauern spielt und der
zweite Teil „Paradies“ im portugiesischen Mosambik, in einer wilden,
romantischen Naivität. Wie ging das Paradies verloren?
Miguel Gomes |
Wie schon bei „Our beloved month of August“ ist es die
scheinbare Freiheit des Filmemachers, die so sehr beeindruckt. Fast schon
schelmisch erzählt er, wie eigentlich jeder im Team in seinen Filmen mitspielen
müsse. Er stellt die Kameraassistentin vor, die einmal durchs Bild getanzt sei.
Er habe kein Geld, um für jede kleine Rolle Schauspieler und Komparsen zu
engagieren. „Tabu“ wirkt so, als wäre er direkt von seinen Locations und
Charaktere inspiriert worden, als gäbe es gerademal ein grobes Drehbuchgerüst, an
das sich Cast und Crew gehalten hätten. Ein Treibenlassen zwischen
popkulturellen Anspielungen, persönlichem Ausdruck und einem Drang Geschichten
zu erzählen statt einer einzelnen Geschichte zu folgen. Von Interesse auch das
immer wiederkehrende Stilmittel bei Motivwechseln. Gomes beginnt eine neue
Szene häufig mit Charakteren oder Objekten, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht
vorkamen. Erst wenn einer der Protagonisten die Szenerie betritt, wird dem
Zuseher klar, wo er sich eigentlich befindet. (so beginnt er im ersten Teil
eine Szene auf einem bellenden Hund in einem Fenster, neben dem ein gefährlich
anmutender Hundehalter aufkreuzt; erst dann zieht die Kamera auf und wir sehen
die Protagonistin, die sich den beiden gegenüber befindet.) Diese Orientierungslosigkeit
führt zu einem ständigen Lesen des Bildes. Bewusst werden Lücken gelassen in
der Narration. Doch diese Lücken machen den Inhalt erst aus. Mit „Tabu“ beweist
Miguel Gomes, dass man mit Filmen noch träumen kann und dass man noch vom
Filmen träumen kann und von Filmen träumen, die sich nicht über das nächstbeste
Thema definieren, sondern über ihre filmische Form.
Damit sind die Kritiken von der diesjährigen Viennale abgeschlossen. Es ist immer wieder erstaunlich wie groß das Interesse innerhalb der Stadt während des Festivals für künstlerisch wertvolle Filme zu sein scheint und wie schnell es dannach wieder abebbt.
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