Tilda Swinton; nicht immer leicht, nicht immer zugänglich.
Sie ist anders, hat oft den Mut unschöne, unsympathische und kalte Frauen zu
spielen. Man kennt sie als Sal, die starrsinnige Anführerin der Zivilisationsaussteiger
aus Danny Boyles The Beach. Man kennt
sie als korrupten Gegenpart zu George Clooney als Michael Clayton; aber auch für die Coen-Farce Burn after Reading war sie sich nicht zu schade. In I am love von Luca Guadagnino spielt sie
eine Frau auf dem Weg zu sich selbst, verfilmte Literatur, aber statt sich der
russischen Modellopferrolle hinzugeben, findet Swinton immer wieder auch dunkle
Seiten in ihren Rollen. Schon äußerlich wirkt sie kühl und abweisend. Ihre
großen Augen und ihre blasse Haut, ihre zierliche und doch erhabene Gestalt…
Ehrlichgesagt fällt es nicht immer leicht das Schauspiel dieser anerkannten
englischen Darstellerin zu bewundern, da sie einfach zu gut ist. Man ist
schlicht zu sehr damit beschäftig ihre Rollen nicht zu mögen und vergisst
darüber, dass diese nur gespielt sind. Jetzt ist sie wieder in einer Opferrolle
zu sehen und zwar in We need to talk
about Kevin von Lynne Ramsay. Um zwei Dinge gleich vorweg zu nehmen:
1. Dieser
psychodelische Dramatrip in die Wahrnehmung einer gepeinigten Mutter und Ehefrau
ist einer der herausragenden Filme des Jahres.
2. Swinton
schafft wieder eine erstaunliche Ambivalenz zwischen Sympathie und Ablehnung;
Die Frage nach Schuld und Verantwortung ist eine der Fragen,
die Ramsay aufwirft. Kevin ist der titelgebende Sohn von Eva, gespielt von
Tilda Swinton. Er ist (untertrieben) ein schwieriges Kind mit einer
ausgeprägten Neigung zur Gewalt. Und zwar schon-und hier kommt der Roman
Polanski-Faktor mit in den Film-in einem Alter, in dem er es eigentlich noch
nicht sein könnte. Als Kleinkind schreit er sobald er mit seiner Mutter alleine
ist, dann verweigert er der Mutter den Ball zu ihr zurückzurollen und wirkt
dabei merkwürdig provozierend. Ist das der tatsächliche Sohn des Teufels? Ist
Kevin gewissermaßen Rosemary’s Baby im
Hier und Jetzt? Die fleischgewordene Angst vor dem eigenen Kind, der Kampf mit
sich selbst: Eva hält ihren Sohn merkwürdig steif in die Luft und versucht zu
lächeln. Sie kämpft und man merkt ihr an wie schwer es fällt ihren Sohn zu
lieben. Zwischendurch gibt es Licht, aber der große Schatten hängt über dem
Film von den ersten Bildern an.
Und dieser Schatten ist rot. Alle Departments sprechen in
dieser Farbe. Rot impliziert zunächst einmal Blut. Rot impliziert eigentlich
auch Liebe. Gleich das erste Bild brennt sich ins Gedächtnis. Eva mitten in
einer roteingefärbten Menge während der Tomatenschlacht in Buñol;
es wirkt fast wie die letzte Ölung in rotgetränktem Tomatensaft. Ketchup, rote
Kleider, rote Vasen, rote Farbe auf dem Frontfenster…Ramsay schafft gemeinsam mit Kameramann
Seamus McGarvey (dessen Bilderpoesie schon in Atonement oder The Hours zur
Sprache kam) ein Bildermeer, der Farben und Formen; fließende Übergänge und ein
Sog aus Erinnerungen und einer distanzierten Gegenwart. Der Schnitt baut auf
surreal anmutende Überschneidungen und dann gibt es sie doch wieder…die kühlen
Bildern, die Distanz, in der Tilda Swinton so heimisch ist. Ramsay wirft vieles
in ihren Topf. Einerseits schreit das Thema geradezu nach einem respektvollen
Umgang und einer gewissen Natürlichkeit (Vermeidung des Begriffs Authentizität),
andererseits ist es gerade die filmische, fast schon horrorfilmartige
Überspitzung der Geschehnisse, die We
need to talk about Kevin zu einem solchen Genuss macht.
Die Musik springt einen förmlich an. Der ausgewählte
Soundtrack ist gegen den Inhalt gesetzt, fröhlich und befreiend. (Buddy Holly
mit Everyday sei hier genannt) Aber
die komponierten Töne von Johnny Greenwood unterstützen den bildgewordenen
Albtraum, den man hier inszeniert hat. Polanski war mit seinen Psychothrillern
sicherlich ein Vorbild. Es ist dieser Horror in den eigenen vier Wänden, der
Horror, den man selbst (laut schreiend, natürlich) geboren hat. Aber Swinton
ist eben kein reines Kind von Unschuld. Immer wieder klaffen Lücken auf in
ihrer Erziehung. Oder ihr Ehemann, gespielt von John C. Reilly wirft ihr einen
vorwurfsvollen Blick zu. Hätte man etwas anders machen müssen in der Erziehung?
Inwieweit kann eine Mutter überhaupt das Opfer sein? Rosemary ist irgendwann
völlig isoliert, zwischen den Welten und weiß nicht mehr, was real ist und was
imaginiert. Diese Frage stellt sich bei Eva nicht. Dennoch ist sie isoliert.
Lange unklar bleibt, wieso genau sie derart von ihrem Umfeld angefeindet wird. Aber
auch der eigene Gatte scheint keine Rettung zu sein. Manchmal wirkt er wie der
Verbündete des Sohnes. Einzig die zweitgeborene Tochter scheint Abhilfe leisten
zu können. Und doch gibt es da diese Momente der scheinbaren Schönheit, des
scheinbaren Verzeihens. Momente der Menschlichkeit. Weil Ramsay und Swinton
keine Künstler sind, die Inhalte fernab der Grauzone des Daseins zulassen. Will
heißen, dass es Schwarz und Weiß nur in der Tagline geben kann.
Mehr noch ist We need
to talk about Kevin ein Musterbeispiel für Perfektion in der subjektiven
Darstellung einer Welt; die Wahrnehmung des Films entspricht zu einem großen
Teil der Wahrnehmung von Eva. Wir öffnen Türen mit ihr gemeinsam und betrachten
dieses Monster, das sie ihren Sohn nennen muss durch ihre Augen. Ein
Point-of-View Film. So ist es dann auch möglich dem Rezipienten einen
durchgehenden Wechsel aus Gegenwart und Vergangenheit, Traum und Wirklichkeit
zu geben. Eva lebt noch in der Vergangenheit. Alles andere wäre auch nicht
möglich. Dennoch muss sie in der Realität existieren diese Frau. Man fühlt sich
genauso bedroht von den Bildern wie Eva selbst. Wie würde man handeln? Trotz
all dieser Subjektivität erlaubt die englische Regisseurin auch Reflektion und
Abstand. In bester Haneke Manier werden wir einmal sogar scheinbar direkt
angesprochen, warum wir uns immer diese Psychopathen im Kino ansehen müssen…
Dieser „Psychopath“, also Kevin wird gespielt von Ezra Miller
(als Jugendlicher); er spielt ihn wie die Personifikation des Bösen, aber
irgendwo hofft und will man so sehr-genau wie die Mutter-dass da irgendwo etwas
„Gutes“ durchscheint; manchmal glaubt man es zu fühlen, zu sehen. Und das führt
wieder zurück zur Frage nach der Schuld. Einer Frage, die wie viele Fragen in
diesem Film nicht beantwortet werden will und kann. Lynne Ramsay steht über
diesem Thema. Ihr Film will in erster Linie ein Film sein. Keine Abhandlung
eines Themas, wie das gerade in Deutschland so häufig zu spüren ist. Dadurch
entsteht ein formales und inhaltliches Meisterwerk, das sich nie in seinem
Thema und auch nicht in seiner brillanten Ästhetik zu verlieren droht, weil sie
äußere und innere Form aus einem Guss sind. Ihre schon im Casting
unkonventionellen Entscheidungen (eine sehr, sehr ernste Rolle für John
C.Reilly ) trifft Ramsay bis in die kleinsten Details der Inszenierung und so
entsteht ein lebendiges und immer überraschendes Werk: Eine ziemlich absurde
Weihnachtsfeier des Reisebüros, heitere Musik zu einer düsteren Halloween-Szene,
ein liebevoller Blick in Momenten des größten Hasses… Einer dieser Filme, die
einen zwingen nicht dem Impuls des Wegschauens zu folgen. Und so ist es auch
mit Tilda Swinton. Man muss sie nicht mögen, man muss ihr nur zusehen.
Der nächste Film von Lynne Ramsay wird Jane got a gun heißen und spielend werden Natalie Portman und
Michael Fassbender zu sehen sein. Eine Konstellation, die man sich schlechter
hätte vorstellen können.
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