Eine Frau nimmt sich gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Auszeit
am Meer. Sie fahren in ihr kleines Haus dort. An einem Tag gehen sie baden. Sie
wählen einen möglichst ruhigen, verlassenen Strand. Die Wellen und der Wind
sind das einzige hörbare Geräusch. Der Mann möchte ins Wasser gehen. Er fragt
seine Frau, ob sie ihn begleiten wolle. Sie verneint, sie sei müde und möchte
sich noch ein bisschen ausruhen. Dann geht der Mann ins Meer. Wellen sind zu
sehen. Die Frau, gespielt von Charlotte Rampling wacht auf und blickt sich um.
Sie sieht ihren Mann nicht im Wasser, nicht am Strand. Erst denkt sie sich
nichts, liest noch etwas in einem Buch. Dann Panik: Ihr Mann ist verschwunden.
Dies ist die Ausgangsposition für Sous le sable (Unter dem Sand)
des beeindruckenden französischen Regisseurs François Ozon. Dabei liefert er eine intensive
Charakterstudie, die sich mit Verlust und Ängsten auseinandersetzt. Rampling
brilliert als eine Frau, die beginnt daran zu zerbrechen, dass sie nicht um das
Schicksal ihres Gatten weiß; oft hat sie die Augen nach unten geschlagen. So
ist es sehr schwer in ihr zu lesen. An anderer Stelle wird statt einer
Nahaufnahme der Blick auf ihren Hinterkopf gegeben. Dann ändert sie wieder
schlagartig ihren Ausdruck, ihre Meinung, ihr Auftreten. Man fühlt förmlich die
Anstrengung, wenn sie lächelt. Verlust ist eines der Hauptmotive des Regisseurs
von Filmen wie 5x2 oder Le Temps qui reste. In Sous le sable wird diese Angst aber in
ein psychologisches Spiel mit dem Zweifel an der Realität verkehrt. Ein Leugnen
des Realen wenn man so will, das auch Martin Scorsese- nach Dennis Lehanes Buch-
in Shutter Island erforscht hat. Doch
statt sich wie der amerikanische Meisterregisseur in relativ plumpen
Horroreffekten zu versuchen, besticht Ozon durch die Ruhe seiner Beobachtungen.
Zudem hebt der dramaturgische Kniff, dass der Zuseher immer etwas weniger weiß,
als die Protagonisten, das Niveau beträchtlich an. Manchmal springt Ozon
einfach ein gutes Stück nach vorne in der Zeit und man muss den Wissensstand
wieder aufholen; viel häufiger wird man aber selbst mit dem Zweifel an der
Realität und Diegese des Films konfrontiert. In diesem Film spielen sich
tatsächlich Dinge über und unter dem Sand ab; ein Fest der Mehrdeutigkeiten,
welches mit einer Sicherheit inszeniert ist, dass es einem schon fast
schwindlig wird.
Die surrealen Momente des Erinnerns und des Imaginierens sind
nicht besonders innovativ. Allerdings ist die Art wie sie im Gesamtkonzept
verwoben sind nahe an der Perfektion. Es gibt Augenblicke beim Betrachten
dieses Films aus dem Jahr 2000, da weiß man nicht mehr, ob man sich selbst
Dinge nur vorgestellt hat. Ein weiteres Thema der Filme von François Ozon ist das Erkunden
menschlicher Abgründe in sexuellen Situationen. In einer bemerkenswerten
Masturbationsszene sind viele Hände im Gesicht und am Körper von Charlotte
Rampling zu sehen. Auch hier wird die Vorstellung wieder zur Realität, wenn
auch nur für einige Augenblicke. Später ein Lachanfall: Ihr neuer Liebhaber
Vincent rutscht auf ihr herum und ihr fällt auf, wie leicht er im Vergleich zu
ihrem Ehemann ist. Ozon besitzt eine Beobachtungsgabe, die dort zu beginnen
scheint, wo viele nicht mehr hinsehen können. In seinem Schaffen hat er nicht
nur die dunklen Seiten des Daseins erkundet, sondern hat auch Komödie, wie Potiche oder gar Musicals wie 8 Femmes gedreht. Damit beweist er eine
Vielseitigkeit, wie nur wenige Filmemacher sie zu besitzen scheinen.
Trotz
der Geradlinigkeit des Filmes erlaubt er sich von Zeit zu Zeit spielerische
Kunstgriffe. Zu Beginn des Films fährt der Ehemann, herrlich mehrdeutig gespielt
von Bruno Crémer, mit seiner Hand über die Rinde eines Baumes. Die Schärfe
bleibt dort für einige Sekunden auf der Rinde. Man könnte diese Einstellung als
Betonung der Natur und des Lebendigen lesen. Ein unbeweglicher und alter Teil
dieser Erde. Vielleicht ist es aber auch nur die Kruste einer Wahrnehmung, die
zu brechen droht? Dann ertönt wieder die Musik von Philippe Rombi oder Portishead
und man folgt dieser verlorenen Frau, man möchte eigentlich immer dieser Frau
folgen, weil man sie so gerne verstehen würde und gleichzeitig-genau wie
sie-gerne die Wahrheit wissen wollen würde oder eben lieber gar nicht wissen
wollen würde. Dieses Jahr war mit Take
Shelter von Jeff Nichols ein weiterer Film im Kino zu sehen, der sich mit
Ängsten, Paranoia und dem Zweifel an der Realität auseinandersetzte. Wirkten
die Schlussbilder in Take Shelter und
Shutter Island wie ein Anhängsel, um
den Zuseher zu irritieren, so ist das Schlussbild von Sous le sable von einer Poesie, die dem Kern des Realitätsverlusts
deutlich näher zu kommen scheint. Denn Ozon wagt hier auch eine
Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Erinnerns und der Macht von Bildern.
Und es gelingt ihm tatsächlich dieses etwa in Kunstfilmen von Alain Resnais
oder Chris Marker behandelte Thema, in eine für ein Massenpublikum taugliche
Form zu bringen. Ein Film, der einen fesselt+ und nach dem Abspann gefesselt
auf einem Stuhl sitzend zurücklässt.
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