Dienstag, 23. Oktober 2012

Wortlose Sequenzen Teil 3:Raging Bull von Martin Scorsese

"Tanz, Gefängnis, die Ästhetik"


Der neue Beitrag zum Thema wortlose Sequenzen beschäftigt sich mit „Raging Bull“ von Martin Scorsese. Die wortlose Sequenz ist in diesem Fall die berühmte Titelsequenz. In ihrem Zentrum steht vor allem die Musik: Es ist das Intermezzo der Oper „Cavalleria Rusticana“ von Giovanni Verga, welche auch in „The Godfather Part  3“ prominent verwendet wird.



Die Sequenz dauert mitsamt den Produzentenlogos 2 Minuten und 53 Sekunden. Sie besteht aus einer Einstellung und zeigt den Boxer Jake La Motta (gespielt von Robert De Niro) in Vorbereitung auf einen Kampf durch den Ring tänzeln und sich aufwärmen. Er trägt einen extravaganten Mantel mit Leopardenmuster und wirkt fast wie ein Tänzer. Die Sequenz läuft in Zeitlupe ab und ist-wie der gesamte Film von 1980- in körnigen Schwarz/Weiß Bildern gehalten. Unmittelbar nach dieser Sequenz sehen wir den alten Jake La Motta. Das Gegenteil, wenn man so möchte: Dick, schwerfällig und philosophierend. „Raging Bull“ markiert gewissermaßen den Höhepunkt des Schaffens von Martin Scorsese. Hier trifft sich seine amerikanisch-italienische, temporeiche Direktheit mit seinen existentialistischen Ideen; seine kinematographische Power mit seinem cineastischen Mut. Hier war Scorsese der Filmemacher, der er immer hätte sein sollen.

Die Ästhetik




Augenscheinlich ist das Schwarz und Weiß. Bis heute entstehen immer wieder Filme in Schwarz und Weiß, meistens wird das dann als Hommage an eine Zeit oder einen Stil verstanden; so rechtfertigt sich Anton Corbijn zu seinem Film „Control“ wie folgt: „ Es gibt praktisch nur schwarz/weiß Fotos von Joy Division.“, Haneke sieht die Zeit nach dem ersten Weltkrieg auch in schwarz/weiß und die Coen-Brüder finden, dass ein Film Noir eben in Schwarz und Weiß gehört. Natürlich (nur ein Nebeneffekt selbstverständlich) sieht das auch ziemlich gut aus. Ähnlich verhält es sich bei Scorsese und seinem Kameramann Michael Chapman. Allerdings hatte Jake La Motta in seiner Autobiografie, auf die sich der Film logischerweise stützt bereits bemerkt, dass er sich an sein Leben erinnere, wie an einen Schwarzweißfilm. Bedenkt man, dass um 1980 Sylvester Stallone mit Rocky das Boxerfilm-Genre beherrschte, kann man die Entscheidung von Scorsese für diese Ästhetik dennoch als mutig ansehen; sie gibt dem Film bis heute etwas klassisches, etwas hollywoodartiges. Die Zeitlupe wird meistens zur Erhöhung von Charakteren benutzt. Auch hier hat sie diesen Effekt, aber irgendwie hat sich auch etwas von „nicht vom Fleck kommen.“; es ist trotzdem die Ästhetik und Schönheit des Boxsports, die Scorsese zeigt. Die Körperlichkeit und Erhöhung der Sportler. Immer wieder schießt ein Blitzlicht aus der tobenden Menge. Dem ganzen haftet etwas Traumartiges bei. Mit einer einzigen Einstellung etabliert Scorsese die Ästhetik des Films, die Ästhetik seines Charakters und seines Berufes. Mehr noch lässt er eine tragische Komponente mitschwingen, etwas Schicksalhaftes. Die ganze Sequenz wirkt wie die Vergangenheit, wie etwas Vergessenes. Nebenbei läuft eine völlig gewöhnliche Titelsequenz. Die Ästhetik kommt auch vom Schauspiel; diese Körperlichkeit und Leichtigkeit. Und dann senkt De Niro doch wieder den Kopf und wirkt schwer. Besessenheit, Schuld, Gewalt und Freude. Alles ist spürbar in den tänzelnden Schritten, die nicht nur dieser Sequenz, sondern auch dem Boxsport seine Ästhetik verleihen.

Das Gefängnis




Die ganze Sequenz über wird das Bild von der Ringbegrenzung quer durchdrungen. Wir haben keinen freien Blick auf den Protagonisten. Einmal kommt er auf uns zu, es wirkt fast, als wäre es ihm möglich das Gefängnis des Bildes zu überwinden, aber dann dreht er doch wieder um. Man kann den Bildausschnitt als Metapher für die folgende Handlung des Filmes verstehen. Das innere Gefängnis des tragischen Helden Jake La Motta, wenn man so möchte. Der Titel „Raging Bull“ passt hier natürlich auch. Wie ein wilder Stier bewegt sich La Motta durch den Ring. Auf und ab. Aber er ist nicht frei. Eigentlich will La Motta verstanden werden. Aber da ist eine Grenze zwischen ihm und seiner Umwelt. Er ist mehr ein Ausstellungsobjekt, denn der Mensch, der er eigentlich sein möchte. Die metaphorische Behandlung des Filmtitels in der Eröffnungsszene ist ein beliebtes Stilmittel. Derzeit ist sie zum Beispiel bei Walter Salles in seiner Romanverfilmung „On the road“ zu sehen. Man sieht ein paar Füße über verschiedenartige Wege gehen. Dann stellt sich natürlich auch die Frage nach unserer eigenen Unfreiheit als Zuseher. Diese blinden, tobenden Menschenmassen, die La Motta eben nicht verstehen wollen und können; das Blitzlicht und das blinde Folgen dieses Helden. Denn darum geht es Scorsese auch: Die Verklärung eines Sportlers ins Heldentum. Der Druck, der damit einhergeht. Wo sich Sport und Film treffen, trieft es normalerweise vor Pathos. Scorsese kommentiert dieses Pathos in seiner Eröffnungssequenz. Ab der folgenden Szene ist davon kaum etwas zu spüren.

Die Oper

L'eclisse Eröffnungsszene


Die Szene ist gewissermaßen als Prolog zu verstehen. Die Wahl der Musik ist nicht zufällig. In „Cavalleria Rusticana“ geht es um Verrat, Glauben, Leidenschaften und den Fall eines Menschen. Sie wirkt herausgehoben, eben weil sie sich nur auf die Musik und die Bilder verlässt und nicht auf Worte. Auch Opern haben gewöhnlich einen Prolog. Dieses Stilmittel gibt dem ganzen Film also etwas opernhaftes. Man fühlt das Schicksal, ohne dass ein Wort gesprochen wurde. Die Musik übernimmt die Emotion und trägt die Bilder, die sie mit der Zeitlupenästhetik und dem stickigen Rauch zu untermalen scheinen. Solche Prologe gibt es natürlich häufiger in der Filmgeschichte. Streng genommen sind alle Titelsequenzen, die nur mit Musik untermalt sind als Äquivalent zu einem Prolog zu verstehen. Man kann ein konträres Gefühl installieren, wie Michelangelo Antonioni in „L’eclisse“ als er Mina den „L’eclisse Twist“ singen lässt, ein unheimlich fröhliches und befreiendes Lied, völlig entgegengesetzt der Eröffnungsszene und Thematik des Films. Sehr ähnlich zur Ästhetik von Scorsese verhalten sich erstaunlicherweise Lars von Triers letzte Arbeiten. Zum Beispiel in „Antichrist“ oder „Melancholia“ gibt es einen Prolog, der jeweils mit Opernmusik von Richard Wagner untermalt wird. Auch von Trier verwendet die Zeitlupe als Stilmittel der absoluten Erhöhung. Präsentiert er in „Antichrist“ damit aber den Auslöser der Geschichte, zeigt er in „Melancholia“ praktisch den gesamten folgenden Handlungsablauf in überstilisierten Bildern. Solche Sequenzen vor die eigentliche Handlung zu stellen, offenbart die Tendenz des Regisseurs als Geschichtenerzähler. Sie ermöglichen es dem Zuseher in die richtige Stimmung zu kommen oder eben genau das nicht. Paradoxerweise wirken sie dem folgenden Film nie fremd; sie stellen eine Tür oder ein freundliches Schild dar, welches zum Eintritt in den Film auffordert. Schön, wenn man dabei schon so viele essentielle Informationen transportieren kann, wie Martin Scorsese in „Raging Bull“.



Weiter wird es gehen mit „Professione:reporter“ von Michelangelo Antonioni

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