Mittwoch, 24. Oktober 2012

Gegen den Bericht vom roten Teppich


Link: Wer marschiert mit der Filmbranche?

Einen ganz wundervollen und aufrüttelnden Text gibt es derzeit auf critic.de von Frédéric Jaeger zu lesen. Er behandelt das Verhältnis zwischen Filmbranche und Filmkritik. Gleichzeitig diskutiert er den aktuellen Stand der Online-Filmpublikationen.

Das Thema bringt mich auch wieder zurück, zum eigentlichen Beginn dieses Blogs und der Frage, wo sie hinverschwindet, die Cinéphilie, die Freude am Kino, das Verständnis von Film als Kunst. Kann man darüber überhaupt neue Erkenntnisse gewinnen? Festzustellen ist lediglich, dass Film in der Wahrnehmung des "durchschnittlichen" Zusehers zumeist keinen Kunstanspruch hat; es würde eigentlich die Aufgabe von Filmemachern und Schreibern sein jenen aufrecht zu erhalten. Es bleibt eine Schande, wie die wirklich wichtigen und bewegenden Filme, die ausdrucksstarken Filme in der Massenwahrnehmung untergehen. Wer sich nicht einliest, der wird kaum mitbekommen, was los ist auf dem Filmmarkt. Denn in den handelsüblichen Gazetten werden die großen Filme besprochen, die sowieso schon über das größte Werbebudget verfügen. Interessant ist das Kleid auf dem roten Teppich, ein Interview mit einem Star. Eine kurze Inhaltsangabe genügt schon, um zu den scheinbar wichtigeren Dingen zu kommen.

Nun stellen sich viele Kinogänger die Frage, ob sie Anspruch überhaupt brauchen, ob sie Schwere nicht lieber meiden würden. Das bleibt natürlich jedem selbst überlassen, aber Filme nur ob ihres Unterhaltungsaspektes zu betrachten, ist wie ein Auto nur in den ersten zwei Gängen zu fahren. Es bringt einen von A nach B und kann auch Freude bereiten (wenn man zum Beispiel die Musik aufdreht), aber man sieht lange nicht alles, was dieses Medium zu leisten im Stande ist. Das erschreckende bleibt immer, wie weit die Wahrnehmung des Kinos vor 40 Jahren schon gekommen war und wie sie sich in der Zwischenzeit wieder abgestumpft hat. Ein Medium auf dem Abstellgleis.

Und dennoch ein Medium der Überfüllung. Im Internet finden sich tausende sogenannter Filmblogs und Filmseiten, die sich anspruchsvoll und eigenwillig mit Film als Kunstform beschäftigen; die Filmfestivals sind überflutet mit zum Teil grandiosen, eigenwilligen Filmen, die Film hinterfragen, zelebrieren und vollkommen an die Grenzen bringen. Es herrscht eine eigentlich vitale Umgebung, aber je weiter das kritische Anspruchdenken und der reine Kommerz auseinanderdriften, desto sterbender ist Film. Denn Film lebt eben nicht von seinen Nischen. Film lebt von einer Kultur, einer sozialen Wahrnehmung und dem Teilen des Sehens.Diese gibt es außerhalb der Festivals praktisch nicht mehr.

Nur innerhalb der Filmbranche ist es genauso wie außen. Jeder möchte am liebsten selbst weiterkommen. Jeder liebt Film auf seine (DIE richtige Art, eine Falle ist hierbei die eigentliche Stärke des Films: Identifikation, die einen scheinbar direkt und isoliert anspricht); man verbrüdert und verbindet sich nur zum gegenteiligen Vorteil. Letztlich geht es immer um einzelne Personen. Und am Ende ist das System so gebaut, dass man als einzelne Person nur weiterkommt, wenn man gewissen Gesetzen gehorcht. Damit gräbt sich Film seit Jahrzehnten ein eigenes Grab, in welches er nie vollkommen reinfallen wird, aber immer schon mit einem Bein steht. Ein System zu gut zum Sterben, zu fragil zum Leben. Paradox, dass es ausgerechnet die größten Individualisten schaffen dem System am weitesten zu entkommen.

« Nous avons gagné en faisant admettre le principe qu'un film de Hitchcock, par exemple, est aussi important qu'un livre d'Aragon. Les auteurs de films, grâce à nous, sont entrés définitivement dans l'histoire de l'art. »
Jean-Luc Godard, Arts, 22 avril 1959

Jean-Luc Godard


Diesen Satz kann man als Kern der Autorentheorie verstehen. Ein Filmregisseur sei so bedeutend, wie ein Autor. Beide würden Kunst machen. Leider wird er häufiger auf die Machart von Filmen angewandt, die aus hierachischen Flüsterpostspielen besteht, in der sich die Dampfwalze Film nimmt, was sie kriegen kann. Dabei sollte sie einfach auf die Rezeption angewandt werden. Das Kinoerlebnis (oder von mir aus auch Laptoperlebnis ) würde gewinnen:

1. Wenn man den Regisseur eines Filmes zur Kenntnis nimmt und weiß, was er sonst so gedreht und gemacht hat, aus welchem Land und welchem politisch/sozialen Umfeld er kommt.

2.Wenn man den Film zeitlich und örtlichen einordnen kann. (Ein spanischer Film 1985 ist ein anderer Film, als ein spanischer Film 1995, ist ein anderer Film, als ein spanischer Film heute)

3. Wenn man versucht sich ein bisschen zu überlegen WIE etwas gefilmt wurde und auch daraus Schlüsse zieht. (die endlosen Diskussionen über Inhalte sind doch kaum haltbar, weil man ab einem gewissen Alter doch feststellen müsste, dass es immer die selben Diskussionen sind)


Das sind weder besonders aufwändige noch anspruchsvolle oder außergewöhnliche Möglichkeiten, um Film als Kunst wahrzunehmen. Man könnte erstaunt sein, wie weit am Rand der Wahrnehmung dann der rote Teppich zu finden ist. Vielleicht setzt dieser Blog den Hebel sehr naiv und weit unten an. Aber genau dort will und muss er sein.


 
“It’s dishonest to talk about films, since we’re already doing something useless which self-destroys itself.

- Marco Ferreri


Dillinger is Dead von Marco Ferreri





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen