Der dänische Regisseur Lars von Trier ist zweifelsohne einer
der wichtigsten Regisseure der letzten 20 Jahre. Gleichzeitig ist er einer der
kontroversesten Künstler unserer Zeit. Er gilt als schwierig und verschlossen.
Immer wieder provoziert er mit Aussagen in Interviews. Aber auch seine Werke
selbst spalten das Publikum. Sicherlich macht er keine Filme für die breite
Masse. Er selbst empfand den eigentlich recht weitläufig beliebten Melancholia letztes Jahr als „zu nett“.
Dabei spielen Menschlichkeit und Warmherzigkeit fast immer eine große Rolle in
seinen Filmen. Breaking the Waves, Dancer
in the Dark und Idioten werden
nicht umsonst als Golden-Heart-Trilogie bezeichnet. Im Zentrum stehen kämpfende
Frauen, die sich innerhalb einer Gesellschaft bewegen, die ihre Gutherzigkeit
zum Teil ausnutzen, zum Teil versuchen ihnen zu helfen. Diese vom Schicksal
gepeinigten Frauenfiguren verkörpern das „Gute“ bis zu einem ungesunden Grad,
an dem sie selbst schwach werden müssten. Sie sind im Herzen zutiefst
unschuldig. Marquis de Sades Justine gilt nicht umsonst als Vorbild für die
Frauenfiguren von Lars von Trier. Ironisch, dass er sich auch selbst mit den
Frauen gleichsetzt. Sie würden eigentlich ihn darstellen. Von Triers Filme
haben auch etwas parabelhaftes an sich. Märtyrer und Opfer bilden die Schwelle
für kühl-sezierende, oft grausam sarkastische Gesellschaftskritik.
Dancer in the Dark |
Die Distanz,
die man dadurch eigentlich fühlen müsste, hebt er durch eine scheinbar
improvisierte Subjektivität in der Kameraführung auf. Er hat nicht die Nähe und
Konsequenz der Kameraführung eines Dardenne-Films, hierfür funktioniert die
Kamera zu autonom, dennoch ist er äußerst nahe und fängt die Momente ab, die eigentlich
nach der Szene zum Vorschein kommen: Ein nachdenklicher Blick, eine Träne zu
viel, ein Lächeln. Seine Handkamera erlaubt ihm fast die Inszenierung eines
Theaterstücks, indem jeder Schauspieler zu jeder Zeit agieren muss, sich keine
Pausen erlaubt, weil sie oder er schlicht und ergreifend immer im Bild sein
könnten. Lars von Trier steht auch für Kontrolle. In seinen frühesten Werken
hat er versucht jedes Detail zu kontrollieren. Er hat an den Expressionismus
angelehnte SciFi-Hypnosen zu Filmen gemacht, mit eindringlichen Bildern und Präzision,
denen aber das Herz seiner späteren Werke abgeht. Ein Herz, das er sich
vielleicht auch erkämpft hat durch seine konzeptionelle Arbeit in Sachen Form
und Inhalt. Der Mitbegründer der Dogma-Bewegung steht auf Regeln. In The Five Obstructions bringt er immer
wieder neue Regeln und Vorsätze anhand derer der Regisseur Jørgen Leth seinen eigenen Kurzfilm Der perfekte Mensch neu drehen muss. Die
Ergebnisse scheinen mit jedem Versuch besser zu werden, es zeigt sich, dass
Kreativität aus Not entsteht. Mit den Dogma Regeln hat sich Von Trier selbst
solchen Regeln unterzogen. Sein Film Idioten
ist bis heute der einzige Dogma-Film, den er selbst gedreht hat. (und auch
da gibt es Diskussionen, inwiefern von Trier seine eigenen Regeln gar nicht
einhält…)
Breaking the Waves |
Neben seiner öffentlich ausgestellten Depression, die verdächtig
häufig marketingtechnisch verwendet wird und seinen skandalösen Äußerungen auf
diversen Pressekonferenzen, ecken auch die Filme selbst beim Publikum an. Antichrist zertrümmerte in Großaufnahme Geschlechtsteile
und zeigte Sex im Grenzbereich der Pornographie; in ihrer Konsequenz sind seine
Filme fast nicht zu ertragen und führen oft zu lauter Ablehnung bei
Filmfestivals. Viele halten diese Provokation für zu gewollt und beschäftigen
sich deshalb nicht länger mit den Filmen. Anhand des Sinns der „provokativen“
Szenen lässt sich oft die Qualität eines Lars von Trier-Film feststellen:
Wirken sie gewollt oder fehplatziert, dann fehlt dem ganzen Film oft der Kern,
wirken sie konsequent und logisch, dann ist es die Qualität an Film, die nur
wenige Regisseure zu machen in der Lage sind und waren. Was macht ihn also aus,
diesen dänischen Filmemacher? Bedenkt man die Schwierigkeit seiner Stoffe, die
Provokationen und zum Teil fordernde visuelle Darstellung ist der hohe Grad
seines Erfolges durchaus überraschend. Ich behaupte der Erfolg von Lars von
Trier baut sich aus vier Punkten auf:
Der Autor
Lars von Trier schreibt Geschichten,
die trotz ihrer Überstilisierung und ihrem Hang zum kompletten Pessimismus
einen Spiegel ins wahre Leben bereithalten. Die Einsamkeit, der Wille zu
Überleben und die Neurosen seiner Charaktere sind derart stark ausgeprägt und
motiviert, dass man ihm am liebsten alles glauben möchte, was er schreibt. Oft
motiviert er Charaktere ganz einfach, zum Beispiel Charakter A braucht dringend
Geld, Charakter B ist auf Charakter A angewiesen und verrät ihm, dass er in
einer Dose viel Geld aufbewahrt. Jetzt blicken wir in die Augen von Charakter
A. Von Trier hat filmische Dramaturgie komplett verstanden und deshalb fordert
er sie auch heraus. Er ist einer der wenigen Autoren, die sich ganz bewusst
jenseits der Grauzonen aufhalten ohne dabei Kontakt zur Realität zu verlieren.
Außerdem bringt er immer wieder schwarzen Humor und Gefühl in seine Filme.
Die
Konsequenz
am Set von Antichrist |
Unerbittlich verfolgt er seine Ideen,
sowohl im Prozess, als auch im fertigen Produkt. Ein Charakter mit einer
unheilbaren Krankheit wird nicht geheilt werden, ein Schuss auf den Körper
führt zum Tod, ein im Herzen schlechter Mensch wird sich nicht bessern können,
selbst wenn er möchte. Diese Hoffnungslosigkeit spiegelt eine Weltanschauung
wieder, die von vielen als realistisch, von vielen aber auch als pessimistisch
bezeichnet wird. Hinter dieser Grausamkeit versteckt sich eine Zerstörungswut,
die immer wieder aufblitzt und häufig einen lauten Schlusspunkt an das Ende
seiner Filme setzt. Diese Schlusspunkte haben etwas „unfilmisches“ an sich;
hier ist ein Filmemacher, der sich zwar dem Film verschrieben hat und sich
unheimlich gut in Geschichte und Theorie des Films auskennt, aber die
vorgegebenen Muster in Frage stellt. Und zwar derart, dass er fast immer etwas Neues
zu finden scheint.
Die
Form
Dogville |
Dabei hilft ihm auch die Form.
Verfremdung und Unterbrechung werden von Lars von Trier frei nach Bertold
Brecht eingesetzt. Plötzliche Muscialpassagen in einem Sozialdrama,
Kapitelkarten, eine Erzählstimme, die den Inhalt verrät bevor er sich abspielt
und natürlich die Bühnenproben-Inszenierung ohne tatsächliches Szenenbild in Dogville und Manderlay. Lars von Trier denkt über Filme nach und beweist, dass
man nicht immer den gleichen Formen gehorchen muss, um ein emotional und
rational funktionierendes Ergebnis zu bekommen. Er findet Wege und Lösungen und
kann sich dabei immer auf seine Stärken als Autor und in der Schauspielführung
verlassen. Inzwischen hat er einen Status, der ihm fast alles erlaubt. Schauspielerinnen
kommen, um mit ihm arbeiten zu können. Oft hassen sie es danach, aber es ist
ein Erlebnis.
Das
Marketing
Dabei hat er einen Mythos um sich
selbst aufgebaut; vom besten Filmemacher der Welt bis zum Nazi, vom Mann, der schon
mal wütend das Set verlässt und den ganzen Tag nicht zurückkommt zum zutiefst depressiven
ewigen Kind, dass vor lauter Reiseangst nicht nach Cannes fahren will. Er nimmt
definitiv kein Blatt vor den Mund. Je mehr man von ihm liest und sieht, desto
mehr muss man sich fragen: Wer ist dieser Mann? Das macht ihn interessant, er
hat einen elitären Künstlerhauch um sich aufgebaut, der ihm anhaftet und jedes
seiner Werke zu einem Event macht; Von Trier hält ein cineastisches Gefühl am
Leben, dass bei vielen einst tollen Regisseuren irgendwo in den nagelneuen Kunststoffstühlen
der Megakinos verlorengegangen ist.
Sein nächster Film heißt The Nymphomaniac und es geht um eine
Frau, die ihre erotischen Fantasien entdeckt. Es soll eine Hardcore- und eine
Softcore-Version geben. Shia LaBeouf, der neben Nicole Kidman eine der
Hauptrollen spielt, hat vor kurzem ausgesagt, dass alle Sexszenen im Film echt
seien. Wo kann man im Kino noch weiter gehen? Wo kann man noch neue Formen
finden? Wo geht man zu weit? Lars von Trier ist einer der wichtigsten Künstler
unserer Zeit.
Epidemic |
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