Film und Freiheit. An sich stehen sich diese zwei Begriffe sehr nahe. Film kann politische Freiheit propagieren, ist eine künstlerische
Ausdrucksmöglichkeit, in der fast alles erlaubt ist. Filmemacher leben oft ein
freiheitsverbundenes Leben mit allen Vor- und Nachteilen. Film kann einem auch
das Gefühl von Freiheit geben von der scheinbaren Willkür der Bewegungen und
Gesten James Deans in den 50er Jahren bis zu beeindruckenden cineastischen
Momenten des modernen Kinos, zum Beispiel in Un prophete von Jacques Audiard, in dem der Protagonist nach langer
Zeit das Gefängnis verlassen darf und im Morgengrauen vor den Gittern steht und
man die Luft förmlich einatmen kann. Oder in Fish Tank von Andrea Arnold, wenn die junge Protagonistin bei einem
Ausflug mit der Familie aufs Land das Fenster im Auto herunterlässt und man den
Windstoß fast im eigenen Gesicht spürt.
Das Gefühl von Freiheit in Fish Tank |
Leider sieht die Realität des Filmemachens oft gänzlich
anders aus und Idealisten (und das sind wir fast alle) haben schnell zu kämpfen
an den hunderten Rattenschwänzen und Einschränkungen, die jede Entscheidung mit
sich trägt. Professionelles Filmemachen ist Teamarbeit, oft bis zum Grade von
Fabrikarbeit. Räder müssen ineinander greifen, man muss kommunizieren und
verkaufen können und es bleibt oft die Frage: Wo ist die Kunst? Warum genau
wollte ich eigentlich Filme machen? Daraus kann auch große Freude und auch
Kreativität entstehen, aber der Gedanke an Freiheit beim Filmemachen erstickt
sowohl in der Unmenschlichkeit der technischen Aspekte, als auch in der
Menschlichkeit der Teammitglieder. Dazu gehört auch die Frage nach der
Hierarchie am Set. Je größer ein Team ist, desto mehr eigentlich unzufriedene
Leute gibt es. Man steht vor einer Situation ähnlich dem Trainer von Bayern
München, der alle Spieler bei Laune halten muss. Auch hier geht Freiheit
verloren. Oft vergisst man die Freude, die die Arbeit um und mit Film bringen
kann; auf der Jagd nach der bestmöglichen Qualität siegt oft die Qual über den
Rausch. Natürlich hat diese, nennen wir sie herkömmliche Art des Filmemachens
viele Vorteile, die sie rechtfertigen und erfolgsbringend machen. Zudem gibt es
hunderte individuelle Ansätze, die alle auf ihre Art sehr kreativ sein können.
Die Frage muss auch immer sein: Was für einen Film mache ich und wen will ich
damit erreichen? Ein Dilemma ist oft, dass sich formale Präzision und
Lebendigkeit im Weg stehen. Nicht zuletzt deshalb werden Filme etwa von Michael
Haneke als unterkühlt bezeichnet. Deutsche Filme haben oft mit diesen
Vorurteilen zu kämpfen. Allerdings liegt das nicht immer an der Art wie diese
Filme gemacht werden, sondern auch an ihrer Thematik.
Unterkühlt? Haneke's Caché |
Nicolas Ehret studiert seit einem Jahr an der Filmakademie in
Ludwigsburg im Studiengang Film und Medien mit Schwerpunkt Regie. Auch er kennt
dieses Gefühl. Er schätzt zwar die Möglichkeit Filme nach professionellen
Normen zu machen, aber auch er meint, dass man oft vergisst, wie schön,
bereichernd und aufregend Filmemachen eigentlich ist. Deshalb hat er sich in
den Semesterferien mit einer kleinen Gruppe befreundeter Filmschaffender
zusammengetan, um ein kleines filmisches Experiment zu wagen; weniger auf
inhaltlicher Basis ein Experiment, als in der Art und Weise, wie man zum
Ergebnis kommen möchte. Nicolas sieht die angestrebte Machart des Films als
Gegenpol zum Filmemachen, wie er es bislang angegangen ist. Er hinterfragt sich
selbst und vorgegebene Normen. Nicht weil er diese prinzipiell in Frage stellt,
sondern weil er sich wieder auf seine eigentliche Motivation besinnen will und
andere Möglichkeiten des Geschichtenerzählens erforschen möchte. Dabei legt er
ganz besonders großen Wert darauf, dass es kein „dem Regisseur Hinterherrennen“
ist, wie bei vielen anderen Filmen. Dieser Film soll tatsächlich im Team
entstehen. Aber wie vollzieht sich das?
Nicolas Ehret |
Der Name des Filmprojektes ist Hit the Road Gunnar. Dabei handelt es sich storytechnisch um einen
ganz gewöhnlichen Drifter-Film. Gunnar, ein klassischer Ja-Sager und Mitläufer
lebt sein ganzes Leben in einem Kaff in Deutschland und entschließt sich eines
Tages etwas zu unternehmen. Er will zum Angeln nach Italien fahren. Auf dem Weg
dorthin trifft er auf Zoe. Sie will viel lieber nach Schweden fahren. Durch
einige (un)glückliche Zufälle verschlägt es Gunnar zusammen mit Zoe in Richtung
Schweden. Eine perfekte Ausgangsposition für Selbstfindung, Beziehung und
Landschaft, die drei Zutaten eines jeden Roadmovies. Nicolas möchte eine ca.
einstündige, leichte Geschichte erzählen, die Freude vermittelt, aber auch
ernste und philosophische Fragen behandelt. Inspiriert ist das Ganze von einer
eigenen Reise durch Neuseeland, die Nicolas zwischen seinem Abitur und der
Filmschule unternommen hatte und die ihn sehr beeinflusst und verändert hat.
Dennoch war die Antriebskraft dafür, dass der Film nun auch umgesetzt wird
seine befreundeten Mitstreiter, die „es
diesen Sommer einfach wissen wollten.“ Auf der Homepage steht groß: „Basierend
auf der Freude am Leben.“ Bis hierhin
kann man nichts Besonderes erkennen an dem Projekt, das sich inhaltlich
irgendwo nicht weit von Im Juli von
Fatih Akin bewegt, der Hund liegt
aber-wie bereits angekündigt-in der Machart begraben:
Mit Regie, Regieassistenz, 2 Kameramännern (gedreht wird auf
den allseits beliebten Canon 5D und 7D), einem Tonmann und 2 Schauspielern
macht sich das kleine Team (insgesamt 7 Leute) Anfang September auf den Weg von
Berlin nach Schweden. Locations hat man noch nicht gefunden, geschweige denn
gesucht, man wird einfach drauflos fahren und wenn man einen schönen oder passenden
Ort findet die Szene dort filmen. Das Drehbuch ist darauf ausgerichtet. Außer
einer Tankstelle und einem Museum benötigt man keine Drehorte, die einer
größeren Organisation bedürften. Das Team verbindet sozusagen einen Road Trip
mit dem Erstellen eines Films. „Vielleicht finden wir in Schweden eine
wahnsinnig schräge Frau an einer Tankstelle und überreden sie mitzumachen.“,
mit diesem Ansatz wird das Projekt Hit
the Road Gunnar angegangen. Einzig an der Fähre nach Göteborg wird man
terminlich hängen, für alles andere hat man sich zwei Wochen Zeit gegeben. Eine
richtige Auflösung gibt es auch nicht. Wie auch? Nicolas und seine Crew werden
sich von den Orten inspirieren lassen: Ein Team auf der Suche nach der Freiheit
des Filmemachens. Ein tatsächlicher Urlaub wird dabei wohl kaum herauskommen,
aber ein Abenteuer. Für Nicolas ist es auch ein bewusstes Loslassen von seiner
normalen Arbeitsweise. Statt alles vorher bis ins letzte Detail durchzuplanen
und dadurch ein oft (hier scheiden sich die Geister) artifizielles und steriles
Ergebnis zu bekommen, will er die Freiheit der Produktion auch im Ergebnis
spüren. Man möchte sich auf dem Gebiet der Improvisation ausprobieren und
einen, dem Dokumentarfilm näheren Stil wagen. Man will sich leiten lassen von
spontanen Situationen, Wetterlagen und Lichtstimmungen. Reisen bedeutet für
Nicolas auch immer Überraschungen. Dieses Gefühl soll der Film dem Rezipienten
vermitteln. Dabei ist vor allem interessant, dass der Weg in diesem Fall das
Ziel ist. „Es geht uns in erster Linie darum diesen Film so zu machen. Das
Ergebnis ist zweitrangig, obwohl es natürlich schon super wäre, wenn ein toller
Film dabei herauskommt.“ Spricht man mit Nicolas, glaubt man ihm dass das auch
möglich ist. Auch die klassischen hierarchischen Formen eines Filmsets sind bei
Hit the Road Gunnar zur Irrelevanz
verdonnert. Schon die Idee ist gemeinsam mit Kameramann Chris Hirschhäuser und
Schauspieler Julien Lickert entstanden. Das gemeinsame Finden des Films während
des Drehs steht im Zentrum. Ein Ansatz, der bei Mike Leigh im Probenprozess
stattfindet (mit beeindruckendem Erfolg) und auch an Hans Weingartner erinnert. Dieses
Konzept funktioniert nur, wenn ein tiefes Vertrauen zwischen den Beteiligten
herrscht. Da sich der Großteil des Teams schon länger und gut kennt, gibt es viel Potenzial für Kreativität und Reibungspunkte, Harmonie und Kraft.
In Schweden lauern Überraschungen... |
Das spannende an diesem Projekt ist auch die Frage nach der
Professionalität. Wie wird das Ergebnis ausfallen? Ein Film, der mit sieben
Leuten in der Wildnis gedreht wird, kann eigentlich keinem so genannten
professionellen Dreh das Wasser reichen. Ich sage: Doch, das wird er können.
Hier arbeiten Idealisten und vielleicht klappt die ein oder andere Sache nicht
optimal, vielleicht gibt es Schwierigkeiten mit dem Licht und der Sauberkeit
von Bild und Ton, aber das alles steht im Tausch mit einer Direktheit und
Persönlichkeit, die einem Großteil vieler bemühter Studentenfilme abgeht. Statt
einer formalen Übung probiert sich Nicolas an einer Form von Film und Freiheit.
Man mag streiten, dass im Endeffekt jeder beliebige Urlauber eine Kamera
mitnehmen könnte und etwas Derartiges schaffen könnte. Das mag stimmen, aber in
diesem Film steht das Filmemachen über den Urlaub und professionelle
Filmschaffende bzw. Filmschaffende auf dem Weg zur Professionalität arbeiten an
den Bildern. In einer Zeit, in der sich jeder Amateur ganz schnell zum
„Filmemacher“ aufschwingen kann, indem er ein bisschen in die Tasche greift,
sich illegal ein Schnittprogramm kauft und irgend ein Buch über Filmemachen,
wird es spannend sein zu beobachten, wie sich ein Film von professionellen
Leuten, die unter ähnlichen Bedingungen (natürlich mit legalen Schnittprogrammen.) arbeiten, wie der Heimfilmer, davon
unterscheidet. Natürlich kommt einem da auch Dogma95 in den Kopf. Der Look von
sagen wir Das Fest von Thomas
Vinterberg oder Open Hearts von
Susanne Bier wird hochgradig amateurhaft. Allerdings ist dies gewollt und
keiner, der sich ernsthaft mit den Filmen auseinandersetzt, würde sie als
amateurhaft bezeichnen. Das liegt daran, dass sie darauf ausgelegt sind und
dass sie die Restriktion in der Form als Katalysator für Kreativität benutzt
haben. Diese schludrig wirkende digitale-Handkamera-Low-Light-Art des
Filmemachens erlaubt eine größere Freiheit. Ähnlich also wie bei Hit the Road Gunnar. Der Erfolg des
Projektes wird zu einem Großteil davon abhängen, inwiefern man konsequent
diesen Weg des Loslassens gehen kann, ohne dabei die angesprochene
Unmenschlichkeit der Technik und Menschlichkeit des Teams zu belasten.
Eigentlich ist die Technik aber kein Hindernis, sondern sie ermöglicht diese
Art des Filmemachens heute. Wenn John Ford seine Kameramänner fünfzig Kilo
schwere Kameras bei 50 Grad durch die Wüste hat tragen lassen, dann lebt man
heute im Luxus in der Welt des On-Location Shootings. Auch Wong Kar-Wai hat
seinen erfolgreichen Film Chungking
Express auf eine sehr spontane Art und Weise gedreht. Auch er hatte Lust
einfach seine Kreativität auf einen Stoff loszulassen. Zuvor hatte er den
formal hoch anspruchsvollen In the mood
for love gedreht.
Chungking Express |
Mit einem aus privaten Mitteln gesponserten Budget von 5000
Euro bewegt man sich an der unteren Grenze des machbaren für einen zweiwöchigen
Dreh samt Reise. (oder ist es eine Reise samt Dreh aus finanzieller Sicht?)
Schweden bietet sich neben der landschaftlichen Relevanz auch aus
Produktionssicht an. Das dort gültige „Jedermannsrecht“ besagt, dass die
Wildnis jedem zur Verfügung stehen muss. Das Team hat tatsächlich vor die Nacht
zu einem Großteil mit Wildcampen zu Verbinden. Dieses an Werner Herzog
erinnernde Back-to-the Roots Filmemachen ist eben noch lange nicht tot und es
ist Zeit, dass sich junge Filmemacher wieder derart fordern, statt in der
Wohlfühlzone diverser Filmschulen und Filmsets zu arbeiten, mit mehr oder
weniger leckeren Semmeln zum Frühstück und genervten Aussagen über die fehlende
Qualität des Mittagessens. (Nicht falsch verstehen, diese Dinge sind wichtig
und richtig, aber dabei herrscht leider oft ein sarkastischer
Professionalismus, statt ein ideelles Träumen und Erreichen von Zielen.)
Filmemachen muss nicht immer die Kunst sein, die in der Produktion am weitesten
entfernt vom Ergebnis ist. Es gibt Wege sich der Direktheit des Schreibens,
Malens oder Musikmachens anzunähern. Es geht nicht darum, dass diese Art des
Filmemachens besser ist, sondern darum, dass diese Art des Filmemachens auch
existiert und man sich in jungen Jahren daran versuchen sollte.
Die Form soll sich auch im Inhalt wiederspiegeln. „ Es geht
um das Verlieren von Gewohnheiten, es geht um das Loslassen, die Reise ist
dafür der Katalysator.“ Mit Odine Johne
und Julien Eduard Lickert hat Nicolas zwei sehr talentierte Schauspieler
gefunden, die sich dieser besonderen Herausforderung gerne stellen. Er freut
sich unheimlich mit den beiden arbeiten zu können. Man darf gespannt sein wie
sich diese Arbeit gestaltet, wie viel Zeit bleibt für die „gewöhnliche“ Arbeit
mit Schauspielern, inwiefern sich die Rolle der Schauspieler unterscheidet von
anderen Produktionen. Inhaltlich bereitet Nicolas den Film mit der gleichen Akribie
vor wie andere Projekte auch. Er kennt die Motivationen seiner Charaktere, er
hat etwas zu erzählen. Filme sind oft wie Jack, der coole
Durchschnittsamerikaner. Nicolas versucht einen Film zu machen, der wie Gunnar
ist. Auf den ersten Blick fehlt ihm etwas, aber im Herzen ist er viel echter
als Jack. Cause I’ll be back on my feet someday.
Julien Eduard Lickert |
Odine Johne |
In einigen Wochen wird uns Nicolas dann vom Dreh berichten.
Was ging schief? Welche Überraschungen gab es? Inwiefern möchte er diesen Weg
des Filmemachens weiterverfolgen? Wenn es klappt, wird es ein Drehtagebuch
geben, auf jeden Fall wird es ein Interview geben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen