In einem Freiluftkino „Le boucher“ von Claude Chabrol
gesehen. Chabrol zeichnet das Bild einer Frau, die von einem Mann umgarnt wird.
Sie spielt mit ihm. Oder spielt er mit ihr, denn als eine Serie von Morden die
französische Kleinstadt in Atem hält, gibt es für die Frau-und den
Zuseher-plötzlich handfeste Beweise, dass der Mann, der sein Geld als Metzger
verdient, (u.a. deshalb der Titel) der Mörder ist.
Das klingt sehr nach Hitchcock und Hitchcock ist es ja
bekanntermaßen vor dem sich Chabrol in fast jeder Einstellung zu verneigen
scheint. Dennoch bewahrt er sich eine eigene Sprache, einen eigenen Rhythmus.
Zu Beginn des Films ist eine Hochzeit in vollem Gange. Sitzt man in einem
Freiluftkino, in dem die Grillen zirpen und einem ein leiser Wind um die Nase
weht, hat man fast das Gefühl selbst auf dieser Hochzeit zu sein. Chabrol lässt
hier vieles geschehen ohne es groß zu werten. Er beobachtet eine Gesellschaft,
die freundlich ist, die fehlerbehaftet ist: Ein typisches Dorf und ein
fröhliches Fest. Im Zentrum seiner Geschichte stehen die Frau, gespielt von der
Muse Chabrols Stéphane Audran, in ihrer vielleicht eindrucksvollsten Rolle,
weil sie einen Balanceakt aus Verletzlichkeit und Charme, aus Hingabe und
Distanzierung vollzieht,, und der Metzger, Le Boucher eben, ein auf eine
merkwürdige Art sympathischer Mann, der Humor hat und immerzu vom Krieg erzählt
und wie schlecht es ihm doch ergangen ist, gespielt von Jean Yanne.
Die ersten 20 Minuten sind die besten des Filmes; erst die
Eröffnung, die sich aufgrund ihrer Etablierung einer Gesellschaft und
Beschränkung auf das Beobachten mit der Hochzeitssequenz aus „The Godfather“
von Francis Ford Coppola oder der Hochzeitssequenz in „The Deer Hunter“ von
Michael Cimino vergleichen lässt. Vielleicht mag ihr das epische Feeling
fehlen, das die beiden genannten Filme ausmacht, aber sie hat denselben Zweck
und lässt einen zu einem Teil des Dorfes werden; Freiluftkino ist auch immer
noch ein soziales Erlebnis. Man sitzt zusammen, wie die Besucher einer
Hochzeit, immer wieder zünden sich Zuseher eine Zigarette an. Kino-Feeling. Am
nächsten Morgen begleitet der Metzger die junge Frau-sie ist
Grundschullehrerin-direkt in die Schule. In einer wundervollen Plansequenz
gehen sie durch den Ort. Die Farben der Häuser, die Blicke der Bewohner. Der
friedlichste Augenblick des Films, ein Moment mit dem man sich verliebt.
Chabrol hat Mut zur Farbigkeit. Gelb, Braun, Orange, Grün, Rot. Ähnlich wie in Agnès
Vardas „Le bonheur“ ist die Natur hier kräftig und stark. Und trotzdem ist
dieser Frieden tückisch.
Steht die Dauer der Plansequenz, das bloße Beschränken auf
die Mise-en-scène noch für den Frieden, lässt Chabrol in einer späteren Sequenz
die Montage sprechen; Kinder spielen im Pausenhof, aber die Musik verkündet
Unheil. Plötzlich SCHNITT. Ein paar Polizisten sind zu sehen…SCHNITT die Kinder
spielen in Frieden. SCHNITT zu den Polizisten, ein Mord ist Geschehen. Jeder
Schnitt trifft hier auf den Frieden der Kleinstadt wie ein Messerstich. Und
dann bringt Chabrol Mise-en-scène und Montage zusammen, die Polizisten gehen,
von den Kindern unbemerkt, im Hintergrund am Pausenhof vorbei; ein Kind erzählt
der Lehrerin vom Mord. Der Frieden ist vorbei.
Chabrol begeht einen Fehler. Er beginnt den Film nicht
lediglich als Charakterportrait, sondern auch als Portrait seiner Gesellschaft.
Doch die Gesellschaft interessiert ihn in der Mitte des Filmes nicht mehr. Sie
scheint kaum mehr zu existieren. So macht es den Kindern scheinbar nichts aus, dass
sie einen Tag zuvor eine blutige Leiche gesehen haben; mehr noch werden Kinder nachts
unbeaufsichtigt durch den Wald geschickt. Dies ist nicht etwa einer gezeigten
Unaufmerksamkeit der Eltern geschuldet, sondern es scheint Chabrol einfach
nicht mehr zu interessieren. Er verfängt sich in dem für ihn bedeutenderen
Thema: Die Liebe unter Verdacht. Visuell findet er immer die richtigen Bilder.
Dabei scheint er mühelos zwischen ruhiger Charakterbeobachtung und stilisierten
Thriller-Bildern wechseln zu können. Nicht immer besteht der Film den Test der
Zeit, aber zumeist.
Nouvelle-Vague Filme und Freiluftkino passt zusammen. Man
spürt die Energie und Kraft der Filme. Eine alte Frau kommt in den Metzgerladen
und bestellt etwas, sie weiß noch nicht so genau, was sie denn gerne möchte.
Das ganze Kino lacht; es liegt an der Direktheit und Ehrlichkeit dieser Frau,
die offensichtlich keine Schauspielerin ist, an der Direktheit und Offenheit
des Films, der ein Klassiker ist, aber trotzdem charmant ist; der ehrlich
daherkommt und dem man deshalb am liebsten alle Schwächen verzeihen möchte. Man
möchte Stunden danach über diesen Film reden, über ein Kino, das man ernst
nehmen kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen