Ausgehend von dieser tollen Zusammenstellung an Kommentaren
und Beobachtungen aus Sicht von Filmkritikern und Filmwissenschaftlern zum
schrecklichen Amoklauf während der The
Dark Knight Rises Premiere in Aurora, Colorado, möchte ich an dieser Stelle
versuchen einige Worte zu finden, die sich mit der Verletzlichkeit des Kinos
beschäftigen. Gleich vorweg möchte ich stellen, dass der Ort einer solchen
Katastrophe völlig unerheblich ist in meinen Augen. Es sollte nicht als mehr
oder weniger schlimm angesehen werden in Abhängigkeit vom Ort. Da es sich aber
um ein Kino handelte, ist es die Aufgabe, auch von Filmemachern und
Filmschreibenden sich damit auseinanderzusetzen.
In einem Statement nach Bekanntwerden der Tragödie hat sich
Christopher Nolan wie folgt geäußert:
„Die Vorstellung, dass jemand diesen
unschuldigen und hoffnungsfrohen Ort auf so unerträglich brutale Weise
verletzen kann, finde ich verheerend."
Das Kino ist ein unschuldiger Ort. Menschen, die im Kino
sitzen, sind im Moment des Kinobesuchs zu einem Großteil mehr oder weniger
passive Beobachter. Man geht ins Kino, um abzuschalten, um unterhalten zu
werden, um nachzudenken, um angeregt zu werden. Eigentlich ist es kaum möglich
einer anderen Person während des Kinobesuchs Schaden zuzufügen. Das Kino ist
ein Ort des Träumens, des Über-sein-eigenes-Leben-Hinausgreifens. Man setzt
sich in die Dunkelheit und lässt sich bereitwillig in andere Welten entführen,
selbst wenn man Verbindungen zum eigenen Leben herstellt. Einen derart
unschuldigen Ort auf so eine grausame Art mit der Realität zu verbinden, trifft
ins Mark. Es ist der Widerspruch zwischen der Romantik des Kinos, diesem Spiel
mit der Realität, auf das sich Menschen seit mehr als hundert Jahren einlassen
und der erbarmungslosen Grausamkeit einer solchen Tat, die zumindest mich (und
auch viele meiner Freunde) besonders verletzlich macht und sensibilisiert. Im
Kino ist man eigentlich gar nicht in der richtigen Welt. Selbst wenn ich schon
häufiger betont habe, dass Kino mehr sein kann und muss als Eskapismus, so
bleibt es doch eine Erweiterung oder Verengung der eigentlichen Wahrnehmung;
wie soll man jetzt damit umgehen, wenn dieser friedliche Ort derart missbraucht
wurde? Vielleicht ist es auch der klaustrophobische Aspekt, der das Kino so
besonders verletzlich macht. Die Dunkelheit, die Enge. Oft gibt es nur einen
Ausgang. Es ist fast zu brutal sich vorstellen zu müssen, was die Menschen im
Kino an diesem Abend durchleben mussten.
Das Kino ist ein hoffnungsfroher Ort. Natürlich wird jetzt
wieder diskutiert werden. Insbesondere, da sich der verhaftete Täter James
Holmes anscheinend selbst mit dem Joker verglichen hatte. Regen Filme zu Gewalt
an, sind die Filme Schuld, ist sogar Nolans Batman-Trilogie Schuld, die
besonders düster daherkommt und ihren Bösewichtern oft einen Großteil der
Sympathie schenkt? Dazu kann man eigentlich nicht mehr sagen, als: Absoluter
Quatsch. Natürlich lösen Filme Emotionen aus und können einem Verhalten in
bestimmten Lebenssituationen vorspielen; sie können zu einer großen
Identifikation führen und manchmal ästhetisieren oder verherrlichen sie gar
Gewalt. Aber das führt nicht zu einer solchen Tat. Nolans Batman-Filme mögen
düster daherkommen, aber sie verherrlichen nicht Gewalt, sie appellieren sogar
wiederholt an das „Gute“ im Menschen. Das Kino ist ein hoffnungsfroher Ort. Oft
bewirken selbst Filme mit einem negativen Weltbild eine geistige Erhöhung, die
so etwas wie Freude auslösen kann. Man erkennt dann Dinge aus dem echten Leben
und sieht vieles mit anderen Augen, sobald man den Kinosaal verlassen hat und
die alte Welt betreten hat. Die Frage
bleibt, ob es Holmes darum ging möglichst viele Leute möglichst einfach zu
erschießen und er dafür ein Kino aufgesucht hat oder ob es ihm um die mediale
Aufmerksamkeit, die mit dem Start von The
Dark Knight Rises verbunden war, ging. Mühselig darüber zu diskutieren. Die
nächsten Tage und Wochen werden hoffentlich etwas beitragen können zur Motivklärung
und eigentlich ist es unerheblich.
Sofort kommen einem auch eventuelle Filmvorbilder in den
Kopf. Von Quentin Tarantinos Kino-Attentat in Inglorious Basterds zu dem
Scharfschützen in Targets von Peter
Bogdanovich, der von der Spitze einer Kinoleinwand aus auf Menschen in einem
Autokino schießt. All diese Szenen werden in einem neuen Kontext gestellt
werden, aber wenn man diesem Drang folgt, ist das verheerend. Dann setzt man
die Realität und die Filme in einer Art und Weise gleich, die dem Amoklauf
selbst gleicht. Verheerend ist auch, dass der neue Batman-Film immer im
Schatten dieser Tragödie stehen wird. Aber das ist unvermeidbar. Das Kino ist
auch deshalb so verletzlich, weil es wiederholbar ist. Der Film läuft immer
gleich ab. Wenn wir in Deutschland diese Woche ins Kino gehen und uns den Film
ansehen werden wir dieselben Bilder sehen, dieselben Töne hören, vielleicht
sogar ein ähnliches Gefühl haben, wie die Zuseher in Aurora zu Beginn des
Films. Es wirkt so unwichtig das Hervorzuheben, aber es ist Teil dieser
Tragödie und Bestandteil des kulturellen Schocks, den sich die Filmlandschaft
jetzt gegenübergestellt sieht. Was man machen kann und meiner Meinung nach auch
machen sollte, ist es den Film von dieser Tat (so gut es geht) zu trennen. Es
war kein Angriff des Kinos, es war der Angriff eines grausamen Menschen. Der
Ort, den er sich dafür ausgesucht hat, ist hoffnungsfroh und unschuldig.
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