Montag, 23. Juli 2012

Amoklauf in Colorado



Ausgehend von dieser tollen Zusammenstellung an Kommentaren und Beobachtungen aus Sicht von Filmkritikern und Filmwissenschaftlern zum schrecklichen Amoklauf während der The Dark Knight Rises Premiere in Aurora, Colorado, möchte ich an dieser Stelle versuchen einige Worte zu finden, die sich mit der Verletzlichkeit des Kinos beschäftigen. Gleich vorweg möchte ich stellen, dass der Ort einer solchen Katastrophe völlig unerheblich ist in meinen Augen. Es sollte nicht als mehr oder weniger schlimm angesehen werden in Abhängigkeit vom Ort. Da es sich aber um ein Kino handelte, ist es die Aufgabe, auch von Filmemachern und Filmschreibenden sich damit auseinanderzusetzen.

In einem Statement nach Bekanntwerden der Tragödie hat sich Christopher Nolan wie folgt geäußert:  
„Die Vorstellung, dass jemand diesen unschuldigen und hoffnungsfrohen Ort auf so unerträglich brutale Weise verletzen kann, finde ich verheerend." 



Das Kino ist ein unschuldiger Ort. Menschen, die im Kino sitzen, sind im Moment des Kinobesuchs zu einem Großteil mehr oder weniger passive Beobachter. Man geht ins Kino, um abzuschalten, um unterhalten zu werden, um nachzudenken, um angeregt zu werden. Eigentlich ist es kaum möglich einer anderen Person während des Kinobesuchs Schaden zuzufügen. Das Kino ist ein Ort des Träumens, des Über-sein-eigenes-Leben-Hinausgreifens. Man setzt sich in die Dunkelheit und lässt sich bereitwillig in andere Welten entführen, selbst wenn man Verbindungen zum eigenen Leben herstellt. Einen derart unschuldigen Ort auf so eine grausame Art mit der Realität zu verbinden, trifft ins Mark. Es ist der Widerspruch zwischen der Romantik des Kinos, diesem Spiel mit der Realität, auf das sich Menschen seit mehr als hundert Jahren einlassen und der erbarmungslosen Grausamkeit einer solchen Tat, die zumindest mich (und auch viele meiner Freunde) besonders verletzlich macht und sensibilisiert. Im Kino ist man eigentlich gar nicht in der richtigen Welt. Selbst wenn ich schon häufiger betont habe, dass Kino mehr sein kann und muss als Eskapismus, so bleibt es doch eine Erweiterung oder Verengung der eigentlichen Wahrnehmung; wie soll man jetzt damit umgehen, wenn dieser friedliche Ort derart missbraucht wurde? Vielleicht ist es auch der klaustrophobische Aspekt, der das Kino so besonders verletzlich macht. Die Dunkelheit, die Enge. Oft gibt es nur einen Ausgang. Es ist fast zu brutal sich vorstellen zu müssen, was die Menschen im Kino an diesem Abend durchleben mussten.

Das Kino ist ein hoffnungsfroher Ort. Natürlich wird jetzt wieder diskutiert werden. Insbesondere, da sich der verhaftete Täter James Holmes anscheinend selbst mit dem Joker verglichen hatte. Regen Filme zu Gewalt an, sind die Filme Schuld, ist sogar Nolans Batman-Trilogie Schuld, die besonders düster daherkommt und ihren Bösewichtern oft einen Großteil der Sympathie schenkt? Dazu kann man eigentlich nicht mehr sagen, als: Absoluter Quatsch. Natürlich lösen Filme Emotionen aus und können einem Verhalten in bestimmten Lebenssituationen vorspielen; sie können zu einer großen Identifikation führen und manchmal ästhetisieren oder verherrlichen sie gar Gewalt. Aber das führt nicht zu einer solchen Tat. Nolans Batman-Filme mögen düster daherkommen, aber sie verherrlichen nicht Gewalt, sie appellieren sogar wiederholt an das „Gute“ im Menschen. Das Kino ist ein hoffnungsfroher Ort. Oft bewirken selbst Filme mit einem negativen Weltbild eine geistige Erhöhung, die so etwas wie Freude auslösen kann. Man erkennt dann Dinge aus dem echten Leben und sieht vieles mit anderen Augen, sobald man den Kinosaal verlassen hat und die alte Welt betreten hat.  Die Frage bleibt, ob es Holmes darum ging möglichst viele Leute möglichst einfach zu erschießen und er dafür ein Kino aufgesucht hat oder ob es ihm um die mediale Aufmerksamkeit, die mit dem Start von The Dark Knight Rises verbunden war, ging. Mühselig darüber zu diskutieren. Die nächsten Tage und Wochen werden hoffentlich etwas beitragen können zur Motivklärung und eigentlich ist es unerheblich.

Sofort kommen einem auch eventuelle Filmvorbilder in den Kopf. Von Quentin Tarantinos Kino-Attentat in Inglorious Basterds  zu dem Scharfschützen in Targets von Peter Bogdanovich, der von der Spitze einer Kinoleinwand aus auf Menschen in einem Autokino schießt. All diese Szenen werden in einem neuen Kontext gestellt werden, aber wenn man diesem Drang folgt, ist das verheerend. Dann setzt man die Realität und die Filme in einer Art und Weise gleich, die dem Amoklauf selbst gleicht. Verheerend ist auch, dass der neue Batman-Film immer im Schatten dieser Tragödie stehen wird. Aber das ist unvermeidbar. Das Kino ist auch deshalb so verletzlich, weil es wiederholbar ist. Der Film läuft immer gleich ab. Wenn wir in Deutschland diese Woche ins Kino gehen und uns den Film ansehen werden wir dieselben Bilder sehen, dieselben Töne hören, vielleicht sogar ein ähnliches Gefühl haben, wie die Zuseher in Aurora zu Beginn des Films. Es wirkt so unwichtig das Hervorzuheben, aber es ist Teil dieser Tragödie und Bestandteil des kulturellen Schocks, den sich die Filmlandschaft jetzt gegenübergestellt sieht. Was man machen kann und meiner Meinung nach auch machen sollte, ist es den Film von dieser Tat (so gut es geht) zu trennen. Es war kein Angriff des Kinos, es war der Angriff eines grausamen Menschen. Der Ort, den er sich dafür ausgesucht hat, ist hoffnungsfroh und unschuldig.

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