Mit dem Casting von Oskar Schindler, der James Bond durch den Wilden Westen jagt, verrät sich der Film jedoch schon ein bisschen. Statt den konsequenten Weg zu gehen, den dieses Jagdspiel verspricht, diese wortlose, einsame Gefühl aufrecht zu erhalten, will der Film vor allem eines: Gefallen. Hierzu befolgt er in fast peinlicher Weise die alte Formel die Charaktere ausreichend zu motivieren. Dies geschieht bei "Seraphim Falls" über grauenvolle Flashback-Schnipsel, die sich irgendwann (wer hätte das gedacht) in einer melodramatischen, klischeehaften, alle Lücken füllenden Flashback-Sequenz auflösen. Dabei wird sehr genau darauf geachtet, dass die Charaktere auch schön in Graustufen gezeichnet werden. keiner ist hier gut oder böse, weil das in guten Filmen ja so sein muss. Natürlich ist der Flashback ein legitimes Mittel. Erstens ist er ein typisches Stilmittel des Western-Genres, erinnert sei nur an "Once upon a time in the West" (Quentin Tarantino spricht in seinem Drehbuch zu seinem nächsten Film "Django Unchained" vom "Spaghetti-Western-Flashback"), welches die Motivationen und insbesondere Rachegedanken für das Publikum nachvollziehbar macht und zweitens wird den Charaktern so eine bestimmte Tiefe gegeben und eine bestimmte Lebendigkeit, da sie eben schon länger existieren, als das, was wir als Zuseher als die Gegenwart wahrnehmen. Aber im Fall von "Seraphim Falls" bewirkt dieses Stilmittel (wie in vielen anderen Filmen auch ) nur ein Herausfallen aus der Gegenwart des Filmes, einem Film, bei dem man ganz für sich sein könnte, der Kino in Reinform sein könnte. Der Mensch gegen sich selbst, der Mensch gegen die Natur. Einsam und verlassen. Es ist ein Kampf gegen alle Elemente, das Western-Setting passt hier perfekt, weil es eben eine Zivilisationsferne erlaubt.
Warum fehlt diesem Film also der Mut den Zuschauer nur mit Häppchen zu füttern, ihn ein wenig mehr im Dunkeln sitzen zu lassen, wenn sich die Motivationen im Laufe des Filmes sowieso gegeneinander ausspielen? Flashbacks sind heutzutage in jedem Videospiel zu finden, sie sind eine fast schon klischeehafte Basis des Storytellings: Warum wird sie dann in anspruchsvollen Filmen, die doch intelligentes Geschichtenerzählen vorraussetzen sollten noch so missbraucht? (damit habe ich nicht gesagt, dass Videospiele kein intelligentes Storydesign haben können, vielmehr dient die Hintergrundstory in Videospielen einen anderen Zweck, sie ist nicht Hauptelement der Unterhaltung ) Der amerikanische Film ist hier Vorreiter und er beliefert den Zuseher mit Informationen, die ihn am Denken hindern. Besonders verherrend wirkt sich das im Film von David von Ancken aus, weil die Emotionalität und Melodramatik des Flashbacks wie ein Fremdkörper in der kalten Ödnis des Films liegt. Es geht hier auch um die Einfachheit des Flashbacks, denn man kann diese Hintergrundgeschichten auch in publikumswirksamen Filmen aus interessanten Perspektiven oder mit interessanten visuellen Spielereien erzählen. Erinnert sei zum Beispiel an Park Chan-Wooks "Oldboy", indem der Charakter selbst in die Gegenwart des Flashbacks tritt oder an Chirstopher Nolans "Memento", indem der Flashback Teil einer bestehenden Erinnerung ist, die wie eigentlich der ganze Film erstmal rekapituliert werden muss oder an "Stay" von Marc Forster, indem der Flashback zur Realität wird und die Realität zum Flashback.Eine weitere Möglichkeit ist es im Flashback nicht alles aufzulösen, wei das Michael Haneke in "Caché" zeigt oder den Flashback als Verknüpfung verschiedener Storyelemente zu verstehen, die schließlich in der Vermischung der Erinnerung des Protagonisten kulminiert, wie in Juna José Campanellas "El secreto de sus ojos". Ist die dramaturgische Funktion eines Flashbacks einmal über das bloße Erklären von Charakteren hinaus, ergibt sich die stilistische Umsetzung meist von selbst.
Ich würde sogar so weit gehen, dass das Erklären der Charaktere durch Flashbacks oder große Offenbarungs-Szenen (in denen unter Tränen gestanden und berichtet wird) ein typisches Merkmal des Mainstream-Kinos ist. "Seraphim Falls" kommt daher wie ein Arthouse-Film und deshalb tut es hier besonders weh. Gerade gegen Ende wird nochmal das Potenzial dieses Films deutlich, als es einige Jarmusch-artige metaphilosophische Begegnungen mit surrealen Charakteren in der Wüste gibt; insbesondere der Auftritt von Anjelica Huston sticht hier hervor. Dinge werden plötzlich wieder offen gelassen und der Film wird von seiner kleineren Welt auf das größere Universum gehoben. Es geht um den ewigen Kampf zwischen dem Teufel und Gott, um Moral und das Überleben. Würde man es gut meinen, dann könnte man sagen, dass sich "Seraphim Falls" irgendwo zwischen "Dead Man" von Jim Jarmusch, "Butch Cassidy and the Sundance Kid" von George Roy Hill, "First Blood" von Ted Kotcheff und "Greed" von Erich von Stroheim bewegt. Insbesondere letztgenannter wird in einem Mann gegen Mann Duell in der heißen Wüste praktisch direkt zitiert. Bezeichnend jedoch, dass der Film die Wucht seines Vorbildes aus dem jahr 1924 nicht annähernd erreichen kann. Ob das an den Schauspielern, dem Filmmaterial, dem CGI-Himmel im Hintergrund oder den grausamen Flashbacks liegt, ist jedem selbst überlassen. Jedenfalls würde ich gerne den selben Film ohne Hintergrundgeschichte sehen. Denn wenn man Lust auf einen trockenen Kuchen hat, dann will man auch keine Sahne darauf haben.
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