Samstag, 5. Mai 2012

Reihenfolge

Habe mir im Kino das oscarnominierte Drama "Monsieur Lazhar" angesehen. Der Film besticht durch eine ruhige, einfühlsame Erzählweise und einen tollen Hauptdarsteller. Wieder einmal ist es auch gelungen aus Kindern erstaunliche Leistungen hervorzubringen. Verglichen mit "Entre les murs" von Laurent Cantent geht mir ab und an die Konsequenz ab; allerdings ist dieser Vergleich auch etwas holprig, da letztgenannter Film viel weniger will. Denn am augenfälligsten ist der Unterschied zwischen beiden Filmen in der Person des Lehrers. In "Monsieur Lazhar" trägt er den Film und hat eine tiefe Hintergrundgeschichte, die sich auf geniale Weise mit der Geschichte innerhalb der Schule vermischt, während in "Entre les murs" durch die Geschehnisse innerhalb der Schule ein schleierhafter Blick auf die Person des Lehrers gewagt wird. So fühlt sich Cantents Interpretation eines Schuljahres am Ende des Films tatsächlich so an, wie das Ende eines Schuljahres. Man ist leer, glücklich und melancholisch. Im kanadischen Film, um Herrn Lazhar von Philippe Falardeau fühlt sich das Ende jedoch so an, wie das Ende eines Filmes. Und zwar mit einer emotionalen Wucht, die großen Filmen gerecht wird.



Interessant ist wie diese Wucht zu Stande kommt. Die letzten 15 Minuten des Films lassen sich grob in vier Abschnitte unterteilen:

1. Die Offenlegung der Gefühle durch die Kinder (hierbei sprechen sie offen über den Selbstmord; emotional, traurig, unaufgelöst)

2. Die Harmonie (der Film holt Luft, eine Mutter bedankt sich bei Lazhar, die Kinder kommen wieder zusammen)

3. Die Katastrophe (Lazhar wird rausgeschmissen)

4. Die Offenlegung der Gefühle durch Lazhar (er teilt seine wahren Gefühle durch eine Fabel mit; dabei versteht ihn wohl nur eine Schülerin; zwischendrin wird ein Bild gezeigt mit den Schülern an ihren Schränken; ein Bild, dass den wiederhergestellten Alltag zeigt?)

Interessant wird es jetzt, wenn man sich die Reihenfolge der Szenen ansieht. Insbesondere "Die Harmonie" hat etwas fremd gewirkt an dieser Stelle, aber der extreme emotionale Effekt, der nach ihr entsteht, rechtfertigt sie auch irgendwie. Sozusagen ein HappyEnd, das es nicht geben wird, ein vorgetäuschtes Ende. Dann wird es immer besonders brutal. Kriegsfilme (z.B. "Das Boot" ) benutzen dieses Stilmittel genau so gerne wie Dramen. Es ist eine Art der Lebensdramaturgie, die es so nur in Filmen geben kann, die uns zur Vorsicht raten im Moment des scheinbaren Triumphs. Jedenfalls ist dieser dramaturgische Kniff manipulativ. In "Monsieur Lazhar" ist es eine hinnehmbare Manipulation, weil es Teil einer hohen Erzählkunst ist.



Weiterhin gesehen:

Regarde la mer-Francois Ozon-1997


Ein fesselnder Film, ein bizarrer Film. Es knistert und Ozon deutet an, was er kann: Hier schwingen schon die Beziehungsabgründe, die sexuellen Triebe und die psychologischen Beobachtungen in der Hitze mit, die so kennzeichnend für sein Oeuvre sind. Ozon schneidet von einer erotisch anmutenden Massage über einen Wirbel auf eine knacksend brechende Schale einer Garnele und ohne dabei subtil zu sein, er schickt eine Frau in einen düsteren Wald, in der es eine Orgie gibt und sie lässt ihr Kind einfach am Strand liegen; jeder kann sehen, dass der Besuch etwas im Schilde führt und trotzdem ist hier nichts oberflächlich oder zu laut.


The Asphalt Jungle-John Huston-1950


Ein Meisterwerk. Huston ist-in seinen frühen, Noir-Heist-Gangster-Filmen- ein Sprinter; seine Geschichten erzählen sich so schnell, dass man trotz ihres Alters nie ein Gefühl von Langeweile bekommt. Es gibt nichts überflüssiges. Alle Charaktere sind Produkte ihrer Umgebung. Es ist spannend, versuchend, hektisch, ruhig, psychologisch und moralisch. Hollywood war wohl nie besser, als dort.

Ride with the devil-Ang Lee-1999


Gute Aussattung, schöne Bilder, wichtiges Thema, gute Schauspielleistungen. Aber Ang Lee versinkt zu sehr darin zu zeigen, dass er einen amerikanischen Film machen kann und somit steht der Film weit zurück hinter seinem späteren Erfolg "Brokeback Mountain" und auch vergleichbaren Filmen wie "Cold Mountain" Tobey Maguire passt nicht in den Bürgerkrieg. Ang Lee auch nicht wirklich.

Martha Marcy May Marlene-Sean Durkin-2011


Eine ständig drückende Atmosphäre und eine ungemeine Zielsicherheit, zudem eine Modernität in der Darstellung des Kranken. Hier wird langsam zersetzt, was es zu zersetzen gibt, nicht alles lässt sich zersetzen. Ein Film, der die Landschaft, in der er spielt atmet; ein Film der weh tut, aber neugierig macht. Ein Film, den man verstehen will und zwar um jeden Preis, der sich aber ständig dem Verständnis entzieht; ein Film, der einen Tage jagt. Ein toller Kinofilm, auf Film gedreht und ohne Kompromisse. Mit einer Hauptdarstellerin, die trotz der verwandtschaftlich begründeten Vorurteile gegenüber ihrer Person auf ganzer Linie zu überzeugen weiß. John Hawkes erhebt nicht einmal seine Stimme oder handelt selbst bösartig und macht einem gerade dadurch so viel Angst, dass man auch nach dem Kino noch das Gefühl hat: Er ist hier.

The Pledge-Sean Penn-2001 


Entweder Meditation auf das Krimigenre oder freie Literaturverfilmung oder Schauspielkino. Jedenfalls auf höchstem Niveau. Das Spiel mit Motiven und Zeichen, die Dichte an versteckten Details und das zum Teil nackte Spiel des Casts machen diesen Film, so wie jeden Film von Sean Penn zu einem außergewöhnlichen Erlebnis.

Anaparastasi-Theodorus Angelopoulos-1970 


Eine genaue Analyse eines Verbrechens, das hinter geschlossenen Türen geschieht. Es gibt keine Spannung in diesem Film, es gibt nur kühle Beobachtung. Manchmal merkt man den darstellern eine unpassende Unbedarftheit an, aber ansonsten hat zum Beispiel ein Michael Haneke wohl genau zugesehen bei diesem Film.

Sleeping Beauty-Julia Leigh-2011 


Nicht immer gelingt diesem kühlen und mutigen Film die Stimmung aufrecht zu erhalten, nicht immer will man die intendierte Gefahr auch wirklich verspüren als Zuseher. Aber immer bleibt man fasziniert von dieser Welt und dieser Frau, die im Zentrum steht. Das Ende wirkt unausgewogen, nicht weil es (über)fordert, sondern weil es bemüht wirkt. Dennoch einige Szenen fügen körperliche Schmerzen zu, man wird verstört und der Film hat tiefen Einfluss.

Mayis sikintisi-Nuri Bilge Ceylan-1999


Mehr Autobiografie in einem fiktiven Spielfilm geht nicht. Ceylan erzählt hier eine Geschichte, die ich als Aussenstehender nicht unterscheiden kann von seinem privaten Leben; wer sich fragt: Wen interessiert das, hat unter Umständen Recht. Aber wie immer bei Ceylan geht es hier um das Wie und das ist zumindest interessant; zum Teil öffnet es die Augen, zum Teil schließt es sie.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen