Ich habe Angst. Nach dem „Erlebnis“, dass ich mit diesem
Teenie-Vampirfilm hatte, folgt nun der nächste Selbstversuch. Und zwar mit dem anerkannten
80er Jahre Kult-,Tanzfilm „Dirty Dancing“ von Emile Ardolino. Ich werde wieder
alle 15 Minuten meine Gedanken spontan niederschreiben.
0-15min:
Im Unterschied zum „Vampirfilm“ schaue ich diesen Film in
Begleitung an und so wurde ich schon im Vorspann, der mit einer Nicolas-Winding
Refn-Drive-80er-artigen-Ästhetik aufwartet, ermahnt, dass es eigentlich
unmöglich sei, dass ich diesen Film noch nicht gesehen habe. Nun gut. Los geht’s,
mir wird gleich von einem Radiomoderator gesagt, dass ich mich bei dieser Musik
verlieben muss. In den ersten 15 Minuten bleibt und ist das auch die einzige
Thematik des Films. Da gibt es den Hauptcharakter. Gespielt von einer lockigen
Jennifer Grey, sie ist nett und so und ihre Eltern wollen etwas anderes als sie
und wir schauen sehr subjektiv durch ihre Augen auf diese Welt. Sie fahren in
den Urlaub und dort gibt es anscheinend viele Möglichkeiten zu tanzen und ich bedauere,
dass ich meine koralfarbenen Schuhe vergessen habe. Aber der Film lässt uns
nicht lange auf sein eigentliches Highlight warten. Die Personifikation des
80er Jahre Looks erscheint hinter einem Regal, kurz und knapp und unglaublich hart
und rebellisch: Patrick Swayze und seine Sonnenbrille. Später am Abend gibt es
eine erste Kostprobe seines Tanzstils. Wahnsinn. Noch später am Abend, nach dem
Jennifer Grey einen furchtbar interessanten Typen losgeworden ist, öffnet sich
die Tür zu einer interessanten, orgienartigen Party. Wir sind entzückt.
15-30min
Eines ist klar: Jennifer Grey ist verliebt. Die
wiederholende Naheinstellung ihres hingebungsvollen Gesichtes unterschnitten
mit halsbrecherischen Tanzschritten, die Swayze mit einer Frau, die aber nicht
seine Frau oder Freundin ist (gottseidank); dann wieder das verliebte, lockige
Mädchen, dann wieder Swayze und Amerika feiert seine Äußerlichkeit. Die
Äußerlichkeit der Liebe ist hier-wie in vielen Filmen-die Substanz auf der sich
Identifikation gründet. Kommentar von links: „Wenn ein Mann tanzen kann, macht
ihn das attraktiv.“; jetzt kommt dieser Swayze einfach zu ihr und sie stellt
sich ungeschickt an, aber sofort entführt er sie in seine faszinierende Welt. Die
Machomechanismen greifen hier durchaus, weil sie authentisch sind. Was ist das
eigentlich für ein Ort? Gibt es sowas wirklich? Warum war ich mit meinen Eltern
auch auf Ferienanlagen, die sich nicht wie eine Art Bordell angefühlt haben?
Egal, macht die Sache spannend. Die blonde Nicht-Frau und Nicht-Freundin von
Swayze ist schwanger. Nicht von Swayze. (gottseidank) Ihre Begründung, warum
sie so gut tanzen kann, ist brillant. Ihre Eltern haben sie mit 16 Jahren
rausgeschmissen und seit dem ist alles, was sie tut: Tanzen. Ach so, was sonst. Endlich mal ein Charakter,
der gut motiviert ist oder auch nicht. Den unsympathischen Typen ist Baby (so
heißt Jennifer Grey tatsächlich) leider doch noch nicht losgeworden. Diese
ältere Version von Tobey Maguire ist so schmierig, dass Swayze und sein
Tanzstil gleich noch attraktiver werden. Dann öffnet sich die Tür zu einer
interessanten, orgienartigen Party. Wir sind entzückt.
30-45min
In diesen 15 Minuten macht der Film vieles richtig, was er
vorher falsch gemacht hat. In der Welt von „Dirty Dancing“ ist Tanzen
wichtiger, als alles andere. Das wird an der Person der Penny Johnson (die
gottseidank Nicht-Frau von Swayze) klar. Sie würde sogar Tanzen statt
Abzutreiben. Harte Realität hier. Gottseidank ist Baby bereit einzuspringen. Da
sie allerdings nicht wirklich tanzen kann (bitter), muss Swayze ihr das erst
beibringen. In dieser rockyartigen Trainingssequenz gefällt mir besonders gut,
dass der Fokus im Spiel und in der Inszenierung wirklich auf das Tanzen und die
Professionalität gelegt ist. Swayze ist sehr ehrgeizig und erst durch die
Körperlichkeit des Tanzens und die Nähe und die Zeit, die die beiden
miteinander verbringen wird sowas wie eine Verbindung spürbar. Dafür werden die
richtigen Bilder gefunden. Einfache, präzise Halbtotalen verbunden mit
flüssigen Schnitten oder Jump-Cuts. Der Film wirkt hier sehr frei. Allerdings
typisch wieder, dass die Entwicklungen sehr schnell ablaufen. In 15 Minuten ist
man hier bereit vieles zu verändern. In einem besonders charakterisierenden und
guten Moment blickt Swayze noch durch Baby hindurch, als in einer Übung Penny
hinter Baby tanzt. Er nimmt Baby gar nicht war. Später, als sie den berühmten „Move“
im Wasser üben, erlaubt er sich einen ganz kurzen Blick auf ihr durchsichtiges,
weil nasses T-Shirt. Der Film nimmt sich auch nicht sehr ernst und rettet sich
damit oft vor dem Abfallen in totalen Kitsch. Coca-Cola dürfte der Erfolg
jedenfalls gefreut haben. Schließlich kommt es noch zu einem Frauen-Gespräch
bei dem endlich wieder klar wird: Hier geht es um was. Dass ich das nicht immer
bemerke, mag auch an meiner Unerfahrenheit im Tanzfilmgenre liegen. Das
ständige Abdriften in musikalische Szenen ist mir nicht so vertraut, es führt
zu einem totalen Berieselungseffekt.
45-60min
Irgendjemand von den Produzenten hat wohl gemeint: Jetzt
wird es Zeit für Drama, Baby. Swayze und Baby sind sich jetzt wirklich nahe,
aber dann gibt es Probleme mit der Abtreibung von Penny. Sie liegt dennoch fast
unberührt und schön auf einem Tisch; okay, zu viel Realismus wäre schlicht und
ergreifen auch unpassend. Dieses löst einen weiteren Elternkonflikt aus. Dieser
Konflikt wird im ganzen Film jedoch sehr halbherzig genommen, fast so, als wäre
schon alles geklärt alleine dadurch, dass es sich dabei um ein Klischee
handelt. Dann kommt es endlich zum Beischlaf. Schön, mit warmem Licht und
halbnackt. Swayze muss sich dafür nicht mal ausziehen, er ist prinzipiell
halbnackt. Eifersucht gibt es jetzt natürlich auch und inmitten all dieser
substanzlosen Tänze mit Klischees ein Dialog zwischen Swayze und Baby, der so
wirkt, als würden die beiden sich schon ewig kennen; zum Teil ging es mir so,
als hätte ich etwas verpasst oder als wäre das schon Teil 2 oder Teil einer
Serie. Hat man sich einmal auf die 80er Jahre Tanzfilm Tatsache eingelassen,
möchte ich jedoch bemerken, dass ich mehr Kitsch erwartet hätte. Nach wie vor
fällt es mir trotzdem schwer wirklich einzugehen auf diese grob umrissenen
Figuren, die so gar nicht aus der echten Welt zu kommen scheinen. Und da reicht
auch kein sehnsuchtsvoller Blick in die Augen von Swayze, wenn dieser nicht
seine mächtige Sonnenbrille trägt.
60-75min:
In diesen 15 Minuten wartet der Film mit der bis dato mit
Abstand besten Szene auf. Konsequenterweise ist es eine Tanzszene (die in
diesem Film allgemein das Zentrum und das Herz bilden und auch fantastisch
gefilmt sind.). Mit ihr wird gewissermaßen ein Rollentauch eingeleitet; die
Geschlechterrollen werden fast vertauscht. Hatte David Fincher in „The Girl
with the Dragon Tatoo“ dieses Spiel in einer relativ rustikalen Sex-Szene, so
benutzt man dieses Mittel in „Dirty Dancing“ in einem Tanz vor einem Spiegel,
in dem plötzlich Baby die Rolle des Mannes inne hat;
inzwischen hat sie auch
einen richtigen Namen: Frances…hier wird nicht gerade subtil gearbeitet. Im weiteren Verlauf wird plötzlich Swayze der
hilfsbedürftige, weiche Charakter. Gut, dass er zwischendurch noch jemand
zusammenschlagen darf. Weil sonst würde die Betonung bei tanzender Macho doch
langsam mehr auf das „tanzend“ gehen. Er
würde ausgenutzt werden von gutriechenden Frauen. Armer Swayze. Aber mit Baby
kann er im Bett liegen und ihr von seinen plakativen Träumen erzählen; das
Licht, das durch die Fenster strömt ist immer warm, es wirkt melancholisch und
verstärkt dadurch die schwelgerische Stimmung. Eifersüchtige Blicke sind ein
weiteres Motiv in diesem Abschnitt. Alle Leute sind hier intrigant, jeder will
eigentlich nur irgendwen ins Bett bekommen. Man darf gespannt bleiben.
75min-90min
Jetzt habe ich endlich bemerkt, dass es sich hierbei um
einen Coming-Of-Age Film handelt. Mein Problem: Jennifer Grey ist 27 und soll
ca. 10 Jahre jünger sein; das bringt sie aber gar nicht rüber, sie wirkt von
Anfang an sehr reif. Dass ich den Kitsch nicht für so schlimm erachte liegt
auch daran, dass er größtenteils über die Musik kommuniziert wird und bei
dieser die Nostalgie, zumindest heute, über den Kitsch siegt. Dennoch ist
Swayze im hautengen, schwarzen Oberteil, wie er den Kofferraum zuschlägt schon
grenzwärtig. Aber hier werden Helden geschaffen und am Schluss laufen alle
Fäden zu einem unheimlich, unheimlich, unheimlich runden Ausgang, wo alle Probleme
gelöst, alle Konflikte sich in Harmonie lösen, wo Menschen endlich für sich
stehen und die gute Laune siegen muss. Selbstverständlich wird hier getanzt.
Der schwierige „Move“ glückt und es ist schön bunt und wir erinnern uns an die Aufforderung zu
Beginn des Films: „Verlieben sie sich.“ Ich werde zusammengestaucht: „Wie kannst du
jetzt auf Pause drücken!“
Dann ist es auch aus, ja. Der Film erreicht gekonnt, was er
möchte, indem er sich auf die nötigsten Elemente fokussiert und beweist, dass
Körperlichkeit reicht, um einen Liebesfilm zu machen; dass sich das Ganze auf
einer sehr dünnen Oberfläche bewegt, ist für das angestrebte Publikum egal.
Hier geht’s um Träume. Träume, die es nicht gibt. Oder doch? Vielleicht als
Ausdruck einer subjektiven Wahrnehmung oder Erinnerung, ja. Natürlich
überzeichnet, aber nicht schmerzhaft. Jedoch definitiv belanglos im Inneren,
wichtig im Äußeren. Also wurde die Form zum Inhalt. Ob absichtlich oder nicht.
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