Als Letztes also nun Christoph Waltz als Col. Hans Landa in
Inglourious Basterds von Quentin Tarantino.
Mehr noch, als auf die ikonische Rolle des Hans Landa
einzugehen, möchte ich anhand von ihr ein Fazit ziehen, da wir mit diesem
Artikel ja am Ende der Reihe angekommen sind. Landa beherbergt eine
außerordentliche Bandbreite an Eigenschaften, die wir auch schon bei den
anderen Charakteren feststellen konnten. Zunächst fällt auf, dass Tarantino ein
Regisseur und Drehbuchautor ist, der um die Faszination dieses Charakters weiß.
In einer spektakulären, The Good, the Bad and the Ugly zitierenden Sequenz
führt er dieses Monster, diesen gefürchteten „Judenjäger“ ein und begnügt sich
im Anschluss in einer grandiosen und außerordentlich langen Sequenz damit ihm
schlicht und einfach bei der Arbeit zuzusehen. Der Charakter-so ahnen wir als
Zuseher-weiß genauso viel wie wir selbst und wir stellen uns nur die Frage: Wie
wird er es machen?
Dieser Mann ist
Wahnsinnig
Intelligent
Kühl
Überlegen
Arrogant
Unberechenbar
Also alles, was man von einem guten Bösewicht erwarten kann.
Da sind zum einen wieder die anarchistisch anmutenden Methoden. Landa ist eben
keineswegs ein strenger Gefolgter von
Hitler, sondern ein Mann, der die Zeit dazu nutzt etwas zu tun, was er sowieso
gerne tut. Er ist lange nicht so anpassungsfähig, wie er selbst glaubt. Dieses
Sprachengenie ist zwar in der Lage die Seiten blitzartig zu wechseln, aber er
bleibt ein Außenseiter der Gesellschaft. Einzig die Angst, die er anderen
Menschen einflößt und die Qualität seiner Arbeit halten ihn innerhalb des
Systems. Im Endeffekt sind ihm Regeln egal, er ist nicht weit davon entfernt ein
Joker zu sein. Aber er ist Profi und Zyniker, ein Individualist. Und diese
Reihe ist voll von Individualisten, egal ob sie-wie Landa oder Dany Archer in
Blood Diamond oder Patrick Bateman in American Psycho-eigentlich in der Lage
sein sollten darüber zu reflektieren oder-wie zum Beispiel Amélie
Poulain-eben aus anderen Gründen nur für sich leben. Das passt für unsere
individualisierte Gesellschaft.
Wir brauchen im Kino also zynische Menschen, distanzierte
Menschen, die aber Profis sind und die zur Anarchie neigen. Die aufbegehren
gegen ihr feststeckendes Leben oder schon aufbegehrt haben. Landa ist ein
Musterbeispiel auf diesem Gebiet. Er ist ein Mann, der mit der Geschichte gehen
kann. Da er seine Rechnung ohne die Moral eines Filmes gemacht hat, wird er am
Ende bestraft, aber strenggenommen könnte dieser Mann-wenn er sich seine Narbe
weglasern lässt-bis heute immer wieder in unterschiedlichsten Staatsformen
eingesetzt werden. Alle Charaktere dieser Reihe leben in verschiedenen Zeiten.
Entweder in der falschen Zeit oder eben zeitlos. Völlig egal im Bezug auf die
Faszination eines Charakters ist seine Motivation. Angedeutete, existenzielle
Triebe oder eben gerade deren Verweigerung funktionieren heute weit besser. Das
Kino war eine lange Zeit lang überfüllt mit Psychologie und im „anspruchsvolleren“
Teil Hollywoods und auch sonst überall hat man das heute auch verstanden und
schickt die Psychologen zu den mehr als erfolgreichen TV-Serien, wo man mehr
Zeit hat Ambivalenzen aufzubauen, wo der Zuschauer mehr Zeit hat diese zu
verdauen. Kino tendiert mehr zum Moment, als zum Vergangenen (leider ist dem oft
genug nicht so). Das hat gutes Kino schon immer getan, nur ist auffällig, dass
das nun auch langsam beim Publikum akzeptiert wird, ohne dass ständig gefragt
wird: „Warum macht er das jetzt?“ Allerdings muss man auch sagen, dass das nur
bei faszinierenden Charakteren funktioniert, also nur wenn der Charakter als
eigenständig betrachtet wird und nicht als Teil des Plots. Vom im Kopf des
Betrachters verfassten, psychologischen Gutachten bis zur einfachen Erklärung „Der
ist halt verrückt.“, ist es dann immer dem Zuseher freigestellt sich die
Handlungen selbst zu erklären.
Die Verweigerung der Psychologisierung funktioniert über
einen ganz einfachen Trick: Die Charaktere werden ins Comichafte gezogen, sind
alle leicht oder stark überzeichnet. Haben sich selbst Comicverfilmungen vom
comichaften gelöst und wird von vielen Actionfilmen heute eine realistische
Tendenz abverlangt, akzeptieren wir scheinbar mühelos eine comichafte Charakterzeichnung,
sowohl dramaturgisch, als auch im Schauspiel oder in Maske und Kostüm. Wir lieben Extravaganzen im Kino. Und je
weiter sich die Charaktere so von der Realität entfernen, desto mehr
Kultpotenzial beherbergen sie. Jahre nach Al Pacinos großen Wutausbrüchen
sitzen wir immer noch und warten auf die großen Emotionen und Reden, die aus
den Filmhelden hervorsprudeln. Das scheinen auch die Charaktere zu wissen und
die Filmemacher und sie spielen mit der Unterdrückung der wahren Gefühle:
Natalie Portman in Black Swan, Bill Murray in Lost in Translation oder Edward
Norton in The Score. Sie alle haben etwas ins ich vergraben, dass nur darauf
wartet herauszukommen. Hans Landa begräbt seine Gewalt unter seiner Etikette
und seinem Stil, seiner Arroganz und gewählten Ausdrucksweiße. Waltz spielt
diese Unterdrückung auf geniale Weiße mit, das Funkeln in seinen Augen verrät
ihm beim Zuseher, der so fast gezwungen wird mitzugehen, wenn es endlich aus
ihm bricht. Es ist ein Warten auf Authentizität. Tarantino ist selbst derart begeistert
von diesem Spiel mit Unterdrücken und Ausbruch, dass er es ständig wiederholt.
Er geht sogar so weit, es an einem Kulminationspunkt der Unterdrückung sowohl
auf Landa, als auch auf seinen Gegenpart anzuwenden. Wenn der Judenjäger mit
der französischen Kinobesitzerin bei einem Apfelstrudel sitzt, haben beide
strenggenommen dasselbe Gefühl und
keiner darf es ausleben. Sozusagen eine versteckte Liebesszene. Tarantino
betrachtet dieses Spiel auch immer wieder mit Humor. Zum Beispiel als August
Diehl im Keller mit den Basterds „Was bin Ich?“ spielt. Hier geht es nämlich
nicht nur, um einen billigen Trick mit der Erwartung des Zusehers zu spielen,
sondern hier geht es um uns selbst.
Ins Kino geht man aus unterschiedlichen Gründen, aber wenn
man etwas auf der Leinwand sieht, dann will man dazu eine Verbindung aufstellen
können. Bei den ausgewählten Charakteren dieser Reihe funktioniert diese
Verbindung über ein scheinbares Geheimnis, dass darin besteht, das die Charaktere etwas in
sich haben, das wir als streng persönlich empfinden, aber so nicht
kommunizieren würden. Sie tragen alle eine Unzufriedenheit mit sich herum,
einen Individualismus (man könnte es Einsamkeit nennen), den wir nur zu gut kennen und den wir nur zu gerne, als
unseren eigenen bezeichnen. Und diese Leinwandpersonen wehren sich jetzt
dagegen, brechen aus diesen Grenzen und darin liegt für uns die Befreiung. Das
Kino verschleiert also nur seine Heldenfiguren von früher, indem es sie
distanzierter und aufgeklärter erscheinen lässt, aber am Ende geht es immer
noch darum, dass man Dinge tut und wagt, die man sich im echten Leben oft nicht
traut.
Man könnte also sagen, dass Kino spielt die große,
versteckte Realitätsflucht und was könnte da besser passen, als ein
Filmemacher, der verstanden hat, dass man mit einem Film Geschichte umschreiben
kann und der seine Charaktere so liebt, dass es eine Freude ist mit ihm diese
Reihe zu beenden. Betonen möchte ich nur noch, dass es sich bei den zehn
vorgestellten Figuren eben keineswegs um besonders tolle Charaktere handelt,
sondern um Charaktere, die es schaffen sowohl beim Mainstream-Publikum, als
auch in kinoaffineren Kreisen Begeisterung und Freude am Kino auszulösen, die
schon damit anfangen kann sich Zitate zu merken, ein Poster an die Wand zu
hängen oder einfach nur mit diesem kleinen Gefühl der Vorfreude während man den
Film betrachtet: „Jetzt kommt gleich die Szene mit…“
wie toll ist das denn bitte?!?
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