Dienstag, 17. April 2012

Frage des Blickwinkels

In den letzten Wochen bin ich häufiger mit dem Thema des Umgangs mit der Zeit im Rahmen von Filmdrehs konfrontiert worden. Zunächst innerhalb einer Vorlesung an der Universität, die vom ehemaligen Szenenbildner Werner Herzogs aus den 70er Jahren, Henning von Giercke gehalten wurde. Neben der offensichtlichen Freude an der Arbeit und dem enormen Engagement (immer Nahe am Wahnsinn) vermittelte dieser bewundernswerte Künstler auch eine mitschwingende Ablehnung gegenüber einer "Filmpolitik", die sich bei ihm über die Jahre ausgebildet hatte. Er sprach davon, dass man sich beim Film immer alles nehme und dass man keine Rücksicht nehmen würde etc. Bei einer Nachfrage nannte er als Beispiel, dass bei einem Dreh in Rumänien Möbel staatlich eingezogen wurden, die er für das Szenenbild verwenden wollte. Dieses Beispiel ist sicherlich die Ausnahme, aber die Desillusionierung eines offensichtlich derart begeisterten Filmschaffenden brachte mich dennoch zum Nachdenken.

Werner Herzog-Ein Regisseur, der bekannt dafür ist an Grenzen zu gehen


Immer wieder hört man ja Anekdoten von ausufernden Filmdrehs, die sich über Monate hinweg hinziehen, bei denen die Beteiligten schier unerträglichen Bedingungen ausgeliefert sind. Ein Beispiel dafür wäre der Dreh von Coppola's Apocalypse Now, der in der sehr empfehlenswerten Dokumentation Hearts of Darkness festgehalten wurde. Hört man die Beteiligten später über diese Drehs reden, schütteln sie mit dem Kopf, aber lächeln. Ist man am Set, wird eigentlich permanent über diese Dinge gemeckert. Und dabei ist es nicht vom bezahlten Gehalt abhängig. Der Idealismus ist den meisten Filmschaffenden, egal ob Profi oder Amateur, Student oder Alte Schule nämlich gemein, aber der Idealismus ist instabil. Wer sorgt dafür, dass die Begeisterung über Wochen hinweg oder auch nur über Tage hinweg erhalten bleibt?

Francis Ford Coppola am Set von Apocalypse Now


Ein paar Filmdrehs bei denen ich mitmachen durfte, hatten auch Kinder und Jugendliche in wichtigen Rollen. In Deutschland gibt es strenge Gesetze, die genau festlegen, wie lange sich die unter 18jährigen am Filmset aufhalten dürfen und wie lange sie tatsächlich drehen dürfen etc. Es ist in allen Fällen, die ich bisher erlebt habe sehr schwer gefallen diese Zeiten einzuhalten. Man bewegt sich ständig im Grenzbereich der Legalität. Von Außen betrachtet muss und kann man darüber mit dem Kopf schütteln, man kann versuchen zu intervenieren, man fragt sich nach der Menschlichkeit innerhalb des ganzen Unternehmens. Ist man jedoch (künstlerisch) aktiv beteiligt und steht hinter dem Projekt; und erkennt gleichzeitig, dass es dem Endprodukt hilft ohne dass dabei gesundheitsgefährdende Risiken eingegangen werden, dann ist dabei einfach nichts Schlimmes erkennbar.

Wie lange Natalie bei Leon wohl am Set war?


Ein Filmemacher hat das Glück bzw. Pech ein Gruppenkünstler zu sein. Er muss innerhalb einer Gruppe agieren, wogegen ein Maler oder Autor diese Hindernisse, Dynamiken, Hilfestellungen und sozialen Konflikte nicht hat. Ein Film ist ein größeres, zum Teil wirtschaftliches Projekt; es ist ein ständiger Pool der Kommunikation. Kann man diese "Filmpolitik" ändern? Man kann höflich sein und schon in der Vorplanung alles dafür tun, dass man möglichst geregelt und menschenfreundlich durch die Drehzeit kommt. Man kann aber nie mit allem rechnen und daher wird es immer zu solchen Situationen kommen, in denen man Grenzen übertritt und in denen es zu kleineren oder größeren Ungerechtigkeiten kommt. Ein Autor fügt in gewissen Phasen vielleicht Menschen in seiner Umgebung Schaden zu, bei einem Film hängen aber so viele Dinge mit dran, dass es unweigerlich auffälligere Schäden gibt.

Filmset


Man schimpft während eines Drehs über viele Dinge. Das gehört dazu, das ist Teil des Menschseins. Wer aber nach dem Dreh immer noch jammert über Arbeitszeiten und Ausbeutung etc, der hat noch nicht verstanden, dass Film bei aller Wirtschaft und Größe immer noch eine Kunst ist. Oder er ist nicht aktiv beteiligt gewesen und dann ist es der Idealismus der leidet. Man vergisst oft die Leinwand während man sich den vierten Kaffee einschenkt zwischen 30 Komparsen und sich fragt, wo das Red Bull steht. Wer sich dann die Leinwand vorstellen kann, der macht in meinen Augen die richtigen Filme aus den richtigen Gründen.

Vertrauen zum Projekt und zur Regie=Glaube an die Leinwand (Cruz und Almodovar)


In letzter Zeit hat mein Filmschaurythmus aufgrund eines Filmdrehs etwas gelitten, aber dennoch ein kurzer Überblick:

Renn wenn du kannst-Dietrich Brüggemann-2010

Interessanter deutscher Film, der das Thema Rollstuhlfahrer und Pflegefall nicht nur deutlich realistischer und seriöser angeht, als der grausame Film Wo ist Fred?, sondern auch-und das ist der eigentliche Coup- deutlich lustiger. Ein Drehbuch, dass mit einer Sprüchedichte und Lockerheit daherkommt, dass Aaron Sorkin (Social Network) beim Pointenzählen gar nicht hinterherkommen dürfte. Leider versteuert sich der Film gegen Ende etwas und zwar nicht, als er sich ziemlich offensichtlich, aber absichtlich versteuert, sondern als er wieder zurück auf die richtige Straße möchte. (Vergleichbar mit einem Verspieler am Ende des Gitarrensolos von "Californiacation" von den Red Hot Chili Peppers )



Cold Mountain-Anthony Minghella-2003

Diese Romanverfilmung bewegt sich über weite Strecken tief im Kitsch und sollte mir daher eigentlich nicht gefallen. (Erfahrungswert) Doch dieser Kitsch ist derart grandios inszeniert und funktioniert auf derart vielen Ebenen, dass er tatsächlich das Paradox meistert "tiefen Kitsch" zu liefern. Ich habe den Film bereits zum fünften Mal gesehen und jede Betrachtung erlaubt eine andere Schwerpunktsetzung. Sehr hilfreich dabei ist auch der riesige, starbesetzte Supporting Cast.



 Rebel without a Cause-Nicholas Ray-1955

Als ich den Film vor 4 Jahren zum ersten Mal sah, gab es nur James Dean zu bewundern. Daher funktionierte das Ganze sehr gut. Erst beim zweiten Mal wurde mir die Theatralität des Films bewusst in dieser musicalhaften Inszenierung. Der Film wirkt schlicht und ergreifend sehr angestaubt und bestärkte mich in meiner Auffassung, dass East of Eden (Elia Kazan) der beste Film mit James Dean ist. Dennoch bleibt die Visualität eines Regisseurs, der Bilder macht und mit ihnen Geschichten erzählt, der komplett in einer Filmwelt zu leben scheint und es daher immer wieder schafft zu faszinieren. Einen Nicholas Ray Film kann man sich nicht nur anschauen, man muss die Leinwand oder den Bildschirm als eine Fläche und einen Raum begreifen, auf denen gemalt wurde. Bitte unbedingt in der Originalsprachfassung schauen.

4 Kommentare:

  1. Eben weil die Geduld schnell aufgebraucht ist, scheitern oftmals Laienprojekte schon in der Entstehung. Passion und Leidensfähigkeit ist entweder da oder wird durch Macht erzeugt, die man über seine Freunde nicht hat. Deshalb kann ich es grundlegend und ohne menschenfeindlich wirken zu wollen, schon nachvollziehen, wenn z.B. Hitchcock dafür erwähnt wird, seine Darsteller als Vieh gesehen zu haben. Das würde dann auch die Theorie stützen, daß die Qualität eines Schauspielers beim Casting festgelegt wird.

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  2. Das würde ich zum Großteil so unterschreiben, aber ist nicht Vertrauen ein wichtiger Teil des Prozesses? Hitchcock ist da insofern ein gefährliches Beispiel, weil er jetzt nicht gerade für seine Schauspielergebnisse berühmt geworden ist.Gerade im Nachwuchsbereich scheitert man halt oft an den eigenen Ambitionen, die sich nur schwer verkaufen lassen, wenn in anderen Departments die Professionalität bzw. Hingabe fehlt. Aber Hingabe halte ich für auslösbar und ob man dafür jetzt Opfer bringen muss oder es harmonisch schafft, muss man selbst für sich herausfinden.

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  3. Deshalb ja das angeführte Casting. Einfach in der Annahme, daß ein Schauspieler, der bereits die verlangte Figur ist, weniger zu Glanzleistungen gefordert werden muß.

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  4. Aber es gibt ja nicht nur die Schauspieler am Set? Dort sehe ich eher das Problem, dass viele Profis, die an ein Studentenset kommen gerne auch ein bisschen Regi führen und Drehbuch schreiben und Licht machen und Aufnahmeleitung sowieso. Nein, mir geht es auch um alle anderen Departments.

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