Es glänzt
und die Pupillen weiten sich. Man will es haben. Es steht einem zu. Man fühlt
sich betrogen. Gier ist eine Eigenschaft, die in Filmen als Schwäche, als
moralischer Aufhänger, als Antrieb, als Grausamkeit oder als Lust gezeigt wird.
Sie endet oft in die Wüste, so wie im brennenden Todeskampf in Death Valley in
Erich von Stroheims „Greed“ oder in Sergio Leones Dreikampf am Wüstenfriedhof
in „The Good, the Bad and the Ugly“. Bei Leone schreit immer Gier aus den
verdursteten Augen seiner Darsteller von Henry Fonda bis Lee Van Cleef. Später
wird er sich mit De Niro in Bedauern verkehren. Doch dieses Bedauern verkehrt
sich bei McTeague in von Stroheims manischer Landschaft wieder in Gier, sie
stirbt nicht einfach mit der Niederlage, sie entsteht erst in ihr, ein Monster
in uns, unkontrollierbar.
Das bringt
sie auch so nahe an das sexuelle Verlangen. In einem anderen Film mit
Beteiligung von Erich von Stroheim, Billy Wilders „Sunset Boulevard“ ist es die
Gier nach Ruhm, die lange aus ihrer Zeit gefallen ist. Gier ist nicht an Zeit
gebunden. Nicht wie Körper, nicht wie die Filmwelt, nicht wie Film. Gier ist
hoffnungslose Hoffnung. Sie wird nicht befriedigt oder gestillt, sie ist
einfach. Es ist der Männerschweiß eigenwilliger Einzelgänger, die ihr Glück
suchen, manchmal auch ganz zufällig finden, wie in „No Country for Old Men“ von
den Coen-Brüdern oder „Kakushi-toride no san-akunin“ (dt: „Die verborgene
Festung“) von Akira Kurosawa, indem die beiden unbeholfenen Protagonisten in
einem Ast Gold entdecken. Sofort werden Begehrlichkeiten geweckt. Wer hat es
zuerst gefunden? Wem gehört es? Dabei wird kaum unterschieden zwischen Geld,
Besitz und Frauen oder Männern. Sie reagieren auf jeden neuen möglichen Besitz
wie kleine Kinder. Immer auf den eigenen Vorteil aus.
Andere
betreiben Gier als Geschäft, denn zum Beispiel an der „Wall Street“ ist nicht
erst seit Oliver Stone Gier gut, sondern auch die „more, more, more“ Party in
Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ greift in dieses materielle Meer aus
Statussymbolen und äußerlichem Besitz, der vor allem deshalb so filmisch ist,
weil er aus den Körpern und ihrer Sprache, aus der Oberfläche und ihrer
Schönheit und aus der Subjektivität und unseren Träumen gespeist wird. Es geht
immer weiter und weiter und weiter. Von Stockwerk zu Stockwerk krachen die
elitären Fresssäcke in Denis Villenueves Kurzfilm „Next Floor“ nach unten, in
einem buñuelesquen Setting wird es irgendwann keinen Halt mehr geben. Gier ist
ein Rausch. Es gibt keine moralischen Grenzen für Daniel Plainview in „There
Will Be Blood“ von Paul Thomas Anderson, er dirigiert seinen Ölturm vorbei an
seinen familiären Verpflichtungen, vorbei am Volk, vorbei an den kirchlichen
Lehren seiner Umgebung. Auch er bewegt sich im Staub, im Schlamm, wird von
innen zerfressen. Man geht weit für seine Gier. Tarantino hat über „There Will
Be Blood“ gesagt, dass er diesem Mann sofort geglaubt hätte, dass er mit
gebrochenem Bein durch die Wüste robben würde. Gier ist Cinemascope, weil er
zwischen den Augen und der Landschaft stattfindet. Je mehr Platz man für diese
hat, desto leerer ist der Blick der hoffnungslosen Hoffnung. Als würde man
berühren wollen, was man nie berühren kann, besitzen was man nicht besitzen
kann. Jene Bilder, die die amerikanische Landschaft am besten beschreiben,
beschreiben auch den Antrieb einer politischen Stoßrichtung.
Familien
zerstören sich. So wie in Sydney Lumets „Before the devil knows you’re dead“,
indem Jeder gegen Jeden agiert, Juwelen und die Frau zwischen den beiden
Brüdern. Gier führt zu Lügen und Verrat. Der Frieden beim Fischen am Ende von
Johnnie Tos „Election“ trügt. Von hinten kommt die Gier, die man eigentlich bei
Big D. stärker sah, aber Gier bedeutet auch immer Gleichgewicht und Sicherheit
herzustellen. So verkehrt sich der Kampf um Besitz in einen reinen Überlebenskampf,
nackt und nicht zu bändigen, Gier scheint aus den Tiefen der Figuren zu kommen,
alles ordnet sich der Gier unter. In einem schwarz und weiß der Götter verkehrt
Ben Wheatley in „A Field in England“ die Gier in einen LSD-Rausch.
Oft sind die
Grenzen zwischen Gier und Sucht verschwommen, die Figuren sperren sich dann in
ihrer eigenen Welt ein und wollen immer mehr. „Nymphomaniac“ von Lars von Trier
und „Shame“ von Steve McQueen beleuchten die sexuell-suizidale Gier, eine Gier
nach dem Spüren, die man lange nicht mehr spürt. Nagisa Ôshima hat in seinem „Ai
no korîda“ das weibliche Begehren als tödliche Gier gezeigt, er hat das „more
more more“ Prinzip der Wall Street wie McQueen und Von Trier auf die Not der
Erregung übertragen. Ähnliches kann man von „La grande abbuffata“ von Marco
Ferreri sagen, der Materialismus, Sex und Langeweile in einen absurden
Todesmarsch vereinigt. Gier ist immer
ungesunde Lust, Freudianern geht einer ab.
Die
Müdigkeit und Erschöpfung der ausgemergelten Gesichter von Western-Anti-Helden
in der Leone-Wüste ist jene der sexuellen Vereinsamung. Aber Gier kann im
Gegensatz zu Abhängigkeiten auch nur für Momente aufblitzen, in einem Moment
der Versuchung. Kann man ihm widerstehen? Als Zuseher will man häufig, dass der
Gier gefolgt wird, man will sehen wie gestohlen wird, geraubt, wenn das
mögliche Glück in beide Hände genommen wird. Gier ist Inspiration. Sie kommt
mit dem Zufall angeflogen und wir zuerst als Versuchung, als Lust wahrgenommen.
Wenn man King Kong sieht, will man ihn mitnehmen, filmen, im Kino zeigen. Im
mysteriösen Keller in Guillermo del Toros „El laberinto del fauno“ lernt man
wie so oft in Märchen, der Versuchung einer Gier zu widerstehen. Der Horror
lauert hinter der Gier, einer der dich in der Wüste an eine Leiche kettet, der
dich sterben lässt. Und selbst, wenn man sich entspannt am Strand aufhält,
werden die Leichen angespült wie in René Clements „Plein Soleil“. Jemand
anderes sein wollen, ein anderes Leben leben. Gier zielt auf etwas Äußeres. Im
Film muss sie daher auf die Welt verweisen. Es ist eine Welt zwischen dem
eskapistischen Wünschen des Zusehers, den materiellen Sehnsüchten der Figuren
und auch der Kontrolle über Wissen und Macht, die das Kino geben und zerstören
kann. Film ist beherrscht von einer Gier, die die Zeit besitzen will. Ein
Paradox, wenn man bedenkt wie zeitlos Gier ist. Auch in Abbas Kiarostamis „Close-Up“ wird
dieses Verlangen nach Identitäten und Kino beleuchtet. Aber die Menschlichkeit,
die sich in den Nahaufnahmen vor Gericht offenbart ist eine des Kinos, wogegen
die statische juristische Objektivität, die in einer totalen Einstellung
gezeigt wird keine Chance gegen Identifikation hat. Das Kino ist in der Lage
Gier zu fühlen, nicht zu erklären oder rechtfertigen. In den Augen des Angeklagten,
in den goldenen Lichtern in den glänzenden Augen, im Abfallen der Kontrolle, im
Verlieren in einer Begehrlichkeit und im Verlieren einer Begehrlichkeit,
überall herrscht die Gier des Kinos.
Gibt es
immer Moral? Warum, wenn Gier so gut ist? Am Ende bleibt die Gier, mehr zu
sehen.
Bilder: „Kakushi-toride no san-akunin“ von Akira Kurosawa
Man müsste unterscheiden zwischen Gier, Begierde, Begehren, Bedürfnis, Begehrlichkeit, Verlangen, Sehnsucht und Hoffnung, denn diese Begriffe meinen nicht dasselbe Wollen. Gier ist seit jeher negativ konnotiert, Gordon Gekko zum trotz, und zwar, weil das Wort eine nimmersatte Form von Begehren bezeichnet, das sich auf etwas Bestehendes richtet (also eine Begehrlichkeit/Begierde) und darauf unter Ausschluss des Anderen Besitzansprüche erhebt – es nimmt weg, was allen zusteht und ist somit ein völlig unproduktives, negatives Begehren. Der Geldfälscher ist nicht gierig, ebensowenig der Fresssack, der seine Fressalien selber anbaut. Das Objekt der Gier ist ein quantifizierbarer Anteil vom Ganzen. Die Gier kennt ein „Mehr“ und ein „Weniger“, wenn diese Kategorien aber wegfallen, kippt sie ins Begehren, das nur noch bedingt politisch und somit moralisch anstandslos ist. Zudem ist Gier teleologisch, auch wenn das Telos, der Endzweck, nicht absehbar ist. Daher verliert der wahre Gierschlund sein Objekt schnell aus den Augen und hält nur noch an einem unbestimmten objective fest – „Etwas“ zu besitzen, „Mehr“ zu besitzen. Es kann folglich ein Kinobegehren geben, aber eine Gier? Absurde Vorstellung: Jemandem Kino „wegnehmen“. Vielleicht äußert sich die Kinogier im Überlegenheitsgestus des Alleskenners („Ich habe diesen Film, und du nicht!“) oder in der Sucht des Komplettisten.
AntwortenLöschenJa, das mit der Unterscheidung ist mir auch aufgefallen, ich habe mich dann aber dafür entschieden es mehr oder weniger zusammen zu denken, weil ich glaube, dass Gier im Film etwas anderes sein kann, als Gier als Wort mit seiner Bedeutung und Konnotation.Damit meine ich das Gefühl von Gier, das Film nachempfindbar macht, spürbar machen kann. Wie beschreibe ich dieses Gefühl ohne Worte? Da ist es sicher schwer sich auf genaue Bedeutungen zu werfen, oder? Man wird automatisch Grenzen überschreiten. Ich habe gewagt diese Definitionen als eine zu denken, weil ich den Text als eine Reise der Begehrlichkeiten begreife, zu denen Gier gehört. (der erste Entwurf handelte daher auch vom Gold) Es ist ein Text über die Nähe dieser Begriffe nicht über ihre Differenz.
LöschenAn dieser Stelle möchte ich sowieso sagen, dass Gier nicht ganz so einseitig konnotiert ist, wie du das hier zugegebenermaßen klar nachvollziehbar beschreibst. Aber wenn man gierig auf etwas ist, dann kann das auch gut sein im neudeutschen Gebrauch, ich verweise zum Beispiel auf Sportpsychologie.
Kinogier ist ein paradox. Richtig. Aber in Dialogen unter Cinephilen existiert sie. Man ärgert sich, wenn andere etwas sehen was man nicht kennt, ich habe Menschen erlebt, die dann nicht bereit sind zuzuhören, die sich wegschließen. Wir hatten dieses Gespräch einmal geführt über krankhaftes Sehen, das immer und immer weitergeht, das alles gesehen haben muss. Das mag vielleicht keine Gier im wahrsten Sinne des etymologischen Gehalts sein, aber es ist jenes Gefühl, um das es in diesem Text geht und das ich mit Gier bezeichnet habe. Und selbst davor geschützt bin ich am wenigsten.
Ansonsten vielen Dank für die ergänzenden Gedanken, denen ich allen zustimmen kann.