Domink Graf
wollte gestern Abend das Deutsche Fernsehen bereichern und reflektieren,
erneuern und de-modernisieren zugleich. In seinem „Es werde Stadt“, der um
23:15 im WDR ausgestrahlt wurde (und der auch im NDR, von Dienstag auf
Mittwoch, 0:00 Uhr, im SWR, Mittwoch, 23:30 Uhr und im BR, 3. Juni, 22:45 Uhr zu sehen ist)
konstatiert er manchmal eigenwillig, manchmal populistisch den Niedergang des
deutschen Fernsehens anhand des „heldenhaften“ Grimme-Preises zu dessen Ehre
dieser Film entstand. Dabei folgt der Film, den Graf zusammen mit Martin Farkas
realisierte, einer Linie, der Graf auch mit seiner essayistischen Großtat „Das
Wispern in Berg der Dinge“ folgte. Zwar thematisiert er sich und seine Familie
nicht direkt, wohl aber seine berufliche Situation, die bekanntermaßen ja auch
von Konflikten mit der Fernsehlandschaft geprägt es. Er presst seine Stimme auf
manche Bilder, agiert als kritisches Gewissen im Hintergrund oder als unscharfe
Kontur am Rande des Bildes. Die große Ironie des Films bleibt sowieso die Figur
von Graf, der sich zwischen Kritiker und Diener des Fernsehens bewegt und dabei
so etwas wie eine pragmatische-von vielen geschätzte-Autorenhaltung an den Tag
legt, die diese ständig bedient, aber ignorieren will.
Graf und
Farkas verbinden ihre Kritik am Status Quo der Filmlandschaft mit einer
architektonischen Untersuchung von Marl, der Heimat des Grimme-Preises, einer
gefallenen Ödnis im Ruhrgebiet, in die sich Resignation und Hoffnungslosigkeit
eingenistet haben. Gewissermaßen betreibt der Film eine Engführung dieser
beiden Themen, die im explosionsartigen Abriss der Türme der Stadt mit den Logos
der großen deutschen Fernsehsender kulminiert. Ein lauter, womöglich
negierend-agitatorischer Verzweiflungsschrei aus einer Branche im Niedergang.
Dieser Kunstgriff bietet genug Reibungsflächen, um den etwas selbstgefälligen
Gestus des Films, zu rechtfertigen. Insgesamt bemüht sich „Es werde Stadt“ dann
doch sehr darum ein „anderes“, provozierendes, anregendes Fernsehen zu gestalten,
das sich vielleicht nicht gegen die Programmierung spät am Abend wehren kann,
aber zumindest dagegen rebellieren will. Allerhand Meinungsträger,
Stimmungsmacher und Zeitzeugen kommen zwischen dem Found Footage, Reenactments
und Bestandsaufnahmen in Interviews zu Wort und zeichnen nach und nach ein hoffnungsloses
Bild der deutschen Fernsehlandschaft, in der Anspruch, Film und Avantgarde
immer weniger Platz haben und haben werden.
Als zentraler
Aufhänger bedient der Film dann in einer äußerst konstruierten Narration das
Jahr 1989, das für die jüngere Geschichte Europas entscheidende Jahr des Falls
des Eisernen Vorhangs. Dieser Fall hätte die Konsumgesellschaft von der Leine
gelassen, wird schlüssig, aber doch sehr einseitig argumentiert. Den Widerspruch,
dass mit „Die Schwarzwaldklinik“ ein weiterer als Antagonist aufgebautes Hindernis
der Heldenreise des anspruchsvollen Fernsehens bereits Mitte der 1980er Jahre
auf Sendung geht, wird thematisiert, aber in der Relevanz für das Jahr 1989
kommentarlos hingenommen. Geld, Ausbildung, Publikum, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Redakteure,
Produzenten, Praktikantenkultur; der Film holt zu einem Rundumschlag aus, der
ein romantisches Bild von den dokumentarischen Möglichkeiten eines Mediums
spricht, als wäre es noch zeitgemäß. Man müsse sich wieder rückbesinnen. Der
Film argumentiert sich um Kopf und Kragen mit seiner „Rod Stewart singt in
Trümmern-Nostalgie“, die heute-das wird kaum angesprochen-auf Youtube zu sehen
ist. Er fordert Anspruch und er hat natürlich Recht, aber seine Lösungsvorschläge
verkennen, dass die schöne Vergangenheit nichts mit den heutigen
zeitgenössischen Medien und ihrem Gebrauch zu tun hat oder anders: Die Krise
des Fernsehens sollte vielleicht eher zu einem generellen Umdenken im Bereich
Förderung, Kunstbetrieb und Kunstschaffen führen. Aber dieses Thema wirkt
genauso klischeebeladen wie die Pauschalargumente, die sich in „Es werde Stadt“
gegen die Dominanz des Kommerz-TVs wehren.
Aber ist es
wirklich so einfach? Schließlich würde ich im Bereich des Films auch davon
sprechen, dass man insbesondere in Deutschland schon mal weitergewesen ist als
heute. Die Rückbesinnung auf das Vergangene könnte aber der idealistische Traum
von Unverbesserlichen sein. Jedenfalls befürchte ich das. Jemand, der die
Vergangenheit so stark beschwört, müsste jedenfalls zumindest versuchen die Gegenwart
zu greifen. Und hier stoße ich mich am Film. Sobald „Es werde Stadt“ sich auf
die Zukunft konzentriert oder den Nachwuchs beleuchtet, wechselt er den Ton.
Als Nachwuchskräfte werden zwei junge Medienauszubildende beim Bau eines Regals
gezeigt. Sie scheinen weder in der Lage Fernsehen zu reflektieren, noch haben
sie eine Meinung oder gar Interesse. (ein ähnliches Spiel wird dann auch mit
der Jugend in Marl getrieben) Herrn Farkas und Herrn Graf sollte bewusst sein,
dass nicht aller Medien- und Filmnachwuchs so denkt und arbeitet. Wo ist eine
andere Position in diesem Film? Wo ist dieser Film dokumentarisch, wenn er mit
einer solch starken Hand geführt wird, dass der Raum für Reflektion immer genau
so groß ist wie er sein darf?
Dem ganzen
Unterfangen mischen Graf und Farkas dann seltsam verträumt und idealistisch zum
einen eine Chris Marker Zeitreise anhand einer Nachrichtensprecherin (wunderbar
verletztlich re-enacted von Judith Bohle) und deren nachgestellter Ansagen und
einem Fotoessay über ihr Privatleben. die wohl darauf hinweist, wie sich
Privates und Ehrliches langsam aus dem TV verabschiedeten und zum anderen eine
sowieso schon verklärte und reduzierte Sicht auf das tolle Bildungsfernsehen
früherer Tage bei. Das ist zum einen fatal für die Argumentationsstruktur eines
ach so dokumentarischen Films und zum anderen ist es für die Gegenwart kaum von
Interesse, denn das Fernsehen der Zukunft, oder sagen wir, das
Revolutionspotenzial für das Fernsehen der Zukunft liegt bei Menschen, die diese
Zeit nicht kennen. Denn im Gegensatz zum Kino hat Fernsehen keine Haltbarkeit,
es ist ein direktes, zeitbezogenes Medium während Film/Kino immer und in jeder Aufführung neu zur Gegenwart wird.
Die
Fernsehnostalgie der Generation, der Graf und praktisch all seine länger als
ausschnittshaft Befragten angehören, ist eben nur von destruktivem Interesse.
Der Vorschlag des Films bleibt dann eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit. „Es
werde Stadt“ ist ein interessantes und effektives Projekt, das die richtigen
Fragen stellt, aber nie darüber hinausgehen könnte, weil es statt einer
Dringlichkeit nur auf eine Melancholie setzt oder anders: Ein Film, der von
einer Utopie spricht, die in der Vergangenheit liegt und der daher nie
zeitgemäß sein kann, weil er es immer ist.
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