Text: Rainer Kienböck
Bilder: diagonale.at
Die
Diagonale benennt ihre Experimentalkurzfilmprogramme „Innovatives Kino“. Diese
Bezeichnung kann man mögen oder ablehnen. Fakt ist, ich habe mir alle vier
Programme angesehen und lasse nun Revue passieren, welche der Filme dieses
Label meiner Meinung nach verdient haben und dabei viel lieber Fragen stellen
als Antworten geben:
(die Filme
sind in der Reihenfolge geordnet in der ich sie gesehen habe, das ist keine
Rangliste)
„STILL
DISSOLUTION“ (Siegfried A. Fruhauf)
Analoge
Urlaubsfotos werden mittels Bunsenbrenner langsam verformt und zerstört (?).
Dieser Film ist so vielschichtig, es lohnt sich intensiv darüber nachzudenken.
Will Fruhauf das Verblassen der Erinnerung thematisieren, den Tod des Analogen?
Will er durch die Deformierung des Bildes neue Bilder schaffen – Vandalismus
als Kunstschaffen, Kunstschaffen als Vandalismus (wie in „Minimal Vandalism“
später). Eine
Wiedergeburt des Analogen im digitalen Tod. Einer meiner
Festival-Favoriten.
„Creme 21“ (Eve Heller)
Eve Heller
brachte einen der imposantesten Filme mit auf die Diagonale. Einen
Found-Footage Opus aus frenetischen Filmschnipseln – analog gearbeitet versteht
sich, und dabei immer die richtige Tonspur zum richtigen Bild. Was bleibt sind
nicht Einzelbilder (daran kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern),
sondern ein stimmiger Gesamteindruck eines, teils futuristischen, teils
kritischen, teils politischen Films.
„Picture Perfect Pyramid“ (Johann Lurf)
Auch ich
habe Gefallen gefunden an Johann Lurfs konzeptueller Pyramidenstudie. Die Pyramide,
der Schnee und der Rhythmus der präzisen, statischen Einstellungen, die immer
Sinn ergeben, umso mehr man darüber erfährt.
„sexy“
(Kurdwin Ayub)
Kannst du
nicht tanzen, dann winde dich auf deinem Bett und nenne es Kunst! Eine
reflexive Neuinterpretation des Formats „Fan-Homagevideo“ – totally out of
place aber genau richtig. Die Künstlerin im Publikumsgespräch danach war einer
meiner persönlichen Höhepunkte des Festivals– mit Chuzpe und aufgesetzter
Teilnahmslosigkeit spricht sie den Produktionsprozess an: „Wir haben 30 Minuten
gefilmt, 30 Minuten geschnitten und dann der Diagonale geschickt.“
„Ma peau
précieuse“ (Friedl vom Gröller)
Friedl vom
Gröller (auch bekannt als Friedl Kubelka) hat augenscheinlich Angst vor dem
Tod. Deshalb hat sie 2013 einen Beinahe-Zyklus aus Arbeiten gemacht, die alle
irgendwie mit dem Thema zu tun haben (die Diagonale zeigte fünf davon). Als
repräsentatives Beispiel habe ich „Ma peau précieuse“ gewählt, der am Beispiel
einer Frau und ihrer Beautyprodukte den Anti-Aging-Wahnsinn durchleuchtet.
Vielleicht kein so großes und konzeptuelles Werk wie andere in dieser Liste
hier, aber ehrlich, authentisch und unterhaltsam.
„Goodbye“
(Karin Fisslthaler)
Karin
Fisslthalers Musikvideos gehören mit zum spannendsten was die österreichische
Experimentalfilmszene zu bieten hat. In „Goodbye“ widmet sie sich der Geste im
Hollywoodfilm. Sie ist dem Wandel von Abschieds- und Begrüßungsgesten im Laufe
der Zeit auf der Spur und durch stetes vor- und zurücklaufen der Bilder deckt
sie Bedrohliches und Komisches in den Gesten auf.
„Wotruba“
(Thomas Draschan)
Auf den
ersten Anhieb konnte mich dieser Film nicht vollends überzeugen. Dann betrat
Kubelka-Schüler Draschan die Bühne und legte los wie ein Duracell-Hase: Er habe
jetzt eine Zeit lang nur Found-Footage Filme gemacht, weil ihm die Entwicklung
des Digitalen nicht zusagte. „Wotruba“ entstand nun aber auf eine Weise die nur
digital möglich ist – mit einer billigen Digitalkamera aus tausenden
Einzelbildern und viel Körperlichkeit in den Bildern. Dahinter steht auch eine
tiefe Verehrung für Wotruba. Es ist eine liebkosende Erforschung eines Raums,
der Wotrubakirche.
„Reign of Silence“ und „High Tide“ (Lukas Marxt)
„High Tide“
gewann den Jurypreis in der Kategorie „Innovativer Film“. Es handelt sich
hierbei um eine Erforschung eines Fjords im norwegischen Eiland Spitzbergen.
Lichtverhältnisse und Landschaft geben der Szenerie ein unwirkliches Aussehen.
Der Film wirkt wie ein hyperreales Gemälde. Besser noch fand ich jedoch die
zweite Arbeit von Marxt, die auf der Diagonale gezeigt wurde. Für „Reign of
Silence“ kletterte er auf einen Kran, der vormals zu einem Bergwerk gehörte.
Von dort eröffnet sich ein (Kamera-) Blick auf eine Bucht in der ein
Schlauchboot seine wortwörtlichen Kreise zieht. Der caméra-stylo wird zum
Schlauchboot-stylo, das Ergebnis ist ein genuin filmisches.
„O.T.“
(Markus Scherer)
Ein
schneebedeckter Berghang. Warten. Warten. Warten. Ein einzelner Skifahrer fährt
eine schnurgerade Spur hinab. Warten.
Ich habe auf
eine Lawine gehofft und wurde durch diese Spur enttäuscht, geschockt,
beeindruckt. Mit Präzision und Kalkül kreierte Scherer hier einen Freeridefilm
im weitesten Sinne, der mit allen Konventionen dieses Formats bricht. Was
bleibt, ist die Spur im Schnee und die Frage ob das jetzt Kunst oder Ignoranz
ist.
„Minimal
Vandalism“ (Kay Walkowiak)
Noch ein
Film in der Grauzone von Sport und Kunst. Ein Skateboardfilm könnte man
vermuten. Aber auch hier ist alles anders als es zunächst scheint – zuerst die
Location – das Generali Kunstforum. Dann die allmähliche Abkehr vom Festhalten
der (eindrucksvollen) Tricks durch die Kamera hin zu Studien der Beschädigungen
die das Board an den Wänden, Böden und Rampen hinterlässt. Ich randaliere hier!
Ich bin Künstler ich darf das!
„darkroom“
(Billy Roisz)
Roisz‘
verstörend brillanter stroboskopartiger Einblick in die heiligen Hallen des
Österreichischen Filmmuseums. Kino – Epilepsie – Albtraum und noch viel mehr.
Ein Raum bespielt von Licht und Musik. Audiovisuelle Ekstase aber niemand der
sie auslebt – zugleich klinisch und schmutzig. Ein zutiefst intuitiv wirkender
Film hinter dem allerdings enorm viel Planung steckt – wie so oft in der Kunst.
„der
springende punkt.“ (Thomas Brandstätter)
An der
Grenze von Animation und Experimentalfilm operiert Thomas Brandstätter mit
seinem Film. Eine Mischung aus Stop-Motion, Collage, Live-Action und allen
möglichen anderen Techniken, die ich vielleicht übersehen habe oder an die ich
mich nicht mehr erinnern kann machen den „punkt“ zu einem Augenschmaus für
Animationsliebhaber (wie mich). Einer der unterhaltsamsten Filme in den
Avantgardefilme-Programmen der Diagonale – ein Film von gondry-esquen
Qualitäten.
„IT’S A
DANCE“ (Viktoria Schmid)
Letzten
Winter habe ich einen Film von Bill Morrison gesehen. Der Amerikaner ist
bekannt für seine Filme aus bereits stark zersetzten Archivmaterialien. So
betont Morrison die Materialität des Films. Viktoria Schmids Film könnte man
als digitalen Counterpart dazu bezeichnen. Sie nahm sich einer beschädigten
Videodatei einer 90er Jahre Teenieserie an und ästhetisierte die Bildfehler zu
einem imposanten Musikvideo, dass uns mehr über das neue, digitale Paradigma
erahnen lässt, als uns zuvor klar war.
„MeTube:
August sings Carmen ‚Habanera‘“ (Daniel Moshel)
Ein Film,
der eigentlich zu lustig ist für ein ernstes Kunstfilmprogramm. Ein
aberwitziges und furchtbar aufwändiges Musikvideo im Stile eines Fancovers. Die
Teestunde bei Oma wandelt sich zu einem S&M-Fest sondergleichen –
Electrobeats unterbrechen die Arie. Danach ist man für sein Leben gezeichnet
oder hält sich den Bauch vor Lachen – mehr Möglichkeiten gibt es da nicht.
„The
Construction of ANSTALT 3000“ (Helmut Munz)
David
OReilly! Machen wir keinem etwas vor – „ANSTALT” ist ein OReilly-Klon – und das
ist gut so. Wer Freude an der Arbeit des jungen Iren hat, wird auch Gefallen am
Film von Helmut Munz finden. Er ist obszön, hat den distinkten Look eines eher
sorglos gearbeiteten Videospiels und ist doch recht flashig, wenngleich nicht
unbedingt farbenfroh. Ein großer Abschluss für eine Reihe großer
Experimentalfilme.
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