Mittwoch, 9. April 2014

Das Kinojahr 2014-1.Quartal: Das Kino der Rahmungen



Am Anfang eines Kinojahres überlagern sich häufig noch jene Überbleibsel aus dem Vorjahr, die man nachholt oder die erst dann, oft oscargeschuldet den Weg in die heimischen Kinos finden, und die tatsächlichen Neustarts, die den Winter bereichern sollen und auf den ersten Festivals des Jahres für Enttäuschung oder Begeisterung sorgen.  Daher erklärt sich, dass noch viele Filme aus dem Jahr 2013 in meinem Rückblick auf das erste Quartal 2014 auftauchen.
 

Scorsese lässt uns durch sein Büro fliegen. Haben wir in „Casino“ noch unter den Tisch sehen dürfen, um DeNiro ohne Hosen zu sehen, so fliegt das satirische Potenzial geradezu durch die Fenster einer koksgeladenen Gesellschaft, die in der ausufernden Form von „The Wolf of Wall Street“ einen cineastischen Rausch ermöglicht, der Kino über Moral stellt und den pulsierenden, musikgeschwängerten Ton der ersten Kinomonate des Jahres vorgibt. Scorsese rahmt-und das macht er schon sehr lange sehr gerne- seine Handlungen mit einer Voice Over Orgie, die sich bei ihm aber immer wieder verflüchtigt, weil sie wie ein Live-Audiokommentar daherkommt und keiner klaren Linie, keinem Drehbuch zu folgen scheint. Wie in auffallend vielen Filmen dieser ersten Monate fungiert der Voice Over bei Scorsese aber dennoch als Bewusstwerdung der Narration: Hier werden Geschichten erzählt. Ob dies einschränkt oder befreit, hängt von den jeweiligen Filmen ab, so ganz zünden wollte die Gegenwärtigkeit des Kinos aber nicht in den meisten Filmen. Fast scheint es, als würden Filmemacher sich der Vergangenheit beziehungsweise der Vergänglichkeit ihres eigenen Mediums gewahr werden, indem sie Geschichten wie in Märchen mit einer merkwürdigen zeitlichen Distanz wiedergeben. Dieses Zwischenfazit hat an sich denselben Ton, beginnt aber mit Scorsese, der die Vergangenheit mühelos auf die Gegenwart projiziert.


Vom Lärm der Wall Street, in die piepsenden Computer, die in einer „Long Live the Nerds“ Haltung bei Andrew Bujalski in seinem „Computer Chess“ liebenswert betrachtet und manchmal ins Lächerliche gezogen werden. Die Rahmung findet sich bei Bujalski im verwendeten Medium, denn gedreht ist sein Film tatsächlich auf Video. Der 80er Jahre Retro Charme, der sich in die analoge Hipster-Welt einreiht und damit Form und Inhalt verbindet, leugnet jedwede Direktheit in einem Experiment, das eine schrullige Vergangenheit noch schrulliger erscheinen lassen soll. Rahmungen nehmen den Geschichten Relevanz und Realität, machen aber gleichzeitig auf den Herstellungsprozess aufmerksam. Ob die Verwendung des dominanten Mediums einer Zeit zum diegetischen Kern der Handlung in „Computer Chess“ vordringen kann, oder ob es sich dabei nur um einen formellen Samenerguss handelt, sei dahingestellt. Ähnlich vergangenheitstreu kam mit der Gewalt eines oscargeilen Regisseurs auch „12 Years a Slave“, indem sich die Rahmung schlicht im literarischen Vergangenheitsgestus findet, den der Film zum Unmut vieler politischer Filmkritiker stolz vor sich herträgt. Die zeitliche Ferne der Handlung und die Künstlichkeit des Dialogs, stoßen sich mit der von McQueen forcierten Dringlichkeit einer Thematik. Seine technische Perfektion hat sich nun endgültig in einen rhetorischen Regiestil verwandelt, der ganz im Gegensatz zu Scorsese Moral über Kino stellt und gerade dabei die Realität in einer merkwürdigen Starlogik und Bilderstruktur ignoriert.   


Rahmungen sind irgendwann in den 10er Jahren des vergangenen Jahrhunderts „erfunden“ worden, um Geschichten für ein Publikum verständlich zu machen. 100 Jahre später hat sich Mainstream-Kinosprache kaum weiterentwickelt, in einer schrecklichen Inhaltsbesessenheit werden zu Gunsten der Verständlichkeit sämtliche Möglichkeiten des Mediums (ganz egal, ob Film oder Digital) ausgeklammert. Das wäre okay, wenn man sich nicht derart viel auf angeblichen kreativen Errungenschaften sitzend, rühmen lassen würde für Kunst, die nur gutes Handwerk ist. Hollywoodkino und solches, das es gerne wäre, ist in einem finsteren Tal (ja!) der totalen Reproduktion von Erzählmustern angekommen, in die Rahmungen, Flashbacks oder sonstige zeitliche Blenden eingeworfen werden wie Zitate, um dann am Ende die Rahmung mit der Handlung zusammenzuführen und auch in diesem Fall keinen Schritt weiter zu sein als vor 100 Jahren, als hätte es Rossellini oder Bergman nie gegeben. Filmkunst braucht auch gar keinen Fortschritt, aber ein Bewusstsein der eigenen Geschichte und Geschichtlichkeit wäre bei so viel Geschichte in den Filmen sicherlich vorteilhaft. Ich bezweifle gar nicht, dass McQueen oder auch Wes Anderson, Spike Jonze, David O.Russell und viele mehr dieses Bewusstsein haben. Ihre Entscheidungen beugen sich dann aber doch immer den Regeln, die von Kritikern geduldet werden, von Zusehern gefeiert und von Historikern geliebt werden. Als Folge resultiert Stagnation, die man gerade dieses Jahr bislang sehr deutlich sehen kann. Kein Wunder, dass man die Bibel wieder verfilmt.



„American Hustle“ von David O. Russell ist in dieser Hinsicht vielleicht (würde es Lars von Trier nicht geben) der Meta-Film des ersten Quartals. Seine Rahmung und Historizität ist eine verschachtelte, Rahmung hinter Rahmung hinter Rahmung und trotzdem reichen drei Sekunden Look oder Soundtrack, um eine zeitliche Verortung zu bestimmen. In dieser ganzen Rahmenshow verliert sich dann-und das hebt den Film positiv ab-die Geschichte selbst, die nur noch einen lockeren Faden oder gar Rahmen für den Film selbst gibt, für die Schau. Drei Rahmungen gibt es auch bei Wes Anderson in „The Grand Budapest Hotel“. Ein Flashback im Flashback im Flashback sozusagen und die ganzen Türen, Boxes und doppelten Gesichter bedienen auch stilistisch-symmetrisch den Retro-Spleen eines zeitgenössischen Filmemachers, der so zeitgenössisch ist, weil er es nicht ist. Der Retro-Film ist aber genauso zeitgebunden wie die Stoffe, die er verhandeln kann, es ist nur eine Mode. Den Höhepunkt dieser Einfallslosigkeit bietet sicherlich das „Jennifer Garner kann immer noch nicht Schauspielen“-Vehikel „Dallas Buyers Club“ von  Jean-Marc Vallée, der sich ebenfalls in den 1980er Jahren bewegt und eine wortwörtliche Rahmung am Rande eines Bullfights liefert. Hier wird eine völlig einfallslose soziale und genderrelevante Verortung an den Beginn eines Films gestellt, der lediglich aus dem abgemagerten Gesicht seines gottesfürchtigen Hauptdarstellers eine Dringlichkeit und Gegenwärtigkeit gewinnen kann, die Filmen eigentlich eigen sein muss. Man mag argumentieren, dass Film, dadurch, dass es ein Speichermedium ist, immer nur die Vergangenheit abbildet, man muss aber zugeben, dass Film auch die Fähigkeit besitzt: 

1. In der Aufführung gegenwärtig zu sein
2. Über uns/heute zu sprechen 
3. Gar nicht zu erzählen, sondern nur zu leben.



Über uns sprechen wollte auch Spike Jonze in seinem „Her“. Am Ende hat er über nichts gesprochen, außer, dass man auch mit neuen Medien die alten Geschichten erzählen kann. In einer völlig verklärten Liebesnostalgie erzählt er die Romanze zwischen einem Menschen und einem Computersystem. Nach circa 22 Minuten hat man alles gesehen, was in diesem Film passieren wird. Erschreckend wie der Protagonist als klassischer Spike Jonze Nostalgiker exakt jener Generation angehört, die sich normal vor dem technologischen Fortschritt verweigert und wie er ganz abstrakt und dadurch gerahmt als eine platte Idee für den liebenden Mann herhalten muss. Fatal daran erscheint mir, dass das Wesen der Veränderung sozialer Relationen auf die Figur des Operating-Systems übertragen wird, aber den/die Menschen scheinbar unbeeindruckt lässt: Simultanität. Für den Protagonisten gestaltet sich die Liebe zu einem Computer genau wie die Liebe zu einer Frau. Und diese erloschene Liebe zu einer Frau, wird eingefangen, man ahnt es, durch einen geglätteten Musikvideo-Hipster Flashback mit einem Look direkt aus der Waschmaschine. Weniger sauber geht es da bei „Nymphomaniac“ von Lars von Trier zu. Allerdings reduziert er sein eigenes Kino auf intellektuelle Ideen, die sich eben und einzig in seiner Rahmung, die die ganze enzyklopädische Struktur seiner oberflächlichen Masturbation des Wissens aufmacht. Diese Rahmung ist strukturgebend und natürlich stellt sich die Frage nach dem Erzählen von Geschichten und deren Veränderungen und Metaphorik darin. Lars von Trier ist sicherlich ein guter Drehbuchautor und man kann seinen Rahmungen einiges abgewinnen, insbesondere, da er schon immer ganz im Sinne von Brecht mit solchen experimentiert. Vielleicht ist das Kino der Rahmungen einfach unserer heutigen Wahrnehmung inmitten der Link- und Tabstruktur des Internets entsprechend, vielleicht gibt es keine unberührte Gegenwart mehr in unserem Leben, weil immer schon die nächste Flucht, der nächste Kick auf uns wartet. Womöglich ist unser Leben eine einzige psychologische Interpretation, ein „Über-Ich und Du“ geworden, in der Vergangenheit und Gegenwart immer gleichzeitig existieren. Dann frage ich mich aber, warum sie in den Filmen immer so überdeutlich abgegrenzt werden. Dieses Jahr markierte leider auch das Jahr des Todes von Alain Resnais, einem Regisseur, der schon vor etlichen Jahren die Zeiten verbunden hat statt sie zu trennen. Vielleicht sollte man sich darauf zurückbesinnen. Das Problem des Flashbacks ist nicht seine Existenz, sein Problem ist, dass dem Zuseher bewusst gemacht wird, dass er sich nun in der Vergangenheit befindet. Und das hat nichts mit dem wirklichen Leben zu tun.


Dieses Kino ermüdet. Es gibt Ausnahmen. Eine narrative Ausnahme stellt beispielsweise „All is Lost“ von J.C Chandor dar. Hier gibt es Nichts, hier gibt es nichts. Keine Psychologisierungen, keine Rahmungen, keine dauernden Versprachlichungen. Obwohl nicht alles im Film funktioniert, muss man ihm genau diesen Aspekt zugestehen. Und bezeichnend scheint mir, dass gerade diesem Film eine gesellschaftliche Relevanz zugesprochen wird. Ansonsten findet sich diese Hingabe zur Realität, die über die Geschichten gestellt wird, die Film als einen Sensor des Moments versteht, in Dokumentationen. „At Berkeley“ von Frederick Wiseman, der letztes Jahr in Venedig Premiere feierte oder „Those who go those who stay“ von Ruth Beckermann. Diese Filme lassen sich durch die Augenblicke treiben, sie beobachten statt zu rahmen, sie leben statt zu stagnieren. Die meisten Filme des ersten Quartals reden um vorwärtszukommen und bleiben dadurch umso mehr stehen. Those who go sind jene Filme, die sich trauen präsent zu sein statt immer nur zu repräsentieren. Ich sollte schnell sehen, was Tsai Ming-liang in Berlin gezeigt hat. Dann könnte ich mich beruhigen, kurz.

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