Am Anfang
eines Kinojahres überlagern sich häufig noch jene Überbleibsel aus dem Vorjahr,
die man nachholt oder die erst dann, oft oscargeschuldet den Weg in die
heimischen Kinos finden, und die tatsächlichen Neustarts, die den Winter
bereichern sollen und auf den ersten Festivals des Jahres für Enttäuschung oder
Begeisterung sorgen. Daher erklärt sich,
dass noch viele Filme aus dem Jahr 2013 in meinem Rückblick auf das erste Quartal
2014 auftauchen.
Scorsese
lässt uns durch sein Büro fliegen. Haben wir in „Casino“ noch unter den Tisch
sehen dürfen, um DeNiro ohne Hosen zu sehen, so fliegt das satirische Potenzial
geradezu durch die Fenster einer koksgeladenen Gesellschaft, die in der
ausufernden Form von „The Wolf of Wall Street“ einen cineastischen Rausch
ermöglicht, der Kino über Moral stellt und den pulsierenden,
musikgeschwängerten Ton der ersten Kinomonate des Jahres vorgibt. Scorsese
rahmt-und das macht er schon sehr lange sehr gerne- seine Handlungen mit einer
Voice Over Orgie, die sich bei ihm aber immer wieder verflüchtigt, weil sie wie
ein Live-Audiokommentar daherkommt und keiner klaren Linie, keinem Drehbuch zu
folgen scheint. Wie in auffallend vielen Filmen dieser ersten Monate fungiert
der Voice Over bei Scorsese aber dennoch als Bewusstwerdung der Narration: Hier
werden Geschichten erzählt. Ob dies einschränkt oder befreit, hängt von den
jeweiligen Filmen ab, so ganz zünden wollte die Gegenwärtigkeit des Kinos aber
nicht in den meisten Filmen. Fast scheint es, als würden Filmemacher sich der
Vergangenheit beziehungsweise der Vergänglichkeit ihres eigenen Mediums gewahr
werden, indem sie Geschichten wie in Märchen mit einer merkwürdigen zeitlichen
Distanz wiedergeben. Dieses Zwischenfazit hat an sich denselben Ton, beginnt
aber mit Scorsese, der die Vergangenheit mühelos auf die Gegenwart projiziert.
Vom Lärm der
Wall Street, in die piepsenden Computer, die in einer „Long Live the Nerds“
Haltung bei Andrew Bujalski in seinem „Computer Chess“ liebenswert betrachtet
und manchmal ins Lächerliche gezogen werden. Die Rahmung findet sich bei
Bujalski im verwendeten Medium, denn gedreht ist sein Film tatsächlich auf
Video. Der 80er Jahre Retro Charme, der sich in die analoge Hipster-Welt
einreiht und damit Form und Inhalt verbindet, leugnet jedwede Direktheit in
einem Experiment, das eine schrullige Vergangenheit noch schrulliger erscheinen
lassen soll. Rahmungen nehmen den Geschichten Relevanz und Realität, machen
aber gleichzeitig auf den Herstellungsprozess aufmerksam. Ob die Verwendung des
dominanten Mediums einer Zeit zum diegetischen Kern der Handlung in „Computer
Chess“ vordringen kann, oder ob es sich dabei nur um einen formellen Samenerguss
handelt, sei dahingestellt. Ähnlich vergangenheitstreu kam mit der Gewalt eines
oscargeilen Regisseurs auch „12 Years a Slave“, indem sich die Rahmung schlicht
im literarischen Vergangenheitsgestus findet, den der Film zum Unmut vieler
politischer Filmkritiker stolz vor sich herträgt. Die zeitliche Ferne der
Handlung und die Künstlichkeit des Dialogs, stoßen sich mit der von McQueen
forcierten Dringlichkeit einer Thematik. Seine technische Perfektion hat sich
nun endgültig in einen rhetorischen Regiestil verwandelt, der ganz im Gegensatz
zu Scorsese Moral über Kino stellt und gerade dabei die Realität in einer
merkwürdigen Starlogik und Bilderstruktur ignoriert.
Rahmungen sind irgendwann in den 10er Jahren
des vergangenen Jahrhunderts „erfunden“ worden, um Geschichten für ein Publikum
verständlich zu machen. 100 Jahre später hat sich Mainstream-Kinosprache kaum
weiterentwickelt, in einer schrecklichen Inhaltsbesessenheit werden zu Gunsten
der Verständlichkeit sämtliche Möglichkeiten des Mediums (ganz egal, ob Film
oder Digital) ausgeklammert. Das wäre okay, wenn man sich nicht derart viel auf
angeblichen kreativen Errungenschaften sitzend, rühmen lassen würde für Kunst,
die nur gutes Handwerk ist. Hollywoodkino und solches, das es gerne wäre, ist
in einem finsteren Tal (ja!) der totalen Reproduktion von Erzählmustern
angekommen, in die Rahmungen, Flashbacks oder sonstige zeitliche Blenden
eingeworfen werden wie Zitate, um dann am Ende die Rahmung mit der Handlung
zusammenzuführen und auch in diesem Fall keinen Schritt weiter zu sein als vor
100 Jahren, als hätte es Rossellini oder Bergman nie gegeben. Filmkunst braucht
auch gar keinen Fortschritt, aber ein Bewusstsein der eigenen Geschichte und
Geschichtlichkeit wäre bei so viel Geschichte in den Filmen sicherlich vorteilhaft.
Ich bezweifle gar nicht, dass McQueen oder auch Wes Anderson, Spike Jonze,
David O.Russell und viele mehr dieses Bewusstsein haben. Ihre Entscheidungen
beugen sich dann aber doch immer den Regeln, die von Kritikern geduldet werden,
von Zusehern gefeiert und von Historikern geliebt werden. Als Folge resultiert
Stagnation, die man gerade dieses Jahr bislang sehr deutlich sehen kann. Kein
Wunder, dass man die Bibel wieder verfilmt.
„American
Hustle“ von David O. Russell ist in dieser Hinsicht vielleicht (würde es Lars
von Trier nicht geben) der Meta-Film des ersten Quartals. Seine Rahmung und
Historizität ist eine verschachtelte, Rahmung hinter Rahmung hinter Rahmung und
trotzdem reichen drei Sekunden Look oder Soundtrack, um eine zeitliche
Verortung zu bestimmen. In dieser ganzen Rahmenshow verliert sich dann-und das
hebt den Film positiv ab-die Geschichte selbst, die nur noch einen lockeren
Faden oder gar Rahmen für den Film selbst gibt, für die Schau. Drei Rahmungen
gibt es auch bei Wes Anderson in „The Grand Budapest Hotel“. Ein Flashback im
Flashback im Flashback sozusagen und die ganzen Türen, Boxes und doppelten Gesichter
bedienen auch stilistisch-symmetrisch den Retro-Spleen eines zeitgenössischen
Filmemachers, der so zeitgenössisch ist, weil er es nicht ist. Der Retro-Film
ist aber genauso zeitgebunden wie die Stoffe, die er verhandeln kann, es ist
nur eine Mode. Den Höhepunkt dieser Einfallslosigkeit bietet sicherlich das „Jennifer
Garner kann immer noch nicht Schauspielen“-Vehikel „Dallas Buyers Club“ von Jean-Marc Vallée, der sich ebenfalls in den
1980er Jahren bewegt und eine wortwörtliche Rahmung am Rande eines Bullfights
liefert. Hier wird eine völlig einfallslose soziale und genderrelevante
Verortung an den Beginn eines Films gestellt, der lediglich aus dem
abgemagerten Gesicht seines gottesfürchtigen Hauptdarstellers eine Dringlichkeit
und Gegenwärtigkeit gewinnen kann, die Filmen eigentlich eigen sein muss. Man
mag argumentieren, dass Film, dadurch, dass es ein Speichermedium ist, immer
nur die Vergangenheit abbildet, man muss aber zugeben, dass Film auch die Fähigkeit
besitzt:
1. In der Aufführung gegenwärtig zu sein
2. Über uns/heute zu sprechen
3. Gar nicht zu erzählen, sondern nur zu leben.
Über uns
sprechen wollte auch Spike Jonze in seinem „Her“. Am Ende hat er über nichts
gesprochen, außer, dass man auch mit neuen Medien die alten Geschichten
erzählen kann. In einer völlig verklärten Liebesnostalgie erzählt er die
Romanze zwischen einem Menschen und einem Computersystem. Nach circa 22 Minuten
hat man alles gesehen, was in diesem Film passieren wird. Erschreckend wie der
Protagonist als klassischer Spike Jonze Nostalgiker exakt jener Generation
angehört, die sich normal vor dem technologischen Fortschritt verweigert und
wie er ganz abstrakt und dadurch gerahmt als eine platte Idee für den liebenden
Mann herhalten muss. Fatal daran erscheint mir, dass das Wesen der Veränderung
sozialer Relationen auf die Figur des Operating-Systems übertragen wird, aber
den/die Menschen scheinbar unbeeindruckt lässt: Simultanität. Für den Protagonisten
gestaltet sich die Liebe zu einem Computer genau wie die Liebe zu einer Frau.
Und diese erloschene Liebe zu einer Frau, wird eingefangen, man ahnt es, durch
einen geglätteten Musikvideo-Hipster Flashback mit einem Look direkt aus der
Waschmaschine. Weniger sauber geht es da bei „Nymphomaniac“ von Lars von Trier
zu. Allerdings reduziert er sein eigenes Kino auf intellektuelle Ideen, die
sich eben und einzig in seiner Rahmung, die die ganze enzyklopädische Struktur
seiner oberflächlichen Masturbation des Wissens aufmacht. Diese Rahmung ist
strukturgebend und natürlich stellt sich die Frage nach dem Erzählen von
Geschichten und deren Veränderungen und Metaphorik darin. Lars von Trier ist
sicherlich ein guter Drehbuchautor und man kann seinen Rahmungen einiges
abgewinnen, insbesondere, da er schon immer ganz im Sinne von Brecht mit
solchen experimentiert. Vielleicht ist das Kino der Rahmungen einfach unserer
heutigen Wahrnehmung inmitten der Link- und Tabstruktur des Internets
entsprechend, vielleicht gibt es keine unberührte Gegenwart mehr in unserem
Leben, weil immer schon die nächste Flucht, der nächste Kick auf uns wartet.
Womöglich ist unser Leben eine einzige psychologische Interpretation, ein „Über-Ich
und Du“ geworden, in der Vergangenheit und Gegenwart immer gleichzeitig
existieren. Dann frage ich mich aber, warum sie in den Filmen immer so
überdeutlich abgegrenzt werden. Dieses Jahr markierte leider auch das Jahr des
Todes von Alain Resnais, einem Regisseur, der schon vor etlichen Jahren die
Zeiten verbunden hat statt sie zu trennen. Vielleicht sollte man sich darauf
zurückbesinnen. Das Problem des Flashbacks ist nicht seine Existenz, sein
Problem ist, dass dem Zuseher bewusst gemacht wird, dass er sich nun in der
Vergangenheit befindet. Und das hat nichts mit dem wirklichen Leben zu tun.
Dieses Kino
ermüdet. Es gibt Ausnahmen. Eine narrative Ausnahme stellt beispielsweise „All
is Lost“ von J.C Chandor dar. Hier gibt es Nichts, hier gibt es nichts. Keine
Psychologisierungen, keine Rahmungen, keine dauernden Versprachlichungen.
Obwohl nicht alles im Film funktioniert, muss man ihm genau diesen Aspekt
zugestehen. Und bezeichnend scheint mir, dass gerade diesem Film eine
gesellschaftliche Relevanz zugesprochen wird. Ansonsten findet sich diese
Hingabe zur Realität, die über die Geschichten gestellt wird, die Film als
einen Sensor des Moments versteht, in Dokumentationen. „At Berkeley“ von
Frederick Wiseman, der letztes Jahr in Venedig Premiere feierte oder „Those who
go those who stay“ von Ruth Beckermann. Diese Filme lassen sich durch die
Augenblicke treiben, sie beobachten statt zu rahmen, sie leben statt zu
stagnieren. Die meisten Filme des ersten Quartals reden um vorwärtszukommen und
bleiben dadurch umso mehr stehen. Those who go sind jene Filme, die sich trauen
präsent zu sein statt immer nur zu repräsentieren. Ich sollte schnell sehen,
was Tsai Ming-liang in Berlin gezeigt hat. Dann könnte ich mich beruhigen,
kurz.
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