Mittwoch, 5. März 2014

Idi i smotri von Elem Klimow



Das erste Bild in „Idi i smotri“, der in seiner ganzen forschen Nacktheit den Zuseher auf ein Kommen und Sehen einlädt, ist eines der Orientierungslosigkeit. Ein Mann steht mit weggedrehtem Gesicht in einer Nahaufnahme vor uns. Hinter ihm verschwimmen die Bilder einer sandigen Landschaft. Wie so vieles im Film ist die Umgebung hier Teil der Situation, in der sich die Figuren befinden.  Das Licht, der Ton, die Natur. Alles zeigt das Innenleben der Charaktere und insbesondere des jungen Florya an, der in einer zum Teil unschuldigen Verspieltheit vom Krieg (dem 2.Weltkrieg in Weißrussland) überrollt wird, wie sein Land, und der dann das humanistische wie brutale Bild des Films trägt. 
 

Ich habe in diesem Film Krieg als Spiel, Krieg als Freude, Krieg als Leid, Krieg als Irrsinn, Krieg als Einsamkeit, Krieg als Poesie, Krieg als Natur, Krieg als Traum, Krieg als Absurdität, Krieg als Hoffnung und Krieg als das Ende und den Anfang aller Menschlichkeit wahrgenommen. Klimow hat diesen Film Mitte der 1980er Jahre gedreht, aber er wirkt wie völlig am Puls der Zeit. 

Die Detailtreue und die Massen an Statisten lösen eine Intensität aus wie man sie nur aus den ganz großen Kriegsfilmen kennt. Aber „Idi i smotri“ ist nicht wirklich ein Kriegsfilm, sondern vielmehr ein Blick in die Gewalt der menschlichen Seele und die Suche nach ihrem Kern.

Am Augenscheinlichsten ist die Bildsprache, die den Zuseher mit elegischen POV-Fahrten durch die eben am Anfang etablierte Orientierungslosigkeit dieser Welt führt, die einen kaum atmen lässt. Die Farben und das Licht wirken wie ein Katalysator für die Gefühle, man verliert sich förmlich in der unschuldigen, malerischen Schönheit des Films. Gerade zu Beginn, als er die Bestrebungen von Florya zeigt, am Krieg teilzuhaben, wirkt der dennoch von Tränen und Angst beseelte Friede wie ein wohliger Abend vor dem häuslichen Kamin. Fast wie aus einem Märchen wirkt es, als Florya und die sexuell-romantisch aufgeladene Glasha sich in einer Waldlichtung treffen oder wenn sie sich im Regen des von den Bäumen tropfenden Wassers duschen, indem sie an den dünnen Stämmen rütteln.

Andrei Tarkowski stand mit großer Sicherheit Pate für die Bildsprache des Films, der sich oft mit geringer Tiefenschärfe zwischen Mensch und Natur pendelnd auf die Schönheiten des Augenblicks stürzt, die im weiteren Verlauf zu Grausamkeiten werden. Das Tondesign ist dabei mit der ständigen Bedrohung fliegender Späher unterlegt. Der Film ist von einer Wucht, die einen vergessen lässt, dass man im falschen Glauben lebt, schon alles über Schuld und Unschuld im 2.Weltkrieg gehört zu haben, denn kein anderer Ansatz, den ich kenne (nicht mal Terrence Malick mit „The Thin Red Line“, obwohl er sicher ähnliches probiert)  bewegen sich so sehr im Menschen selbst. „Idi i smotri“ versteht es im Unterschied zu Malicks großartiger Kriegspoesie den Krieg nicht als Spielfeld zu sehen, auf dem sich der Regisseur frei bewegen kann, um das Humane an sich zu suchen, sondern er macht den Krieg zum Erlebnis aus der Sicht einer Person und schafft es dadurch eine Art poetischen Naturalismus entgegen Malicks abstrakter Poetik zu stellen.


Allerdings nutzt Klimow seine Wucht auch, um den Zuseher, insbesondere in der zweiten Hälfte des Films zu manipulieren. Die unschuldige Kraft der Anfangssequenzen, in denen der Krieg noch ignoriert wird von Figuren und Film und der ein Bestreben anzeigt Krieg eben nicht als eine Serie von Eindrücken, sondern einen Eindruck von Eindrücken zu erzählen, gewissermaßen ein Treiben im Krieg, so bekommt der Film trotz aller formalen Brillanz einen faden Beigeschmack.

Das liegt zum einen daran, dass er seine eigene Größe dazu missbraucht den Zuseher an der Gurgel zu packen und ihn nicht selbst zu jenem Betrachter macht, zu der auch sein Florya im Laufe des Films wird. Statt den Krieg zu sehen, sieht man plötzlich einen Film darüber. In einer gewaltigen Sequenz werden die Einwohner eines Dorfes in eine Scheune gesperrt und nach langen Prozessen verbrannt, erschossen oder vergewaltigt. Statt das Geschehen zu beobachten, schneidet Klimow seine Bilder jetzt in einer Art, die Gut und Böse einfach trennt, die uns genau mitteilt, wo wir uns als Zuseher befinden. Die Orientierungslosigkeit wird zu einem manipulativen Blick von außen. Ein Vertrauen in die Urteilsfähigkeit des Zusehers wird von einer emotionalen Aufladung, die sicherlich verständlich ist und bei diesem Thema auch schwer ignorierbar wirkt, geschluckt. Ein einziges Mal ist ein weinender deutscher Soldat zu sehen. Alles andere ist die Inkarnation des Bösen. Man mag argumentieren, dass aus dem Blickwinkel des Jungen alle Deutschen so sind (und auch viele Deutsche tatsächlich so agierten), aber wenn es wirklich ein inneres Bild wäre, dann würde ich den weinenden Soldaten nicht verstehen. Ob man solche Szenen anders filmen kann, weiß ich nicht, aber Klimow hatte die Möglichkeiten dazu bereits etabliert, sich dann aber doch auf die Konvention gestürzt.  


Aber-und hier sind wir beim zweiten Punkt-dieses Spiel bricht Klimow am Ende seines Films nochmal, als er-wieder in formaler Perfektion-Geschichte rückwärts laufen lässt und mit einem ultrahumanistischen Bild stehenbleibt. Florya feuert zum ersten Mal mit seinem Gewehr und er schießt auf imaginierte Found Footage Bilder von Adolf Hitler bis dieser plötzlich ein Kind ist. Der ganze Film offenbart sich als eine Allegorie und aus dem ultimativ Bösen wird plötzlich ein Spiegel, eine Spiegel, den man als Deutscher kaum braucht, aber der für einen Russen sicherlich ein Schlag ins Gesicht ist. Das völlig zerstörte Gesicht von Florya zwischen Leid, Hass und Wahnsinn kann nicht auf das Kind schießen. Ein Kreis zur Unschuld des Beginns schließt sich wieder, eine Szene, die es tatsächlich vermag Geschichte zu hinterfragen und sich selbst zu hinterfragen. Eine ganze Philosophie scheint sich hinter diesen Momenten zu verbergen. Dennoch ist es ein höchst bedenklicher Moment, der den ganzen Film hinter dieser Szene versteckt.

War alles, was bis dahin gezeigt wurde nur ein Vorwand, um dieses Bild am Ende zu entwerfen? War der Krieg eine Allegorie? Bleibt der Naturalismus am Ende doch zurück hinter einer intellektuellen Idee? Das würde mich enttäuschen, weil es vorbei geht am beobachtenden, von seinem Kollegen Tarkowski als Skulptur in der Zeit beschriebenen Wesen des Films an sich. Statt uns den Krieg, durch die Augen des Protagonisten sehen zu lassen, sehen wir ihn am Ende doch historisch verankert durch die Augen eines Denkers und dann sehen wir nicht mehr, sondern denken. Das ist immer dann besonders schmerzhaft, wenn ein Film ansonsten alles richtig macht. Natürlich ist der Denkprozess in diesem Film aber von besonderer Güte und er wird sicherlich bei vielen Zusehern ein Gefühl auslösen, das einen ähnlich berührt wie jenes vom Sehen evozierte.Vielleicht ist es der Blick in die Kamera, der sich mit dem Point-of-View der Kamera selbst überschneidet und vielleicht liegt genau darin die große Qualität des Films. Ein Spiegel in die Welt sozusagen.


Erstaunlich mit welcher Selbstverständlichkeit „Idi i smotri“ eine surreale Symbolik in seine Bilder legt. Von einem schlammigen Sumpf, in dem Florya und Glasha feststecken, über zertretenen Vögel und Vogeleier, bis hin zu eben Hitler selbst, der als Symbol des Hasses fungiert und der aus einem Totenkopf gebastelt wird. Der Film baut und hinterfragt Symbole gleichermaßen. Immer wieder das Bild des Spähers in der Luft. Fast ruhig kreist er über dem Geschehen. Die abgestürzte Pilotin liegt dort wie aus einem Pornomagazin. Die Leichen wirken surreal. Das Sterben geschieht im Off. Traumartig verliert die Natur ihre Sicherheit. Ein Rennen im Kugelhagel hin zum sicheren Waldesrand, ein Sterben im Schusswechsel zwischen zwei Stützpunkten mitten auf einem offenen Feld, das Eingesperrtsein in einer Scheune. Die Bilder von Klimow folgen einer Traumlogik, die einen umso mehr in den Albtraum des Films reißt, weil man weiß oder ahnt, dass diese Bilder Wirklichkeit sind. Die Vergangenheit wird lange Zeit als Gegenwart inszeniert.

Inmitten der Orientierungslosigkeit des Anfangs wird ein Gewehr ausgegraben. „Ihr hättet nicht graben sollen“, wird der sterbende verkohlte Mann später sagen und damit den metaphorischen Schlag ins Gesicht, den „Idi i smotri“ bereit hält, auf den Punkt bringen.


2 Kommentare:

  1. Ich verstehe die (milde) Kritik, aber man muss die Produktionsumstände berücksichtigen: Dafür, dass der Film zum 40sten Jahrestag des Kriegsendes in der Sowjetunion veröffentlicht wurde, dafür, dass Koautor Adamovich im Drehbuch persönliche Erfahrungen verarbeitet, ist erstaunlich, wie sehr er sich mit propagandistischen Triumphgesten oder - berechtigten - Schuldzuweisungen zurückhält (vielleicht mit Ausnahme der "Volksgerichtsszene" am Ende, und selbst die hat ihre Ambivalenzen). Vor allem im Vergleich zu thematisch verwandten Produktionen aus der UdSSR (oder anderswoher) fällt das ins Auge. Wie du selbst feststellst: Die Anmaßung des "Ihr-hättet-nicht graben-sollen" in seiner Allgemeinheit! Zudem hatte ich auch beim Massaker nie das Gefühl, dass man als Zuschauer klar verorten kann, aus welcher Richtung das Böse denn nun eigentlich genau kommt, wo dessen Wurzel ist, die es nur zu jäten gälte, stattdessen wird alles mitgerissen von einem fast schon karnevalesken Strudel des Todes, der alle Bedeutung verschlingt. Klimov legt ja großen Wert darauf, uns in die besinnungslose Rauschhaftigkeit des Schreckens zu stürzen, saufende, torkelnde Nazis (und Kollaborateure), die selbst nicht zu wissen scheinen, was sie tun, fahrerlose Motorräder im Rückwärtsgang, die Horrorkakophonie, in der Gejohle und Schmerzensschreie, Oktoberfest und Massenmord verschmelzen, die taumelnde Kamera wie ein entsetzlich nüchterner Verirrter, der verzweifelt den Ausgang sucht. Ich dachte da immer eher an das Weltuntergangs-Triptychon von Bosch (wie es ja auch der Titel des Films impliziert) als an bekannte, dichtotome Kriegsfilmbilder. Das ist im Übrigen tatsächlich nicht unbedenklich, so eine Universalisierung bzw. Naturalisierung eines durchaus konkreten, historischen Verbrechens, aber ich konnte den Film nie anders lesen. Da geht es um jemanden, der vorwitzig in die Welt hinauszieht, dort etwas vorfindet, was er nicht begreifen kann, und trotzdem begreift. Die Schlusspointe besagt eben nicht einfach "Deutsche sind auch Menschen", sondern, viel radikaler, "Alle Menschen sind Menschen", oder im Sinne Dostojewskis: "Wir sind alle verantwortlich für alle und alles, und ich noch mehr als die anderen.“ Die Anrufung durch das schutzlose Antlitz des Anderen nötigt zu einer ethisch-moralischen Haltung, und kaum ein Film starrt einen so eindringlich an wie "Komm und Sieh".

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    1. Danke für die tollen Hintergrundinfos und die vielen wahren Worte!

      Einzig diese Allgemeingültigkeit hebt sich dann doch bei allem "karnevalesquen Strudel" auf, wenn es doch von Anfang an das Bild von Hitler ist, das sich durch den Film zieht. Vielleicht ist dieses Bild schon zu einer Art Ikon des Bösen an sich geworden, mag sein, aber für mich verortet und historiziert es noch immer ganz deutlich.

      Ansonsten gebe ich dir Recht, vor allem mit dem alle Menschen sind Menschen Gedanken.

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