Mittwoch, 1. Januar 2014

Oh Boy oder warum geht es nicht weit genug?



Ich habe etwas länger gewartet bis ich mir den Stern am deutschen Kinohimmel des vergangenen Jahres (beziehungsweise schon 2012 ) angesehen habe. Der Spiegel bezeichnete den Film als einen „Glücksfall für das deutsche Kino“ und überall wird hervorgehoben, dass Regisseur Jan Ole Gerster mutig auf wirkliche Charakterentwicklung verzichtet und ganz außerordentliche neue Wege geht. Als ich den Film mit den entsprechenden Erwartungen anschaue, bin ich fast schockiert . „Oh Boy“ ist eine einfache, einigermaßen gelungene Beobachtung eines jungen Studienabbrechers in Berlin, der dort einen Tag verbringt, an dem vieles schief läuft. Die klassische Konstellation (ein Mann gegen den Rest der verschworenen, bizarren Welt) einer amerikanischen Komödie, nur dass der Klamauk sich bei Gerster oft in absurde Stille verkehrt. Ein jazziger Score erinnert an Woody Allen, auch der schwarz-weiße Look könnte von Allen sein, ja selbst die Figuren und der Rhythmus könnten von Allen sein, aber auch die Drifterphase der Nouvelle Vague oder coenesque Komödien standen hier Pate. Ein bisschen Kafka wird auch in den (nicht vorhandenen) Kaffee gerührt und schließlich hat man den besten deutschen Film des Jahres? Da bin ich mir nicht so sicher. Schauspiel, Kamera und Musik sind auf dem obersten Level. Insbesondere Hauptdarsteller Tom Schilling überzeugt in seiner passiven Frustration, durch die ganz selten ein Funkeln huscht und er trifft damit sicherlich den Nerv bezüglich vieler junger Nicht-Studenten seiner Generation. Auch Ulrich Noethen als Schillings Vater überzeugt. Die schwarz-weiß Ästhetik unterstreicht das jazzige, improvisierte Leben des Protagonisten und die Kargheit des seltsam feindlichen und doch wiedererkennbaren Berlins. Ansonsten ist der Umgang mit der deutschen Hauptstadt keineswegs besonders originell oder vielschichtig. Gerster fühlt sich immer wieder hingezogen mit einer etwas lauten Subtilität auf die Stadt als weiteren Charakter hinzuweisen. Er zeigt im Hintergrund Bilder der Wahrzeichen. Das Schlechte daran ist, dass er sie überhaupt zeigt (man würde merken, dass es Berlin ist ohne Friedrichstraße und Fernsehturm), das Gute daran ist, dass er sie oft mit dem leeren oder fragenden Blick seines Protagonisten unterschneidet und damit ein großes Fragezeichen auf die Stadt legt. Als er am Ende aber eine bildliche Untermalung von imaginierten Peter Fox Lyrics wagt, offenbart er doch, dass er es ziemlich cool findet, einen Film über sein Berlin zu drehen und eine merkwürdige Ambivalenz zwischen Abgesang und Lobgesang auf die Stadt tut sich da auf. Schon zu Beginn des Films wird „Taxi Driver“ zitiert und man erinnert sich unweigerlich an den letzten schwarz-weißen Abgesang auf eine Stadt, der das tat, nämlich „La Haine“. „Oh Boy“ nimmt genau wie „Taxi Driver“ und „La Haine“ den Point of View eines Außenseiters unter vielen ein. Allerdings ist der deutsche Außenseiter in der Gesellschaft integriert, er ist kein Gewaltverbrecher. Der deutsche Außenseiter ist Existentialist ohne Lust sich als solcher zu bezeichnen. Er wandert durch die Stadt und eigentlich kümmert sie ihn nicht. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Stadt so involviert werden muss. Sowohl New York als auch Paris sind in den angesprochenen Filmen Feinde der Hauptfiguren, sie liefern eine Aggressionsfläche, aber in „Oh Boy“ könnte Berlin auch viele andere Studentenstädte sein. Für den Protagonisten ist das herzlich egal. Gerster scheint es hier mehr, um das persönliche Element und die Absurdität gewisser hauptstädtischer Phänomene zu gehen. 


Das größte Problem scheint mir in der Charakterzeichnung zu liegen. Außer der Hauptfigur sind alle Charaktere sehr grob überzeichnet, ihr Verhalten ist stereotyp, einer Komödie angemessen. Dadurch ermöglicht der Film nicht, dass man sich auf einer Gefühlsebene mit der Hauptfigur identifiziert. Das durch die Welt treiben wird nur von außen gefilmt und obwohl die Kamera mit zahlreichen Suchschwenks immer wieder versucht das Drifter-Feeling zu transportieren, muss man doch mehr lachen als fühlen. Es spricht natürlich nichts dagegen eine solche Komödie zu drehen, aber wenn viele Kritiker darin ein Portrait einer ganzen Generation sehen und einen Film, der eben über sein bloßes Dasein als nette Komödie hinausreicht, dann ist das schlicht nicht nachvollziehbar. Eine gebundene, kohärente Narration, cleveres Verschwinden und Wiederauftauchen von Figuren und ein durchkomponierter Rhythmus kanalisieren hier ein Leben, das eigentlich ohne Ordnung abläuft. Keine einzige Sekunde fühlt man sich so verloren wie die Figur, denn immerzu wird alles zusammengehalten. Die Nebenfiguren verhalten sich nie so realistisch, dass man sich ertappt fühlt, sondern immer ein wenig over-the-top. Gerster spielt Jazz mit Noten. Der Film schwebt immer einige Meter über der Realität, in einem Zustand des Träumens. Man mag argumentieren, dass dieser Zustand genau jenem der Hauptfigur entspricht, aber dann frage ich mich, warum Gerster so wenig Zeit für tote Zeit verwendet. Seine Momente des Nichts, die doch eigentlich den Hauptteil des Lebens ausmachen, sind integriert in Montagesequenzen oder lustige Zwischenfälle. Nie transportiert sich die Ausweglosigkeit wirklich, denn man wird zu sehr unterhalten. Denkt man an den Anfang von „Je tu il elle“ von Chantal Akerman oder etwa Oliver Assayas und seine Auseinandersetzungen mit Jugend bemerkt man schnell, dass man viel weiter gehen könnte, um eine Generation ohne Lust und ohne Perspektive zu zeigen. Wie schon Heinrich Heine bemerkte ist Deutschland eben ein Land des Träumens und nicht der Erde. Körperlichkeit und harter Realismus sind kaum vorhanden. „Oh Boy“ geht nicht weit genug. Das ist kein Plädoyer für Identifikation im amerikanischen Stil, sondern für Radikalität und tatsächliche Wahrheitssuche in der Darstellung vom Leben. Daher bemerkt man auch jederzeit (und die Kritiker haben das in Scharen getan), dass die melancholische Stimmung des Films konstruiert ist. (toll, wie schön, dass konstruiert ist…). Als könnte man Stimmungen konstruieren.


Das kann man dem Film aber nicht wirklich vorwerfen, denn schließlich scheint Gerster eher in Richtung einer Woody Allen artigen intellektuellen Auseinandersetzung mit einer Figur gezielt zu haben. Und das gelingt ihm auch ganz vortrefflich, sicher besser als Allen in seinen letzten Filmen. Die Frage scheint eher zu sein, warum dieser Film so gehyped wird. Für einen Debütfilm ist „Oh Boy“ mit Sicherheit herausragend, aber wie viele unterhaltsame, intelligente Komödien kann dieses Land denn noch vertragen? Die Seitenhiebe auf den Kulturbetrieb (Nazi-Thematik, Off-Theater) lassen sich ganz leicht auf den intelligenten deutschen Film dieses Jahrtausends verkehren. Es wird nachgedacht, es wird alles gut gemacht und am Ende bleibt ein weiterer Film, der wunderbar ins Fernsehen passt und niemanden stört. Ich gebe zu, dass es andere, weitaus schlimmere Filme gegeben hätte, um diese generelle Kritik zu äußern, aber „Oh Boy“ ist in diesem Fall Opfer seiner eigenen Beliebtheit, die ich ganz offen hinterfragen möchte, geworden.


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