Samstag, 28. Dezember 2013

Visconti after Christmas: Senso



In der vierten Visconti-Besprechung geht es im Folgenden um sein Melodram “Senso” aus dem Jahr 1954. 


Willkommen im Beauty-Shot Salon von Luchino Visconti. In seinem vierten narrativen Spielfilm ging der italienische Aristokratensohn einen völlig neuen, seiner persönlichen Herkunft wohl eher entsprechenden Weg. Kein Hauch von Neorealismus weht da mehr durch die durchstilisierten Bilder und wenn man vor der Aufgabe stehen würde Verbindungen zu seinen älteren Werken ( „Ossessione“, „La terra trema“ und „Bellissima“) zu ziehen, dann würde man eher in jenen eigentlich dem Realismus verpflichteten Werken opernhafte Elemente finden, als auch nur ein Bild, dass Visconti in „Senso“ nicht überhöht hätte. Sein Film beginnt auch gleich in der Oper und setzt damit den Ton. Anton Bruckners 7.Symphonie wird in einer Interpretation von Nino Rota den emotionalen Leitfaden liefern. Eigentlich ist die Ouvertüre dem Kino von Visconti auch bis zu „Senso“ nicht fremd gewesen. In „Bellissima“ wählt er einen ähnlich musikalischen Auftakt und die jeweils ersten Szenen in „Ossessione“ und „La terra trema“ sind durchaus auch, als von der Handlung losgelöste Stimmungsbilder zu betrachten. Aber die Oper liegt nicht nur im Beginn. Sie liegt in der Größe und Schwere, in der Visconti seinen melodramatischen Stoff, der auf einer Novelle von Camillo Boito basiert, präsentiert. Jedes Bild, jede Sekunde gleicht einer Komposition, die eben kaum mehr Platz lässt für den von Visconti so beförderten Realismus. Die venezianische Gräfin Livia Serpieri, die eigentlich voller Enthusiasmus für ihren Cousin steckt und diesen in seinen revolutionären Gedanken unterstützt, verliebt sich unmittelbar vor dem italienischen Unabhängigkeitskrieg in den österreichischen Soldaten Franz Mahler. Der klassisch hysterische melodramatische Konflikt zwischen der größeren Autorität von Familie und Staat und der emotionalen Unvernunft hin zum persönlichen Glück entfaltet sich zu einer langsamen Gefühlsode, die manchmal in ihrer Konsequenz kaum ertragbar und manchmal zu wahrlichen Höhenflügen ansetzt. Livia leidet unentwegt und ihr langsames Sinken in eine Katastrophe kann durchaus als politische Allegorie aufgefasst werden. Denn neben den privaten Liebelein ist „Senso“ auch ein Kriegsfilm, der sich zwar meist nur am Rande des kriegerischen Geschehens, aber inmitten des politischen Konflikts dahinter bewegt. Und Visconti ist weitaus vielschichtiger, als dass er hier eine Geschichte von der Kraft der Liebe gegen die Brutalität des Krieges aufziehen würde. Vielmehr spielt er mit diesem Klischee, um es am Ende völlig brutal zu brechen. Damit hinterfragt der Film sogar seine eigene Sentimentalität und der empathische Blickpunkt von Livia, den man glaubte innegehabt zu haben, wird plötzlich zu einem kalten Blick von außen.



Schon den ganzen Film gibt es diese kaum subtil dargestellte Schuld über die individuelle Ignoranz gegenüber großen politischen Fragen. Franz und Livia kehren ihren Verpflichtungen den Rücken zu, auf der Suche nach einem persönlichen Glück. Doch am Ende betont Visconti die Vergänglichkeit von Glück und Liebe. In einer schmerzvoll-grandiosen Sequenz führt Franz Livia regelrecht vor, zwingt sie mit einer Prostituierten, die er sich von ihrem Geld gekauft hatte, an einem Tisch zu sitzen. Sein Lachen schallt durch den vor Gold und Silber überschäumenden Raum. Das schwarze Kleid, das Livia umschließt wird zu einem Gefängnis. Es gibt kein vor und zurück, die Leidenschaft verkehrt sich in ein Unheil. In dieser Dekadenz kommt Visconti zu sich selbst. Er muss lange genug warten, denn erstaunlicherweise gelingt ihm kaum ein starkes inneres Bild der Gräfin. Er studiert sie und fängt doch immer nur den gleichen sehnsuchtsvollen Blick ein. Aber da sind wir auch beim Titel: Sehnsucht. Visconti münzt den Titel hier sicherlich doppelt. Einmal die Sehnsucht der Gräfin, jene Sehnsucht, die zur Liebe gehört. Und zum anderen ist es auch eine politische Sehnsucht, denn neben der Handlung, die als poltische Allegorie verstanden werden kann, so kann auch die Geschichtlichkeit als Verweis auf die damalige Gegenwart verstanden werden. Visconti selbst legte Verbindungen und Parallelen zur kommunistischen Revolution nahe. Und damit ist man dann doch wieder bei dem Visconti, den man bis 1954 hat kennenlernen dürfen. Ein Filmemacher, der Charaktere in persönlichen und politischen Krisen zeigt, der sich immer auf die Seite des Niedergangs stellt und dabei politische Standpunkte verschnörkelt unterbringt.



Nur die Form scheint eine völlig neue zu sein. Am offensichtlichsten ist, dass „Senso“ sein erster Farbfilm ist. Mit ungeheurer Sorgfalt achteten Visconti und sein Kameramann G.R. Aldo auf die Bilder, die oft grün, weiß und rot, also die italienischen Farben enthalten. Die Emotionalität wird durch die Kraft der Farben, die ich in der restaurierten Fassung bewundern durfte, verstärkt. Über sein eigenes Format springt Visconti hinaus, das Bild scheint ihm kaum zu reichen für seinen Überschwang. Menschen kommen von hinten ins Bild und gehen in unendliche Tiefen. Blenden lassen den Film wie ein ewiges Gemälde erscheinen. Die Kostüme erinnern in ihrer Virtuosität etwa an Jane Campions „The Piano“, wobei die geduckten Bewegungen der Gräfin, meist entlang von Wänden, die sie fast im Stil eines James Deans ständig berühren muss, mehr an die Pinguin-Nonnen aus Cristian Mungius „După dealuri“ erinnern. Hauptsache alles ist schön. Aber verliert Visconti dadurch die eigentliche Stärke seines Schaffens, die bedingungslose Suche nach einer Wahrheit zwischen dem Drama? Oder vielleicht allgemeiner gefragt: Muss ein Film im Hier und Jetzt spielen, um eine zeitgenössische Relevanz zu erlangen? Diese Frage sprengt natürlich jeden Rahmen, aber es scheint mir recht klar in Viscontis Fall, dass eine geschichtliche Überhöhung das Kino tatsächlich mehr zu einer Oper macht und geschulte Analytiker von theatralen Texten sich durchaus einer intellektuellen Botschaft erfreuen können, nicht aber dadurch irgend eine Form von agitatorischen und auch kino-politischen Potenzial abgerufen wird.  Das Kino kann sein wie die Oper. Schön, aber warum ist es dann keine Oper? Natürlich bietet „Senso“ weit mehr, aber die Frage darf und muss schon gestellt sein und es scheint erschreckend wie Visconti das Kino mit den Mitteln des Kinos verlässt. Interessant, dass auf inhaltlicher Ebene die Schuld über das eigene Bevorzugen von Ästhetik und Schönheit gegenüber den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen verhandelt wird.



Am Ende gibt es in „Senso“ wunderschöne Bilder des Krieges. Ein Paradox, das mich zutiefst beschäftigt. Massenszenen, die scheinbar hunderte Meter in die Tiefe exakt choreographiert werden (ähnlich der Dorfbewohner in „La terra trema“) und dabei eine Art Gemälde aus Farben, Blut und Gewalt bieten. Die Opernklänge schallen, manchmal stehen die Soldaten wie aus Zinn. Fast wirkt dadurch alles etwas weiter weg, eben wie der Nebenschauplatz, den der Krieg auch im Leben der Protagonisten spielt. Strategische Bewegungen und historische Authentizität werden mit den Bewegungen des Kinos verwoben. Visconti hat mit „Senso“ zwar eine Art Masturbationshilfe für Douglas Sirk Fetischisten gedreht, aber er hat sie politisiert, hyper-hysterisiert und in eine Dekadenz verdreht, die einen so schnell nicht loslassen kann.

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